Author: Kurt Neidhart „DIE MÄNNER VON ATHEN“ - TopicsExpress



          

Author: Kurt Neidhart „DIE MÄNNER VON ATHEN“ Deutsch HannMünden ist eine kleine niedersächsische Stadt, malerisch gelegen, dort wo die beiden Flüsse Werra und Fulda zusammen fließen und dadurch die Weser entsteht. Sie ist herrlich eingerahmt von bewaldeten Bergen. Das Stadtbild selbst ist geprägt von schönen alten Fachwerkhäusern, die sich eng um eine klotzige mittelalterliche Kirche gruppieren. Es gibt enge Gassen und das Ganze ist von den Resten einer alten Stadtmauer mit wehrhaften Türmen umgeben. Die Stadt ist eingebettet zwischen den drei Flüssen von denen sich Werra und Fulda durch ein Gewirr von größeren und kleineren Inseln schlängeln, die durch Brücken miteinander verbunden sind. Wir gehen zurück in das Jahr "1948". Der Krieg war seit drei Jahren vorbei, die Stadt war im wesentlichen unbeschädigt geblieben, wenn auch viele Häuser und Straßen einen etwas verfallenen Eindruck machten. Die Währungsreform war gerade erfolgt. Man kann aber nicht sagen, dass die Mündener im Überfluss lebten. Es gab zwar alles zu kaufen, aber das Geld war knapp. Trotzdem litten aber die Mündener Bürger keine unmittelbare Not, wie es anderenorts im Lande teilweise vorkam. Die meisten verfügten vor den Toren der Stadt über einen Schrebergarten, den sie mit Inbrunst bewirtschafteten. Der Fischereiverein "zu den drei Strömen" belieferte die Bevölkerung im Tauschverfahren mit frischem Flussfisch. Das Brennholz für den Winter holte man mit dem Handwagen aus den nahegelegenen Wäldern. Die kulturellen Bedürfnisse der Bürger allerdings, wurden nur ungenügend befriedigt. Es gab nur zwei Kinos, die "Schiller Lichtspiele" und das "Kronen Theater"; Und beide zeigten überwiegend nur zweitklassige Filme. Das Leben in Münden verlief, wie man sieht, in jenen Tagen in geordneten Bahnen, bot aber wenig Abwechslung. Da wurde eines Tages ein Ereignis angekündigt, das geeignet schien, diesen Mangel einmal zu unterbrechen. Überall hingen Plakate mit folgendem Inhalt: SAMSTAG ABEND UM 19 UHR FINDET AUF DEM OBEREN TANZWERDER EINE THEATERAUFFÜHRUNG STATT, MIT DEM TITEL: "DIE MÄNNER VON ATHEN" VERFASST VON EINEM WELTBERÜHMTEN AUTOR, AUFGEFÜHRT VON WELTBERÜHMTEN AKTEUREN Eintrittskarten: Erwachsene DM 0,50 Kinder DM. 0,20 Vorverkauf in allen Mündenschen Buchhandlungen Auf dem "Oberen Tanzwerder" wurden damals die Volksfeste abgehalten. Der Platz fasste etwa fünf bis sechshundert Personen. Trotzdem waren die Karten nach kurzer Zeit ausverkauft. Es gab nur einen Gesprächsstoff in Münden, die Theateraufführung. Der Direktor des Städtischen Gymnasiums Herr Dr.Tiborius, ein eingefleischter Humanist, rief seinen Schülern noch einmal die großen Männer der griechischen Antike ins Gedächtnis zurück. Er verwies auf Philosophen wie Sokrates und Aristoteles, auf große Staatsmänner wie Solon und Perikles, auf Mathematiker wie Euklid und Pythagoras und nicht zuletzt auch auf große Feldherren wie "Philipp von Mazedonien" und "Alexander den Großen." Und zum Schluss seines Vortrages rief er aus: "Alle diese Großen Figuren der Antike waren Männer von Athen! Und so erwarte ich, dass die Schüler meines Gymnasiums die Veranstaltung auf dem Tanzwerder geschlossen besuchen werden. Es lebe die humanistische Bildung!!" Hochwürden Pfarrer Greve, geistlicher