Einige gesammelte Anmerkungen zum angeblich nach links gerutschen - TopicsExpress



          

Einige gesammelte Anmerkungen zum angeblich nach links gerutschen Frank #Schirrmacher (und gegen Ende noch den von Schirrmacher und Co. bejubelten #Occupy-Guru David #Graeber): "Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nahm diesen Ball auf und setzte hinzu (FAZ, 15. August 2011): „Ein #Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den ,gierigen Wenigen‘ (Moore) missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zu bürgerlicher Gesellschaftskritik wiederfinden.“ Das hat er denn auch mit seinem Bestseller: „EGO: Das Spiel des Lebens“ (2013) vorexerziert. Es wurde von verschiedenen Seiten als gewichtiger Beitrag zur Gesellschaftskritik gelesen. Auch etliche Linke nickten zustimmend und meinten, dies sei nun ein, wenn auch unverhoffter Verbündeter. Dabei wurde nicht begriffen, dass diese Art bürgerlicher Gesellschaftskritik gerade dazu da ist, die linke Kritik überflüssig zu machen." linksnet.de/de/artikel/29306 "Das Buch bedient das in den kapitalistischen Kernländern ebenso verbreitete wie diffuse Gefühl der Leere und Fremdbestimmtheit, der Sinn- und Ziellosigkeit sowohl des privaten als auch des öffentlichen Lebens.Wer für die damit angesprochene »Entfremdung« über die bloße Ahnung hinaus eine Erklärung sucht, sollte sich mit #Marx, #Lukács, #Adorno und eventuell weiteren Klassikern auseinandersetzen. Schirrmacher führt unfreiwillig vor, wie es einem ohne diesen theoretischen Hintergrund ergehen kann, wie also eine »#Kapitalismuskritik« gerät, die nicht weiß, was #Kapitalismus ist. Das Buch erzählt die folgende Geschichte: Vor 60 Jahren hätten amerikanische Militärs, Ökonomen und Physiker die #Spieltheorie erfunden, ein mathematisches Modell für Konfliktsituationen, in denen jeder Beteiligte versucht, mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf andere seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Mit diesem Instrument und seiner Implementierung in Computer sei es gelungen, den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Nachdem diese verschwunden war, seien viele der beteiligten Physiker an die Wall Street gegangen und hätten von dort aus die Logik des Kalten Krieges der zivilen Gesellschaft aufgezwungen. Die Folge sei nicht nur die Automatisierung von Märkten, sondern auch die Automatisierung von Menschen und damit die Schaffung einer - im Buch als »Nummer 2« titulierten - neuen, ganz im Sinne der neoliberalen Ideologie ausschließlich am Eigennutz orientierten Spezies. Das Medium der Übertragung dieser automatisierten Logik in die Individuen sei der Personal Computer, der Menschen und Märkte miteinander vernetze. Es handelt sich bei dieser Erzählung um ein typisches Beispiel bürgerlicher, also von den herrschenden Produktionsverhältnissen abstrahierender Technikkritik, in diesem Fall also um die Kritik von Spieltheorie und Computerisierung, welche in ihrer Verbindung zur Ursache aller Übel hochstilisiert werden, die mit dem Neoliberalismus seit 1989 über uns gekommen sind. Für diese Rolle ist insbesondere die Spieltheorie freilich nur sehr bedingt geeignet: Sie ist ausschließlich anwendbar auf Konfliktsituationen, in denen allen Beteiligten sowohl die Handlungsmöglichkeiten (Spielregeln) als auch die Präferenzen der Gegner bekannt sind, taugt aber nicht dafür, diese Präferenzen, sollten sie unbekannt sein, auszuforschen. Die der neoklassischen Lehre zugrunde liegende Vorstellung, alle Menschen seien Träger einer subjektiven Nutzenfunktion, die sie immerfort zu maximieren versuchen, kann deswegen auch als restlos gescheitert gelten: Sie ist weder zu irgendwelchen Erklärungen geeignet, noch lässt sie sich empirisch nachweisen oder gar berechnen und in Computer implementieren. Die Spieltheorie ließ sich deshalb im Kalten