Dani Brandt: "Das Erfolgsrezept der Muslimbrüder" - eine - TopicsExpress



          

Dani Brandt: "Das Erfolgsrezept der Muslimbrüder" - eine lesenswerte Analyse von Pierre Heumann: Seit der Gründung ihrer Bewegung im Jahr 1928 werden die Muslimbrüder angefeindet und vom Staat verfolgt. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist aber nach wie vor ungebrochen. Die Gründe, warum die ¬Organisation auch die aktuelle Krise überstehen wird. Am 5. Mai 1798 stach der 29-jährige General Bonaparte in See, um sich den rund 55000 Soldaten anzuschliessen, die bereits unterwegs nach Ägypten waren. Seine Streitmacht, mit der er das Land am Nil erobern wollte, bestand aus mehreren hundert Transportschiffen und Fregatten, 1000 Feldartilleriegeschützen sowie 700 Pferden. Als Napoleon in den Städten Alexandrien und Kairo einmarschierte, war es für die Muslime die erste Begegnung mit dem modernen Europa. Es war ein Schock, der bis heute für Hass sorgt und Gewalt auslöst. Im Schlepptau hatte der General aus Frankreich grosse Kontingente von Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern, Musikern, ¬Astronomen, Architekten, Zoologen, Inge¬nieuren, Druckern. Sie würden im unterentwickelten Osten Zeugnis von den Leistungen der französischen Aufklärung ablegen, hoffte Napoleon, und den Zorn der Eroberten beschwichtigen. Doch er täuschte sich. Die Frommen wollten nichts von den Errungenschaften aus Europa wissen. Sie befürchteten, in die Abhängigkeit des Westens zu geraten. Der ausschweifende Lebenswandel der Franzosen war ihnen zuwider. Viele Muslime sahen die Unterjochung durch einen Christen aus dem Westen als Katastrophe. Die seit Jahrhunderten etablierte kosmische Ordnung des Islam, klagten viele, sei durch Napoleon zerstört worden. Der ägyptische Gelehrte Abd al-Rahman al-Jabarti fasste die Gefühle seiner Landsleute gegenüber den neuen Macht¬habern aus Europa mit den Worten «Elend, Unglück, Leichen, Verfolgungen, Terror, Revolution, Unordnung, Zerstörung» zusammen. Es sei, befürchtete Jabarti, «der Beginn einer Reihe von verhängnisvollen Ereignissen». Er täuschte sich nicht. Aufbruch in der Sinnkrise Als rund hundert Jahre später Hassan al-Banna, der spätere Gründer der Muslimbrüder, auf die Welt kam, war Ägypten weiterhin unter fremdem Joch. Die Briten hatten die Franzosen als Besatzer abgelöst. Die Präsenz der Kolonialisten in der muslimischen Welt führte ähnlich wie schon zu Napoleons Zeiten zu kulturellen und politischen Spannungen. Zum geradezu traumatischen Ereignis wurde für Muslime schliesslich die Abschaffung des Kalifats im Jahre 1924 durch Atatürk. Das bedeutete das Ende des weltlich-religiösen Herrschers in der muslimischen Welt. Die Welt des Islam sah sich nicht nur unter Beschuss christlicher Eroberer. Sie war in ihren Grundfesten er¬schüttert. In dieser Sinnkrise gründete der Volksschullehrer al-Banna, gerade erst 22 Jahre alt, die Bewegung, die heute die grösste, aktivste und (zumindest bis vor kurzem) erfolgreichste Organisation im arabischen Raum ist: die Muslimbrüder. Ihr Ziel: ein islamischer Staat. Oft sah man den jungen al-Banna predigend in einfachen Kaffeehäusern seiner Stadt Ismailia am Suezkanal, wo aufgrund der Präsenz der britischen Soldaten und Siedler der kulturelle Einfluss des Westens besonders manifest war. Er kritisierte das Schweigen muslimischer Würdenträger und des politischen Establishments und deren Unfähigkeit, der vom Westen ausgehenden Säkularisierungswelle und dem Materialismus etwas entgegenzusetzen.Al-Banna wollte den Islam wieder ins Zen¬trum der Welt rücken. Es liege nicht in der Natur des Islam, dominiert zu werden, sondern zu dominieren, schrieb er in einem