Rat und Pastor der "katholischen Gemeinde" zu Münden, dessen Kirche genau gegenüber dem Gymnasium lag, hatte von der Rede des Direktors gehört, und was er da erfuhr, gefiel ihm gar nicht. Hochwürden mochte nämlich den eingebildeten Tiborius nicht besonders. Speziell die übertriebenen schwärmerischen Ideen des Humanismus verurteilte er. Pfarrer Greve sah da mehr oder weniger den Teufel am Werk, welcher heidnische Ideen verbreiten wollte. Also versuchte er, seine Gemeinde vom Besuch des Schauspiels auf dem Tanzwerder abzuhalten, jedoch vergeblich. Die meisten hatten bereits eine Eintrittskarte in der Tasche. Die beiden Mündener Rechtsanwälte Pingel und Becker hatten sich am Vormittag im Wirtshaus "Deutsche Eiche"getroffen. Sie saßen bei Bier und Korn am Prominenten Stammtisch und rissen Witze über Hochwürden, Tiborius und das bevorstehende Theaterereignis. Sie taten so, als interessiere sie das Ganze nur am Rande, demonstrierten kühle Distanz, wie es sich für standesbewusste Juristen gehört. Aber natürlich waren auch sie im Besitz einer Eintrittskarte. . Dann endlich war es soweit. Die Mündener Bevölkerung war auf dem "Oberen Tanzwerder" versammelt. Wer keinen Sitzplatz mehr ergattert hatte, stand im Hintergrund und viele beobachteten die Szene mit dem Feldstecher. Im Vordergrund war ein großer Bühnenwagen zu sehen, der mit vier bunt geschmückten Pferden bespannt war. Der Vorhang war noch geschlossen. Ab und zu wurde er einen Spalt weit geöffnet und man konnte kurzzeitig ein oder mehrere Augenpaare aufblitzen sehen. Scheinbar war die Neugierde der Schauspieler auf ihr Publikum genau so groß wie umgekehrt. Die etwas erhöht stehenden Plätze in der vorderen Reihe waren für die Mündener Honoratioren reserviert. Diese erschienen nun auch. Voran schritt der Bürgermeister Hempelmann. Zur Feier des Tages hatte er seine Amtskette angelegt. Ihm folgte der Direktor Dr. Tiborius mit würdiger ernster Mine. Dann kamen Amtsgerichtsrat Zwicker, Apotheker Stöß, die Rechtsanwälte Pingel und Becker und einige Herren vom Rat der Stadt. Die Fraktionsmitglieder der Linken waren sogar vollzählig erschienen, vermutlich weil sie nicht für Kulturbanausen gehalten werden wollten. Die Geistlichkeit war vertreten durch Herrn Pastor Meyer, evangelischer Pastor an der Blasiuskirche. Er hatte im Gegensatz zu Hochwürden Greve nichts einzuwenden gegen die alten Griechen, da er liberal erzogen worden war, und auch ein humanistisches Gymnasium besucht hatte. Als die Herren endlich Platz genommen hatten, erscholl ein lautes Fanfarensignal und der Vorhang öffnete sich. Man sah eine prächtige bunte Kulisse mit den Säulen des antiken Athen. Dann marschierten sechs Akteure auf, bekleidet mit alt Athener Kostümen. Sie verbeugten sich tief. Tosender Beifall brauste auf. Elegant führten sie dann eine Drehung aus, so dass sie jetzt mit dem Rücken zum Publikum standen. Sie beugten sich abermals nieder, lüfteten ihr Gewand, und den Zuschauern bot sich für einige Sekunden der Anblick von sechs blanken Hinterteilen. Der Vorhang fiel. Einer der Akteure schwang sich auf den Kutschbock. Die Peitsche knallte. Die Pferde trabten an und fielen bald in schnellen Galopp. Das Bühnenfuhrwerk entfernte sich schnell. Was nun folgte, ist fast unbeschreiblich. Die Honoratioren zogen sich ihre Jacketts über den Kopf und