Krieg einsetzen, weil dieser auf beiden Seiten der einfachen Logik folgte, einen Nuklearkrieg entweder gewinnen oder durch wechselseitige Abschreckung verhindern zu wollen. Es kann allerdings keine Rede davon sein, wie Schirrmacher es nahelegt, dass die Sowjetunion in diesem Spiel niedergerungen wurde, sie ist bekanntlich aus anderen, nämlich ökonomischen Gründen untergegangen. Vollends abenteuerlich ist die Idee, die sich seit den achtziger Jahren entwickelnde Dominanz der #Finanzmärkte damit zu erklären, dass eine von Entlassung bedrohte Berufsgruppe beschloss, von den militärischen Organisationen an die Wall Street zu wechseln, schließlich musste dort der Bedarf an den Fähigkeiten dieser Leute ja bereits vorhanden sein. Tatsächlich konnte die Spieltheorie bei der #Automatisierung des Börsenhandels deswegen zum Einsatz kommen, weil dort alle Beteiligten bekannte Handlungsmöglichkeiten haben (Kauf und Verkauf von Finanztiteln aller Art) und dabei das Ziel verfolgen, den eigenen Profit zu maximieren. Die Übertragung auf andere Märkte, in denen zumindest einige Beteiligte auch nicht quantifizierbare Ziele verfolgen, dürfte sich dagegen als schwierig erweisen, und vollends im Dunkel bleibt, wie man sich die »Automatisierung von Menschen« vorzustellen hat. Genannt werden hier die von Google, Amazon und anderen verwendeten, freilich keineswegs spieltheoretischen Algorithmen zur Ausforschung des Such- und Konsumverhaltens ihrer Nutzer mit dem Ziel, individualisierte Werbung zu platzieren. Aber was zwingt uns, diese Angebote anzunehmen? Schirrmachers Buch scheint für einige seiner Rezensenten deswegen attraktiv zu sein, weil es Klage führt gegen die neoliberale #Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft und den in Gestalt der »Nummer 2« in die Wirklichkeit eingetretenen »homo oeconomicus« sowie den mit dieser Entwicklung verbundenen Verlust an Souveränität sowohl der Politik - beispielhaft festgemacht an Merkels affirmativer Rede von der »marktkonformen Demokratie« - als auch der Individuen, die die Kontrolle über ihr eigenes Leben verlieren. Eine weitere Attraktion liegt in der Stellung des Autors als Mitherausgeber der FAZ, deretwegen #Augstein meint, eine »Kapitalismuskritik im Herzen des Kapitalismus« ausmachen zu können. Dass die im Buch gegebene Erklärung für die Entstehung dieser Verhältnisse weder die Logik noch die historischen Fakten auf ihrer Seite hat, spielt da schon keine Rolle mehr. Zur Sache ist zunächst zu sagen, dass Eigennutz und Profitstreben bekanntlich keine Erfindungen des Neoliberalismus, sondern als Antrieb wirtschaftlicher Tätigkeit so alt wie der Kapitalismus sind. Bereits Adam Smith hat sie in seinem 1776 erschienenen Hauptwerk in der nicht näher begründeten Hoffnung propagiert, sie würden durch den Marktmechanismus »von einer unsichtbaren Hand geleitet« dem Allgemeinwohl dienen. Auch die Rolle des modernen Staates, ob nun demokratisch verfasst oder nicht, hat, seit es ihn gibt, darin bestanden, die Voraussetzungen für die Kapitalverwertung zu gewährleisten. Für eine nicht marktkonforme Demokratie wäre gar kein Platz. Freilich werden die Spielräume, die der Politik in diesem Rahmen bleiben, krisenbedingt immer geringer. Der #Neoliberalismus ist die Antwort auf die seit den 1970er Jahren andauernde #Überakkumulationskrise des Weltkapitals. Er kann diese zwar nicht überwinden, hat aber zeitweilige Kompensationen für die verlorengegangene Möglichkeit der realen Mehrwertproduktion geschaffen: durch Reallohnsenkungen, Steuererleichterungen für Kapitaleinkommen, die Deregulation des Finanzsektors und nicht zuletzt durch die Einbeziehung noch der letzten gesellschaftlichen Bereiche in den kapitalistischen Verwertungsprozess. Mit Spieltheorie hat das freilich wenig zu tun, und auch die (teilweise) Automatisierung von Märkten ist zwar ein