Brief an seine Anhänger. Er strebte nicht weniger als die «islamische Umerziehung der Gesellschaft» und die «Stärkung der Solidarität unter Muslimen» an. Allahs Souveränität über die Welt müsse wiederhergestellt und die ganze Menschheit in die Lehren des Islam eingeführt werden, schwärmte al-Banna. Der 1928 gegründeten Bruderschaft liefen dank al-Bannas Popularität rasch Mitglieder zu. Sie fühlten sich von der Kombination seiner sozialen, politischen und religiösen Qualitäten angezogen. Al-Banna sorgte dafür, dass jede neue Filiale eine Moschee, Schulen und einen Sportklub anbieten konnte. Später ¬kamen Spitäler, Kindergärten und Suppen¬küchen hinzu. Die Bewegung übernahm soziale Verantwortung – und hat an diesem Prinzip bis heute festgehalten. Al-Banna schlug anfänglich moderate Töne an. Muslime dürften sich zwar nicht vom Westen von dessen dekadenten Moralvorstellungen anstecken lassen, warnte der Mann, der inzwischen aus der Provinz in die Hauptstadt übersiedelt war. Es spreche aber nichts dagegen, die Errungenschaften europäischer Ingenieure zu übernehmen. Anders als die meisten Antikolonialisten unterschied al-Banna zwischen den europäischen Mächten, die keine fremden Länder besetzen, und den Briten, gegen die der Heilige Krieg gerechtfertigt sei. Keinen Widerspruch sah al-Banna darin, die einstige Ausdehnung des Islam als Segen Allahs zu ¬loben, den westlichen Kolonialismus aber zu verurteilen. Die Briten hatten in den dreissiger Jahren nicht nur seine Heimat, sondern auch Paläs¬tina, das britische Protektorat, besetzt. Bei Ausbruch des israelisch-arabischen Krieges machten sich Muslimbrüder – unter ihnen auch Jassir Arafat – auf nach Palästina und ¬kamen dort an, bevor die regulären Armeen eingetroffen waren. Der Beitrag der Bruderschaft im Krieg fiel letzten Endes bescheiden aus. Den in seiner Klarheit demoralisierenden Sieg des jungen israelischen Staates konnte sie nicht verhindern. Aber ihr Kalkül ging auf: Nach dem ¬Engagement für Palästina und gegen Israel strömten der Organisation mehr Anhänger zu als je zuvor. Bereits 1936 bis 1941, als die erste Kampagne gegen die Briten und die ¬Zionisten stattfand, hatten die Muslimbrüder die Zahl der Zweigniederlassungen in Ägypten mehr als verdreifacht. Machte der Erfolg seiner Organisation ¬al-Banna übermütig? Hatte ihm die Popularität so den Kopf verdreht, dass er sein Prinzip einer Islamisierung der Gesellschaft ohne Gewalt aufgab? Sicher ist, dass al-Banna, der ursprünglich einer Islamisierung von unten das Wort geredet hatte, in den 1940er Jahren plötzlich der Idee einer islamischen Regierung zugeneigt war. Er gab damit dem Drängen von vor allem jüngeren Mitgliedern nach, die eine Strategie der Gewalt befürworteten. Al-Banna liess beide Strategien zu. Die Bewegung sei noch nicht reif, um das Islamisierungsprojekt durch eine Revolution zu erzwingen, warnte er einerseits. Doch andererseits gab er grünes Licht für die Gründung eines militärischen Flügels, der gegen die Briten und die Feinde des Islam kämpfen sollte. Damit bot er Hand zur Schaffung einer neuen Terrororganisation, die sich der Kontrolle durch das Hauptquartier weitgehend entzog. Die Muslimbrüder machten fortan Schlagzeilen: Sie verübten Anschläge nicht nur auf britische Soldaten, sondern auch auf ägyptische Polizeiposten, Richter, Regierungsvertreter und die immer kleiner werdende jüdische Gemeinschaft im Land. Als die Palästina-Soldaten von ihrem Einsatz zurückkamen, sollen sie sogar einen Marsch auf Kairo und einen Putsch geplant haben, um sowohl die Regierung als auch König Faruk zu stürzen. Ihnen schwebte eine theokratische Diktatur vor. Hinrichtungen unter Nasser Die Regierung reagierte rasch