Das Cafe Börner Am Sonntag schlief ich lange. Erst am frühen - TopicsExpress



          

Das Cafe Börner Am Sonntag schlief ich lange. Erst am frühen Nachmittag stiefelte ich mit der Postkartensammlung von Golkin in ein Cafe. Eine junge Studentin lachte mich an. "Sie sind doch aus dem Buchladen am Theaterplatz. Ich war neulich da. Ich fragte Sie, ob Sie mir ein gutes Pop Art Buch empfehlen könnten. Sie kamen dichter zu mir heran und sagten mir, ich solle drüben zu dem Herrn gehen, und wenn er mir nicht das Buch von Tilman Osterwold empfehlen würde, dann sollte ich ihn fragen, warum er mir nicht zu diesem Buch raten würde." "Ach ja, ich erinnere mich. Und? Hat er es Ihnen empfohlen? Nein, aber ich habe mich nicht getraut, ihn das zu fragen und habe es mir einfach auf Ihren Rat hin gekauft." "Na sehen Sie, dann haben wir ja beide alles richtig gemacht." "Was darf ich Ihnen bringen?" "Einen Milchkaffee, bitte." "Okay." Ich schaue der Studentin nach. Ihre Schleife pendelt um ihre Hüften. Welche Ängste sie wohl hat, frage ich mich an die Aussage von Frau Kupferstein erinnernd, dass Angst ein Thema der Jugend sei. Während ich auf den Kaffee warte, öffne ich die Schatulle mit den Kostkarten von Golkin und finde das Motiv des Cafe Börner in Braunschweig Am Bohlweg aus den 40er Jahren. Auf der Rückseite der Karte hat Golkin einen Ausdruck geklebt, auf dem seine Interpretation zu lesen ist: "In unserer heutigen Zeit ist es undenkbar, dass ein Werbefoto gestaltet wird, ohne den Betrachter an seine eigenen Abgründe zu erinnern, zu erotisieren oder aufzuschrecken. Die Aufmerksamkeitsgesellschaft ist zu einem Opfer des modernen Marketings geworden. In der Zeit, als diese Postkarte entstand, war noch Krieg oder er war gerade erst vorbei. Das Erschrecken über die Brutalität des Krieges und die Vernichtung eines ganzen Volkes saß so tief in der Seele eines jeden daran Beteiligten, dass es bodenlose Geschmacklosigkeit bedeutet hätte, wenn ein Wirtschaftsunternehmen mit Frivolitäten geworben hätte. Aber der Zeitgeist der 40er Jahre sehnte sich nach Ruhe. Und es ist diese Ruhe, die den Betrachter in der heutigen Zeit langweilt. Damals aber war die bloße Andeutung von Ruhe und Friedlichkeit die größte Hoffung und zugleich die gelungenste Anti-Kriegspropaganda." "Ihr Michkaffee. Was lesen Sie da?" Ist das eine Postkarte? Ein altes Cafe, wie schön, aber es ist ja ganz leer. Mir machen leere Räume Angst." "Ja, es ist schön", gebe ich zurück und lasse die Postkarte wieder in der Schatulle verschwinden. "Es ist sogar sehr schön. Leider gibt es das Cafe nicht mehr."
Posted on: Wed, 11 Sep 2013 03:25:57 +0000

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