Hilfsmittel in diesem Prozess der umfassenden Ökonomisierung, aber nicht seine Ursache. Die Frage, wie Schirrmachers »Nummer 2« es geschafft hat, »das Labor zu verlassen und den naturbelassenen Altmenschen auch in der Wirklichkeit zu ersetzen« (Assheuer), bleibt unbeantwortet, weil im gesamten Buch von der Arbeit nicht die Rede ist, ohne die der Kapitalismus nun mal nicht auskommt." exit-online.org/textanz1.php?tabelle=aktuelles&index=0&posnr=581 "Ja, wirklich, »Nummer 2« ist laut Schirrmacher inzwischen allüberall, »selbst die Natur rechnet wie ein Börsentrader«. So aber sei alles von der Geschäftemacherei infiziert, sei der »Informationskapitalismus« – denn Informationen seien die neue, mauernbrechende Handelsware der Macht – derjenige, der die Menschen von sich selbst entferne, der sie in seinem Sinne optimiere. Man werde geradezu schizophren. In Schirrmachers unnachahmlicher Diktion: »Zu handeln, wie man nicht denkt, und zu denken, was man nicht weiß, produziert enorme Widersprüche, die man, wie bei einer Krankheit, an ihren Symptomen erkennt.« Ein »Monster« sei also von den Spieltheoretikern im Verbund mit den Rechenmaschinen freigesetzt worden, und Schirrmacher meint »Monster« buchstäblich. Er vergleicht dieses mit Stevensons »Mr. Hyde« oder der Kreatur von Mary Shelleys »Frankenstein«. Denn irgendwie kommt das Monster auch aus der Elektrizität, irgendwie habe die Dampfmaschine erst den Androiden ermöglicht, der nun als »Nummer 2«… oder sind wir der Androide… und wer sind dann die Roboter? Egal, alles hängt ja mit allem zusammen, ist böse, unaufhaltsam, tödlich, wir sind alle indoktriniert, bin ich noch ich oder schon du, wir haben unsere Seele an den Computer verkauft, hilfehilfe – doch nein, gerade als man sich das Messer an die Pulsadern setzt, um das Monster zu vernichten, in das uns amerikanische Physiker verwandelt haben, die die Elektrizität beherrschen wie – kein Witz – »Alchemisten«, kommt das letzte Kapitel, in dem uns Schirrmacher beruhigt. Denn obzwar wir, wie er zuvor behauptet hat, bereits vollständig überwacht und restlos durchdrungen vom Monster sind, können wir uns befreien, in dem wir »die Marionette töten«. »Wir müssen uns vor denen schützen, die nicht nur Misstrauen und den Kult des Egoismus beschwören, sondern auch noch einen bizarren Preisettikettenautomaten für unsere Gedanken im Inneren unseres Kopfes installieren wollen.« Kurz – man spielt nicht mehr mit, und schon ist der allmächtige Informationskapitalismus am Ende. It’s easy. [...] Andere wiederum, die nicht glauben wollen, dass es Kapitalismuskritik von rechts geben könnte, feiern Schirrmacher als Vordenker der Linken, auch dann, wenn sie sich nicht trauen, ihn ausgiebig zu zitieren, da seine Thesen so hanebüchen sind." jungle-world/artikel/2013/11/47339.html "Jan Fleischhauer fragte Schirrmacher im »Spiegel«-Interview: »Die Finanzwirtschaft sieht in den Algorithmen, mit denen sie operiert, ein Instrument zum Geldverdienen. Sie sehen darin eine Ideologie. Ist das nicht Feuilleton?« Die Antwort: »Alles ist ökonomisiert. In einer solchen Lage zu behaupten, Ökonomie sei eine Angelegenheit für Spezialisten wie beispielsweise die Atomphysik, ist sehr geschickt, denn es ist eine Entmündigung. Tut mir leid, ich kann vielleicht den Motor nicht konstruieren, aber die Betriebsanleitung unserer Gesellschaft würde ich schon gern verstehen.