verdrückten sich so schnell es ging, denn eine öffentliche Blamage fürchteten sie wie der Teufel das Weihwasser. Die anderen reagierten je nach Temperament. Die einen lachten, die anderen fluchten und schimpften, und wieder andere jammerten um ihr umsonst ausgegebenes Geld. Polizist Wegener hatte sich diensteifrig auf sein altersschwaches Fahrrad geschwungen und versuchte, die Betrüger zu verfolgen, doch vergebens. Sie waren schon über alle Berge. Allmählich zerstreute sich die Menge. Im Gasthaus "Deutsche Eiche" aber ging es hoch her. Der Prominenten Stammtisch war voll besetzt und die Diskusion um die Ereignisse vom Tanzwerder war voll im Gange. Bürgermeister Hempelmann jammerte: "Eine fürchterliche Geschichte. Münden ist blamiert und vor allem wir, als Obrigkeit und Vorbilder haben uns lächerlich gemacht!" Ja, sagte Apotheker Stöß: "Wir müssen dafür sorgen, dass diese Betrüger hart bestraft werden." "Keinen Pardon!" Schrie er. "Langsam, langsam", sprach Rechtsanwalt Becker. "Auch die Mündener hängen keinen, sie hätten ihn denn." Jetzt schrie alles durcheinander: " Eine Fahndung muss her, ja im ganzen Land muss eine Großfahndung eingeleitet werden!" Meine Herren, rief Becker: "Ich als Rechtsanwalt behaupte, dass diese Leute sich gar nicht strafbar gemacht haben!" Amtsgerichtsrat Zwicker nickte zustimmend und sagte: "Sie haben eine Aufführung angeboten und haben sie auch ausgeführt. Kein Gericht der Welt würde sie verurteilen." Daraufhin wurde die Stimmung am Stammtisch zunehmend friedlicher und gelassener. Dazu trugen auch die Bier und Schnapsrunden bei, die Gastwirt Weichmann bereitwillig und flink ausschänkte. Tiborius sorgte dann später dafür dass die Geschichte entgültig entschärft wurde. Er lallte nämlich: "Meine Herren … es könnte sein … ich meine … ich werde darüber nachdenken, ob in diesem Schauspiel, so wie wir es heute miterleben durften, nicht doch ein tieferer Sinn verborgen sein könnte." Alle klatschten Beifall und die Stimmung wurde wieder ausgelassener. Man sang noch einige Lieder aus der Studentenzeit, und erzählte sich ein paar dämliche Witze. Gegen Mitternacht verließen sie dann die "Deutsche Eiche", und schwankten müde, aber zufrieden, nach Hause. An dieser Stelle könnte die Erzählung eigentlich enden, wenn da nicht noch Hochwürden Greve gewesen wäre. Diesem war natürlich alles schon zu Ohren gekommen. Das Mund-zu-Mund-Informationssystem funktionierte nämlich in Münden traditionell optimal. Wer aber nun glauben sollte, Pfarrer Greve würde sich jetzt freuen und triumphieren, der irrt sich. Schadenfreude oder Missgunst waren ihm fremd, weil er ja doch ein guter Christenmensch war. Er hatte durch diese Geschichte verstanden, dass die Mündener auch kulturelle Bedürfnisse hatten." Der Mensch lebt nicht vom Brot allein", sinnierte er und es kam ihm eine Idee. Er rief die Vorstände der Pfarrjugend und des Kolpingvereins zusammen und schlug ihnen vor, eine Laienspielgruppe zu gründen, und so geschah es. Das Leben in Münden hatte eine Bereicherung erfahren. Es wurden regelmäßig fromme und auch erbauliche Stücke aufgeführt. So hatte Direktor Dr. Tiborius denn doch ein wenig Recht behalten. Die Aufführung der Männer von Athen war nicht umsonst gewesen.
Posted on: Wed, 10 Jul 2013 23:39:43 +0000

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