2 Tief atmete er durch. Er war nicht nervös, hatte das Stück in dieser und der vorletzten Spielzeit schon an die vierzigmal gegeben. Und dennoch verspürte er in den letzten Minuten, bevor das Licht im Zuschauerraum erlosch und er aus der Kulisse trat, stets das Bedürfnis, mit sich alleine zu sein, nicht mehr angesprochen zu werden und für sich in Ruhe die Abläufe der ersten Minuten auf der Bühne noch einmal durchzugehen. Wie waren seine ersten Worte, welches seine ersten Wege? Und sobald es ihm gelungen war, sich dies zu vergegenwärtigen, tauchte er in die Rolle ein und war Hans, nicht länger Gregor. „Toi, toi, toi!“, wisperte eine weibliche Stimme und holte ihn so aus seiner Gedankenwelt. Er öffnete die bis eben halb geschlossenen Augen und nickte nur. Man bedankte sich nicht für den Glückwunsch. Alter Theater-Aberglaube. „Ich fahr dann jetzt hinüber zur Uni“, redete sie leise weiter, während sie unschlüssig vor ihm verharrte. „Vielleicht sehen wir uns ja nachher noch mal.“ Abermals nickte er und seufzte lautlos. Chiara. Das hatte sie ihm doch vor fünf Minuten schon gesagt. Als ob sich dadurch etwas ändern würde. Während er wartete, dass sie ihren Worten Taten folgen ließ, spürte er, wie nun doch Nervosität in ihm aufstieg, und so setzte er hinterher: „Alles klar. Also bis dann.“ Dann schloss er die Augen und versuchte, sich wieder in seine Rolle hineinzufinden. Endlich hörte er ihre sich entfernenden Schritte. Tief atmete er durch. Im Zuschauerraum erlosch das Licht und das erwartungsfrohe Stimmengemurmel erstarb. Gregor öffnete die Augen und wartete darauf, dass die Musik begann. Zu den ersten zarten Klängen trat Hans auf die Bühne.
Posted on: Wed, 14 Aug 2013 00:40:49 +0000
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