Die türkische Regierung verstärkt ihre Politik der - TopicsExpress



          

Die türkische Regierung verstärkt ihre Politik der Einschüchterung. Ankaras Bürgermeister zettelt sogar eine Twitter-Hetzjagd gegen eine BBC-Journalistin an – die traf aber letztendlich ihn selbst. Von Boris Kálnoky Foto: AFP Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan spricht vor dem Parlament WEITERFÜHRENDE LINKS Türkei: Ankara fordert sofortige Freilassung Mursis Türkei: Vize macht Juden für Proteste mitverantwortlich Massaker in Sivas: Als 15.000 Islamisten Jagd auf Aleviten machten "Anne Will": "Erdogan steuert die Türkei bald wie Putin" THEMEN Recep Tayyip Erdogan Pressefreiheit und Zensur Auf dem Höhepunkt der Massenproteste gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan twitterte dessen Bürgermeister von Ankara, Melih Gökcek, die BBC-Journalistin Selin Girit sei eine Spionin. "Spioniere nicht für England, Selin Girit", war die Botschaft eines von ihm erdachten Hashtags, ein Schlagwort beim Kurznachrichtendienst Twitter. Er feuerte seine Anhänger an, diesen Hashtag durch häufige Verbreitung in die weltweiten "Top Trends" zu katapultieren. Vielleicht war es das, was Erdogan meinte, als er im Fernsehen vor einiger Zeit sagte, Twitter sei eine große Gefahr. Zwar fiel Gökceks Versuch peinlich auf ihn selbst zurück: Binnen kürzester Zeit war die türkische Twitter Community in vollem Kampfeseifer entbrannt, und der Hashtag #provokatörMelihGökcek überholte die persönliche Attacke des Regierungspolitikers gegen die Journalistin. Aber die Bedeutung des Zwischenfalls war nicht zu übersehen. Gökcek hatte die Korrespondentin eines führenden westlichen Mediums zur Zielscheibe gemacht. Das war kein Zufall, sondern Strategie. Wenig später stigmatisierte Erdogan selbst die BBC-Journalistin und warf ihr vor, sich mit ausländischen Mächten gegen die Türkei verschworen zu haben. Von Anfang an hatte er "dunkle Mächte" sowie eine "internationale Zinslobby" und "ausländische Medien" als Drahtzieher der Protestbewegung gegen ihn ausgemacht. Nun aber wurde es persönlich. Da auf solche Vorwürfe türkischer Politiker oft gleich die Staatsanwaltschaft gegen die angegriffenen Personen zu ermitteln beginnt, bedeutete all dies, dass von nun an ausländische Journalisten – ganz besonders solche türkischer Herkunft, insbesondere aber türkische Staatsbürger, die für ausländische Medien arbeiten – unter dem Druck möglicher juristischer Schritte gegen sie stehen. BBC, CNN und "Economist" beschuldigt Mittlerweile hat die Polizei in Ankara auf Bitten der Regierung einen 190-seitigen Bericht über die Drahtzieher und Ermutiger der Proteste geschrieben und an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Darin steht auch, dass westliche Medien mit "verantwortlich" für die Demonstrationen gewesen seien, speziell CNN, BBC und der "Economist". Und Erdogan ging am Freitag noch weiter und setzte die Medien auf eine Stufe mit Putschisten, obgleich er damit die Entwicklung in Ägypten kommentierte: "Jene, die den Medien und den Waffen in ihren Händen vertrauen, können keine Demokratie bringen." Da war es die AKP als Verteidiger der Demokratie gegen die demokratiefeindlichen westlichen Medien. Der Druck gegen diese ist vor allem indirekt: Besonders die Korrespondenten der im Polizeireport genannten angelsächsischen Medien werden in regierungsnahen Zeitungen wie "Yeni Safak" und "Yeni Akit" scharf angegriffen, erhalten über Soziale Netzwerke und per Email Drohungen. Die regierungsnahe Zeitung "Takvim" ging so weit, ein erfundenes Interview mit CNN-Korrespondentin Christiane Amanpour zu drucken, worin sie "gesteht", von dunklen Geldgebern dafür bezahlt worden zu sein, falsche Behauptungen über die Türkei zu verbreiten. Ganz klein stand unter dem Artikel: "Satire". Türkische Sender berichten über Demos in Ägypten Auch in türkischen Medien steigt der Druck gegen regierungskritische Stimmen. Es ist ein Prozess, der schon lange vor den Protesten begann: Die Demonstrationen zeigten, wie umfassend der Einfluss der Regierung besonders auf das Fernsehen bereits ist. Die Mainstream-Sender blieben stumm zu den Protesten, berichten aber jetzt über die Demonstrationen gegen das Militär in Ägypten. Im Februar entließ die angesehen Zeitung "Milliyet" ihren ebenso angesehenen Kolumnisten Hasan Cemal, nachdem dieser die Protokolle der Verhandlungen zwischen Regierung und der PKK-Führung veröffentlicht hatte. Heute sagt Cemal: "Jeden Tag dreht er (Erdogan) die Schrauben weiter an. Er will Medien, die sich ihm völlig unterwerfen und ihm wie Sklaven gehorchen." Besonders in den regierungsnahen Medien wird derzeit mit eisernem Besen gefegt, da sich während der Proteste Risse im islamischen Lager zeigten. "Yeni Safak" gilt fast als Regierungsorgan – aber einer der unabhängigeren und angeseheneren Kolumnisten dort, Kursat Bumin, wurde entlassen, nachdem er sanfte Kritik am Kurs Erdogans geäußert hatte. Große Gefahr für Korrespondenten Der Ombudsmann der ebenfalls regierungsnahen Zeitung "Sabah", Yavuz Baydar, verfasste einen kritischen Bericht über die Berichterstattung seiner Zeitung; der Bericht wurde zensiert (nicht veröffentlicht) und der Chefredakteur des Blattes verfasste einen giftigen Artikel gegen seinen Ombudsman. Der schrieb daraufhin für die reformislamische Zeitung "Todays Zaman" eine verheerende Bilanz der Hexenjagd gegen unabhängig denkende Journalisten. Christiane Amanpour vom Sender CNN, so steht da, würde derzeit wohl verhaftet, wenn sie in die Türkei einreiste – jemand habe sie angezeigt, weil sie mit ihrer Berichterstattung zum Verlust von Privateigentum beigetragen habe. Die populäre Zeitschrift "NTV Geschichte" wurde eingestellt, als sie eine Ausgabe zur Protestbewegung veröffentlichen wollte. Der Ton war regierungskritisch, der Eigentümer ist jedoch regierungsnah. Zuvor war beim Sender NTV ein BBC-Bericht über Medienzensur in der Türkei zensiert worden, worauf die BBC alle Verbindungen zu NTV abbrach. Mittlerweile haben die Behörden eine Reihe verschuldeter Medien unter Zwangsverwaltung gestellt – darunter die Zeitung "Aksam" – und mit AKP-Getreuen besetzt. Reihenweise mussten kritische Journalisten gehen. Der Journalist Baydar spricht von einem faktischen "Berufsverbot" für kritische Journalisten, denn wer einmal aus diesem Grund entlassen wurde, findet so leicht nirgendwo mehr Arbeit.
Posted on: Sun, 07 Jul 2013 14:27:15 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015