und erklärte die Bruderschaft zum Staatsfeind. Sie wurde entwaffnet, ihre Verbände wurden aufgelöst, das Vermögen beschlagnahmt und viele ihrer Mitglieder wurden festgenommen. Doch die Lage eskalierte. Ein Mitglied der Muslimbrüder erschoss den Premierminister. Dass al-Banna sich vom Attentat distanzierte, half ihm nichts. Wenig später wurde der Gründer der Muslimbrüder durch eine Kugel hingestreckt. Die Umstände des Anschlags blieben ungeklärt. Offiziell löste die Regierung al-Bannas Bewegung 1948 auf. Doch auslöschen liess sich die Bruderschaft nicht. Von den damals achtzehn ¬Millionen Einwohnern war immerhin ¬eine Million bei den Muslimbrüdern aktiv. Die Bewegung widerstand den Angriffen der Staatsgewalt, weil sie in kleinen, familiären Zellen organisiert war, die aus jeweils fünf Mitgliedern bestanden. Diese raffinierte, im Prinzip bis heute gültige Organisationsform machte es praktisch unmöglich, die einzelnen Mitglieder aufzuspüren oder die Bewegung gar auszurotten. Zudem sorgte die geheime paramilitärische Spezialorganisation dafür, dass die Bruderschaft alle Attacken überlebt hat. Der militärische Arm war eine starke und unkontrollierbare Instanz innerhalb der Bewegung. Die Muslimbrüder mussten viele Schläge einstecken. Nasser hob nach seiner Machtübernahme zwar zunächst das Verbot der Muslimbrüder auf, weil sie seine Revolte -gegen den König unterstützt hatten. Die Brüder hofften, sich am Aufbau des neuen Ägypten zu beteiligen und dabei islamisches Recht zur Verfassung erklären zu können. Doch nach heftigen Diskussionen verzichteten sie freiwillig auf den Eintritt in die Regierung. Sie befürchteten, als Teil der Macht ihre Popularität im Volk zu verlieren. Der Frieden hielt nicht lange. Nach einem Attentatsversuch auf Nasser liess dieser Muslimbrüder massenweise hinrichten; Tausende wurden inhaftiert, viele wichen ins Exil aus. 1964 kam es zu einem Schauprozess gegen den Chef der Muslimbrüder, Sayyid Qutb, der zum Tod verurteilt wurde. Die systematische Unterdrückung der Muslimbrüder dauerte (mit kurzem Unterbruch) bis zu Nassers Tod 1970. Unter Anwar Sadat war die Beziehung zwischen der Bruderschaft und dem Regime relativ entspannt. Doch nachdem zwei Islamisten Sadat während einer Militärparade erschossen hatten, war es mit der Ruhe vorbei. Sadats Nachfolger, Hosni Mubarak, liess sie verfolgen und einsperren. Trotzdem gelang es der Bewegung, die Hilfe an die Armen auszubauen. So kümmerten sich die Brüder in den 1990er Jahren um junge Menschen, die trotz bester Ausbildung keinen Job fanden. Selbstlos taten sie das freilich nicht: Voraussetzung war, dass die Arbeits¬losen bei den Muslimbrüdern als Mitglied eingeschrieben waren. Unterdrückung hin oder her: Die Muslimbrüder liessen sich nicht unterkriegen. Nach dem Sturz Mubaraks erhielten sie bei den ¬Parlamentswahlen vierzig Prozent der Par- laments-sitze, und Mitte 2012 gelang es ihnen, mit Mohammed Mursi die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Mursi, der Anfang Juli gestürzt wurde, scheiterte gerade deshalb, weil seine Bewegung in all den Jahren so erfolgreich und populär gewesen war. Die Bruderschaft war mit der Aufgabe überfordert, für eine ganze Nation zu sorgen, da sie darin schlicht keine Erfahrung hat. Die Bewegung zahlt jetzt den Preis dafür. Auch nach den harten Schlägen, die sie in den vergangenen Wochen hat hinnehmen müssen, wird sie sich nicht auflösen — das zumindest zeigt die Geschichte der Bruderschaft. Auch wenn sie in den Untergrund abtaucht: Irgendwann wird sie Ägypten wieder zurückholen. (Quelle: "Weltwoche" vom 21.8.2013)
Posted on: Thu, 22 Aug 2013 21:16:07 +0000

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