BASELER PLATZ von Hans Joachim Weiser Konzert für Klavier und - TopicsExpress



          

BASELER PLATZ von Hans Joachim Weiser Konzert für Klavier und Orchester in A-moll, Opus 16, von Edvard Grieg, Dritter Satz, Quasi Presto und Andante maestoso. Es spielt das Rundfunksinfonieorchester des Hessischen Rundfunks. Die Ampel am Baseler Platz ist immer noch rot. Hinten sitzt ein Fahrgast drin. Ich schwitze. Es ist drückend schwül. Angst. Immer wieder kommt mir diese scheiß Angst hoch.Gestern war ich wieder die ganze Nacht um die Häuser. Ich habe Kopfweh. Und das Nervenflattern geht auch nicht weg. Drei Autos kommen grade mal über die Ampel und schon wieder rot. Der Pianist haut in die Tasten, dass es nur so scheppert. Zum Glück scheint mein Fahrgast im Fond sich nicht an meinem Musikgeschmack zu stören. Ich schmeiße meine lange Haarmähne hin und her und trommele auf dem Lenkrad rum. Dadadadadamm-damm, daa-damm, daa-damm! Die Streicher im Dialog mit dem Klavier. Und ich zwischen nächster Panikattacke und dem Wahnsinn. Dadadadadamm-damm, daa-damm, daa-damm! In meinen Herzkranzgefäßen staut sich das Blut genauso wie hier am Baseler Platz der Verkehr. Ich werde vermutlich gleich verrecken. Ist das jetzt kalter Schweiß auf meiner Stirn oder kommt das nur von der Hitze heute? Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Das erhöht noch den Stress. Ich zwinge mich trotzdem cool zu bleiben. Vielleicht ist mein Fahrgast da hinter mir ja ein Kontrolleur von der Taxi-Vereinigung. Oder einer von der Stadtverwaltung. Oder vom Gesundheitsamt. Wenn der jetzt auch noch merkt, dass ich unter Panikattacken leide, dann entziehen die mir noch am Ende meinen Taxischein. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ich kann das Geld gar nicht so schnell verdienen, wie ich es wieder für Dope ausgebe. Ich wiege meinen Oberkörper im Takt zur Musik hin und her. Es geht keinen Millimeter weiter. Kein Wunder. Ist ja erstens Messe und zweitens Berufsverkehr und zu allem Unglück haben sie in Richtung Friedensbrücke noch eine Spur gesperrt wegen einer Baustelle. Dadadadadammdamm, daa-damm, daa-damm! Die Musik lenkt mich ein wenig ab. Mein Herz pocht und pocht und pocht. Scheiß drauf. Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter. Und endlich. Es geht wieder ein paar Meter weiter. Der Taxameter tickt, ich schwitze und ich hoffe, dass niemand meine zittrigen Hände sieht. Ich habe Angst. Und ich habe Angst, dass diese Angst jemand entdeckt. Und ich habe Angst, dass die Angst nie mehr aufhört. Und ich habe Angst vor der Angst. Ich bin ein gottverdammter Hosenscheißer. Wieso habe ich eigentlich Angst? Wieso schreie ich im stillen in mich hinein? Ich rede auch mit mir in Gedanken. Meine Lippen bleiben geschlossen. Niemand soll merken, was in mir vorgeht. Äußerlich sehe ich aus, wie so ziemlich jeder bekloppte Taxifahrer im Stau. Nichts ungewöhnliches. Aber innen drin. Ganz tief in meiner Seele. Da lodert ein Feuer. Da knistern die Synapsen in meinem Hirn. Entweder bin ich auf Entzug gerade oder das ist wieder so ein Flash Back oder ich krieg gleich nen Herzkasper. Dadadadadamm-damm, daa-damm, daadamm! Die Musik ist auch nur ne Droge. Ich zünde mir ne Kippe an. Ich inhaliere den Rauch meiner Marlboro und stelle mir vor, wie sich jetzt gleich die Gefäße noch weiter verengen werden. Ich schaue in den Rückspiegel. Mein Fahrgast liest den „SPIEGEL“. Ob ich es wagen kann, einen Schluck aus meinem Flachmann zu nehmen? Wenn nämlich das Rauchen die Gefäße verengt, dann muss ich als Gegenmaßnahme einen Schluck Wodka trinken, damit sie sich wieder etwas weiten. Am Halteplatz habe ich neulich einen Artikel gelesen in so einer medizinischen