« Wozu verstehen? Um Schlussfolgerungen zu ziehen, die nicht links, sondern ziemlich konservativ sind - und einigermaßen hilflos wirken: eine europäische Suchmaschine installieren, den Datenschutz neu definieren, die Realwirtschaft stärken, Erhards »soziale Marktwirtschaft« reanimieren und »einfach nicht mitspielen. Jedenfalls nicht nach den Regeln, die Nummer 2 uns aufzwingt«." neues-deutschland.de/artikel/814511.kalter-krieg-2-0.html "Die pawlowsche Assoziation von »Kapitalismuskritik« und »Linkssein« stilisiert Schirrmacher zum Konvertiten, der mit »Ego« nun sein progressives Manifest vorgelegt hat. Ein Blick in die Befindlichkeit des deutschen Bürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts schürt jedoch Zweifel an Thesen solcher Art. »Ich bin Mitglied der bürgerlichen Klasse, fühle mich als solches und bin erzogen in ihren Anschauungen und Idealen«, schrieb der Sprössling einer der wohlhabendsten deutsch-englischen Handelsfamilien, Max Weber, im Jahre 1918 über sich selbst. Den völkisch-nationalistischen Alldeutschen Verband hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verlassen. Zu moderat war man ihm dort gewesen und seine Antrittsvorlesung für den Lehrstuhl für Nationalökonomie in Freiburg, in der er »den ewigen Kampf um die Erhaltung und Emporzüchtung unserer nationalen Art« pries, lag einige Jahre zurück. Von linker Gesellschaftsanalyse war Max Weber weit entfernt. Und dennoch: Eben dieser rechtskonservative Intellektuelle zählte zu den scharfsinnigsten Kapitalismuskritikern seiner Zeit. [...] Nun stand Max Weber mit solcherlei Zeitdiagnosen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht allein da. Die Gesellschaft ordnete sich neu, Bewährtes verlor seine Selbstverständlichkeit, die Welt befand sich im Umbruch – und den Humus der Reformbewegung bildete gerade das Bildungsbürgertum. Es war die Zeit der Lebensreformbewegung, in der eben jene geistige Elite des Landes in großer Zahl den Vegetarismus für sich entdeckte, aus dem Moloch der Stadt in die heile Welt ländlicher Idylle flüchtete und selbst Max Weber auf dem Monte Verità nackt in der Sonne tanzte. Friedrich Nietzsche sprach von einer »moralheuchelnden Neuzeit« und Sigmund Freud beschrieb den Menschen jener Zeit als »Prothesengott«, der nur noch mit seinen »nicht mit ihm verwachsenen« Hilfsmittel funktioniere – alles Ursprüngliche sei ihm abhandengekommen. »Kapitalismus und Maschine«, so der Spiritus Rector der Anthroposophie, Rudolf Steiner, hätten den Einzelnen aus »alten Lebenszusammenhängen herausgerissen«, die menschliche Seele jedoch nie mit »einem menschenwürdigen Inhalt« füllen können. Und Thomas Mann, seines Zeichens zwar kein Lebensreformer, doch mithin Chronist deutscher Bürgerlichkeit, beschrieb die Kultur und den Kapitalismus als disparat. »Vernunft, Sittigung, Skeptizierung, Auflösung […] – Die Kunst ist fern davon, an Fortschritt und Aufklärung [...] interessiert zu sein.« Man fürchtete unisono einen Verfall bildungsbürgerlicher Werte: Kennt jene überrationalisierte Gesellschaft noch den Wert humanistischer Bildung? Wenn jedes Versatzstück der Logik des Marktes unterworfen ist, wo findet dann Selbstbestimmung ihren Platz? Der marktwirtschaftlichen Fortschrittsapologie setzte das Bürgertum die Erzählung vom Verlust der Ideale entgegen. All dies, dasselbe Unbehagen, derselbe Pessimismus findet sich ebenso bei Frank Schirrmacher. Wenn er vom »ökonomischen Imperialismus« und dem Sieg des Egoismus als Handlungsmaxime spricht, beschreibt er den Verfall individueller Freiheitsrechte zugunsten eines inhumanen Konformismus. Und seine These vom Informationskapitalismus, in dem ein Computer mit dem IQ von null der perfekte Nutzenmaximierer sein kann, in dem Information also kein Verständnis mehr voraussetzt, ist nichts anderes als die Geschichte vom Verlust des Wissens als Kategorie der Selbstkultivierung und zentrales Distinktionsmerkmal des Bildungsbürgertums. Die Diskussion um die vermeintliche Linkswendung Frank Schirrmachers ist also verfehlt. Kapitalismuskritik, die von Ungleichheit nicht redet und über Verteilungsgerechtigkeit schweigt, die vielmehr Symbole bürgerlicher Selbstvergewisserung zum Thema macht, ist nicht links, sie ist und war schon immer konservativ – und damit nicht minder