45. Paula fängt Feuer Weder die modernen Insignien eines - TopicsExpress



          

45. Paula fängt Feuer Weder die modernen Insignien eines höheren Standes noch die offensive Zurschaustellung ihrer weiblichen Reize hatten den Ladenbesitzer sonderlich beeindruckt – obwohl er beides durchaus zur Kenntnis genommen hatte, und zwar durchaus auch wohlwollend. Deshalb stand Paula, recht unerwartet, vor der ewig weiblichen Frage: Was soll ich anziehen? Sie entschied sich dafür, auf Kumpel zu machen. Offen und ehrlich – oder zumindest mit dem glaubhaften Anschein davon – kam man bei diesem Typ wahrscheinlich am weitesten. Den ganzen Tag hatte sie damit verbracht, in den Boutiquen der Oberstadt nach etwas zu suchen, was einem fröhlichen Sommerkleid so nahe wie möglich kam. Das war kein einfaches Unterfangen Anfang Dezember, inmitten von Weihnachtseinkäufern, doppelt aggressiver Werbung, plärrenden Kindern, festlicher Beleuchtung und gefühlten drei von allen Seiten ununterbrochen wiederholten Weihnachtsliedern. Aber sie war fündig geworden. Ein weiter Rock im Fünfziger-Jahre-Stil, wie ihn die Mädchen in des Ladenbesitzers früher Kindheit getragen haben mochten, und ein klassisches Shirt hatte sie gekauft; etwas zu brav und handzahm für ihren Geschmack, aber es mochte seinen Zweck erfüllen. Dazu trug sie zu allem Überfluss auch noch flache Ballerinas, um dem Ladenchef auf Augenhöhe zu begegnen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als auch noch ein paar wirklich ausgefallene Accessoires zu kaufen, um den Gesamteindruck zu retten und sich halbwegs wohl in diesem hausbackenen Outfit zu fühlen. Die Rechnung war aufgegangen. „Sagen Sie Paula zu mir“, hatte sie gesagt, als er aufgestanden war, um ihr die Hand zu schütteln. Er hatte ihr erklärt, er hieße Klaus. Und nun saßen sie da und hatten ihre Getränke bestellt. „Welch ein schönes Lokal“, sagte Paula. „Ja, nicht wahr? Hier hat der Chef meine gesamte Belegschaft zum Essen eingeladen. Hinterher hat er gesagt, er hätte nicht geglaubt, dass es so etwas in einer so kleinen Stadt gibt.“ „Der Filialleiter? Ich habe ihn kennengelernt. Er hat mich an Sie verwiesen.“ „Nein, nicht der Filialleiter! Der Deutschlandchef, von ganz oben. Das heißt, der Filialleiter war natürlich auch da. Die Filiale war mit drei Häuptlingen vertreten, die alle mal mit dem Chef zu Abend essen wollen. Und die sich übrigens alle drei selbst eingeladen hatten und alle Krawatten in den Firmenfarben trugen.“ Paula lachte. „So ungefähr hatte ich ihn auch eingeschätzt“, sagte sie. „Aber wie ist der Deutschlandchef auf die Idee gekommen, Ihre Belegschaft einzuladen?“ „Das war eigentlich eine Wette. Die hatten doch vor ein paar Jahren dieses neue Konzept für die Minimärkte entwickelt, und meinen haben sie als Versuchskaninchen ausgeguckt. Damals hatten wir jede Menge hohe Tiere zu Besuch, unter anderen auch den Deutschlandchef. Mit dem hab ich mich unterhalten, wie sich der ganze Umbau wohl auf die Einnahmen auswirkt. Ich hab gesagt, ich rechne mit einem Plus von acht Prozent, und da hat er gemeint: ‚Wenn Sie das schaffen, dann lade ich Sie mit Ihrer ganzen Belegschaft zum Essen ein‘. Natürlich hatte er das zwischendurch vergessen, aber als es dann so weit war, da hab ich ihn dran erinnert. Und er hat sich dann auch nicht lumpen lassen. Wir hatten einen schönen Abend, fand ich.“ Paula registrierte mehrere Dinge. Zum einen, dass dieser kleine Ladenbesitzer mit seinem deutschlandweiten Chef von gleich zu gleich umging; zwar nicht respektlos, aber auch nicht devot. Dass er sich nicht scheute, ihn an eine verlorene Wette zu erinnern. Dass er Humor hatte. Und dass ihm seine Verkäuferinnen am Herzen lagen. Der Mann gefiel ihr immer besser. Sie freute sich schon auf den restlichen Abend, wenn erst einmal dieser leidige Auftrag abgehandelt sein würde. Aber es sollte anders kommen.
Posted on: Fri, 01 Nov 2013 22:55:08 +0000

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