Fachzeitschrift über Gefäßkrankheiten. Und ich bin gerade mal 27. Das ist mir noch zu jung zum Sterben. Ich heiße ja auch nicht Jimi Hendrix. Und auch nicht Brian Jones. Mit Alkohol, Drogen und Medikamenten kenne ich mich schließlich aus. Seit ich denken kann experimentiere ich mit diesem Zeug rum. Komisch. Die Angst ist wieder weg. Aber ich trinke schnell einen Schluck Wodka. So rein prophylaktisch. Und schon allein wegen der zweiten Schachtel Kippen heute, die auch schon bald wieder leer ist. Und während der Alkohol in meiner Kehle brennt, geht es doch tatsächlich wieder ein paar Meter weiter. Warum hat dieses Arschloch da vorne vor mir jetzt seine Kiste abgewürgt? Ich stecke meinen Kopf zur Seite raus. Meine Schreie gehen im Verkehrslärm unter. Wenigstens habe ich jetzt mal Dampf abgelassen, denke ich mir. Wenn man alles in sich rein frisst, dann gibt das nur Magengeschwüre. Und meine Magenschleimhäute müssen schon so einiges aushalten. Dann besser mal aus dem Fenster gelehnt und rausgebrüllt. - Oder nicht? - Na, ist doch wahr. Entweder haben die hier alle ihren Führerschein im Lotto gewonnen oder bei Neckermann bestellt. Ich dreh das Klavierkonzert im Radio lauter und klappe die Sonnenblende runter. Aber was ist das jetzt? Ich fasse es nicht. Der Kerl vor mir, der seine Kiste abgewürgt hat, macht keinerlei Anstalten die abgekackte Rostschüssel wieder in Gang zu setzen. Nur die Autos auf der Spur rechts neben mir haben jetzt als einzige noch freie Fahrt. Und die machen davon auch Gebrauch. Links von mir ist gesperrt wegen Kanalarbeiten. Ich drücke auf die Hupe. Und auch hinter mir geht schon das Hupkonzert los. Mein Hintermann versucht der Situation zu entkommen und will jetzt nach rechts auszuscheren. Das lässt aber niemand von denen auf der rechten Spur zu. Die fahren dicht gedrängt im Schritttempo fast Stoßstange an Stoßstange weiter und gucken angestrengt nur geradeaus. Wenn man schon mal das Privileg hat, auf der einzigen freien von drei Fahrspuren zu sein, dann gibt man diesen Vorteil nur ungern wieder auf. Ich überlege kurz, ob ich nicht ein paar Zentimeter zurücksetzen soll, um mir dann ebenfalls die Option der rechten Spur mit rücksichtsloser Dreistigkeit zu erzwingen. Doch rechts ziehen sie unermüdlich weiter an mir vorbei. So ganz nach dem Motto: Wer bremst verliert. Und als ich gerade den Rückwärtsgang einlegen will, merke ich, dass jetzt der Vogel vor mir, in seinem abgewürgten Rostkäfig, selbst noch anfängt zu hupen. Und zwar mit seinem Kopf auf dem Lenkrad. Krass. Ich steige aus, um mir das näher anzusehen. Der noch halb volle Wodka-Flachmann zerschellt auf dem Asphalt. Ich sage meiner Alten seit Tagen, dass sie mir das Loch in der Westen-Innentasche mal nähen soll. Aber die vögelt sich lieber durch die Kneipen in der Altstadt während ich Taxi fahre, damit Geld reinkommt, und die ganze Hausarbeit bleibt liegen. Ich hätte sie besser damals nicht anbaggern sollen, als ich sie total auf Pillen heimgefahren hab. Seit dem sind wir zusammen. Und sie hatte ja auch diese geile Koka-Connection bei den Algeriern in Sachsenhausen und über sie bekamen wir das Dope billiger und weniger gestreckt. Vermutlich aber auch nur deshalb, weil sie ständig mit denen rumgefickt hat. Sie hat es aber immer bestritten. Trotzdem durfte ich nie mitkommen zum Dope holen. Komisch, oder? Naja, ich scheiß drauf. Wieso muss ich schon wieder an die Alte denken jetzt? - Ach ja. Wegen dem Flachmann, der mir durch das Loch gefallen ist. - Ich kicke die Scherben in die Baugrube neben mir, gehe vor zu dem Wagen und reiße die Fahrertür auf. Der Schädel von diesem Kerl hängt noch immer mit der Stirn auf der Hupe. Ich ziehe ihn nach hinten weg. An seiner linken Schläfe sickert ein dünnes Rinnsal Blut aus einem kleinen Loch. Instinktiv schaue ich mich blitzschnell um. Sowas können nur echte Profis gewesen sein. Mit Zielfernrohr. In was bin ich hier nur rein geraten? Für einen Moment überlege ich, die Bullen zu rufen. Aber dann wird mir schlagartig klar, dass das niemand mehr etwas nutzt. Ich werde nur den Rest des Nachmittags auf der Bullereiverbringen und einer wird mit Zwei-Finger-Such-System auf seiner Triumph-Adler-Schreibmaschine rumhacken und mir das Protokoll vorlesen bevor ich es unterschreiben darf. Am Ende wird der Bulle noch meine Fahne riechen. Und vielleicht werden sie mir bescheuerte Fragen stellen, ob ich den Toten schon mal irgendwo gesehen hätte. Nein. Keine Bullen. Ich sehe mich nochmal um. Keiner hat irgendwas bemerkt. Nur die Leiche hupt halt jetzt nicht mehr, sondern sitzt wieder ordentlich am Steuer. Ich zucke mit den Achseln und gebe den anderen Autofahrern Zeichen, dass es auf dieser Spur halt nicht weitergeht. Dann steige ich wieder in mein Taxi ein. Ich lege meinen rechten Arm auf die Lehne der Beifahrerseite, drehe meinen Kopf nach hinten und will vorsichtig zurück stoßen, als mir schlagartig klar wird, dass da kein Fahrgast mehr hinten sitzt. Nur den „SPIEGEL“ hat er mir dagelassen und sich zu Fuß aus dem Staub gemacht ohne zu bezahlen. Ich bin sowas von angepisst. Der Fuß rutscht mir von der Kupplung und ich ramme einen ziemlich neuen Daimler hinter mir. Auch das noch. Ich fasse es nicht. Jetzt sind alle drei Spuren dicht. Eine Baustelle, ein Toter, ein Unfall mit Taxi. Und plötzlich ist sie wieder da, diese scheiß Angst. Von der einen auf die andere Sekunde. Und ich weiß nicht wovor ich mich fürchte. Ich weiß nur, dass ich eine scheiß Angst habe. Und wieder will ich mir nichts anmerken lassen. Irgendwas muss mich ablenken. Ich brauch nen Schnaps jetzt. Nein. Besser ne Kippe. Nein. Musik. Ich dreh am Radio und suche einen anderen Sender. Meine Hände schwitzen und zittern. Der Typ aus dem Daimler ist ausgestiegen und kommt jetzt auf mich zu. Ich suche weiter nach einem gescheiten Sender. Verdammt. Was mach ich jetzt bloß? Scheiße! Scheiße! Scheiße! Ob ich aussteigen und wegrennen soll? Aber das ist ja dann Fahrerflucht. Am Ende schieben sie mir noch den Mord in die Schuhe. Warum haben sie denn nicht die Polizei gerufen, werden sie mich fragen. Warum sind sie weggelaufen, nachdem sie den Daimler gerammt haben? Warum hatten sie es denn plötzlich so eilig? Raus mit der Sprache! Wir kriegen dich noch zum Reden, Freundchen. Mir wird schummerig vor Augen. Dann wird es still. Und schwarz. Alles wird still und schwarz. Schwarz war das Stichwort. Mein Psychiater, der neben der Couch sitzt, auf der ich liege, räuspert sich und meint, dass ich mir draußen bei seiner Sprechstundenhilfe einen neuen Termin geben lassen soll. Die Sitzung wäre für heute beendet. Es bestünde kein Grund zur Sorge. Ich wäre nur etwas überarbeitet, meine Nerven seien überreizt und ich sollte mal Urlaub machen. Richtig ausspannen. Spaziergänge an der frischen Luft und so. Na, ich wüsste schon, was er meint. Und ich bräuchte viel Schlaf. So ein saudummes Psychiatergeschwätz! Der hat gut reden. Ich bin komplett pleite. Wie soll ich mir einen Urlaub leisten? Ich verlasse die Praxis und beschließe gegenüber in Oldies Kiste zu gehen und bei Peter noch schnell zwei, drei Bier zu trinken. - Oder nein. Lieber nicht. - Beim Kisten-Peter habe ich noch einen Deckel offen. Ich gehe nach nebenan. Das passt jetzt besser. Zur Ulmer Christa. In Stefans Bierstube.
Posted on: Wed, 28 Aug 2013 14:55:59 +0000

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