berechtigt." neues-deutschland.de/artikel/821672.vermeintlicher-links-abbieger.html?sstr=schirrmacher "Das Problem der Konservativen ist es, dass auch ihre Ansichten von dem Kapitalismus, in dem Meinungen und Moralvorstellungen nichts weiter als Handelsware sind, keinen Bestand haben. Jahrzehntelang glaubten die Konservativen, dass die kapitalistische Ökonomie die ihre ist, doch je mehr die Marktradikalen die Idee vom »guten Patriarchen«, der eine Firma zu leiten habe, preisgaben und nicht nur dem Proletarier und der Boheme, sondern auch der sogenannten Elite auf den Pelz rückten, desto mehr erschreckten sich jene, die noch an irgendwelche »Werte« glauben wollten. Dem Kapitalismus sind aber Glaubensfragen gleich welcher Art nicht dienlich. Wer sich für die Umwelt einsetzen will, dem kann man, solange es en vogue ist, alles als neu und ökologisch verkaufen, wenn derjenige jedoch auch dann auf seine Ansichten beharrt, wenn sie aus der Mode sind, wird er zum Störfaktor, indem er sich den Verkaufstrends verschließt und anderen die Kauflaune nimmt. Da der Kapitalismus nun, nachdem er Millionen von Menschen um ihre Nahrung gebracht hat, auch den Mitgliedern der Elite den Rest von Geist rauben will, mögen einige ihre Augen nicht mehr vor dem Wesen des Kapitalismus verschließen. Sie merken, dass dieser kein natürlicher Verbündeter derer ist, die die »bürgerlichen Werte« hochhalten. Daher beginnen sie an ihm zu zweifeln. Ja, sie schauen sich an, was die Linke an Kritik vorzubringen hat. Sie wollen jedoch keine Linken sein – sie wollen ihren Konservatismus retten, notfalls unter Zuhilfenahme von linken Ideen. Ihr Problem ist: Sie haben die Fragen der Ökonomie seit ihrem Sieg über den Realsozialismus sträflich vernachlässigt. Nun schauen sie allerorten, wo sie möglichst schnell ihre Kritik schärfen können. Eben auch bei den Linken." jungle-world/artikel/2012/01/44605.html "Es ist dieser sozialmoralische Impetus, der auch die überschwängliche Aufnahme von Graebers Schuldenbuch bei den sensibleren Geistern innerhalb des bürgerliche Lagers hierzulande verständlich macht. Schon beim Ausbruch der Großen Krise 2008 leistete der Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, in seltener Schonungslosigkeit den Offenbarungseid eines schon seit langem maroden Bürgertums: »Wir haben nicht viele Optionen zu reagieren. Aber das, womit alle Geschichte begann, können wir: Sagen, was Lüge ist.« (FAZ 18.9.2008) Schirrmacher versuchte seinem Eid treu zu bleiben und begab sich auf die Suche nach Wahrheit. Im Unterschied zu seiner Kanzlerin, »die nicht liest und nicht zu lesen gedenkt«,4 glaubt Schirrmacher, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels jüngst als »Förderer des Buches« ehrte, immer noch daran, dass sich Wahrheiten und Erkenntnisse auch in Büchern finden lassen – und wurde drei Jahre später fündig. Eine regelrechte »Offenbarung« nannte Schirrmacher Graebers Buch. Mittlerweile ziert Schirrmachers Urteil das Cover der deutschen Übersetzung in Auslagen bis zu den Bahnhofsbuchhandlungen: »Jeder Umsturz, jede Revolution beginnt mit Schulden, welche die Gesellschaft nicht mehr bezahlen kann. David Graebers großes Buch ›Debt‹ zeigt uns, wo wir heute stehen. Eine Befreiung« – eingerahmt als Kassenbon! Und zusätzlich als Balsam für jede krisengebeutelte linke Seele kostenlos ein roter Botton mit der aufgedruckten Kurzfassung: »Jede Revolution beginnt mit Schulden«. Allerdings blieb die Rezeption Graebers innerhalb der Linken bislang verhalten und stößt ob seines »recht vagen Verständnisses von Kapitalismus« auf Vorbehalte. Anders innerhalb des bürgerlichen Feuilletons. Was Schirrmacher als »Offenbarung« feiert, ist die »Befreiung« vom Alptraum neo­liberaler Hybris und Geschichtsvergessenheit – das Gespür für die Geschichtlichkeit und damit Vergänglichkeit der angeblich besten aller Welten. Ein vergleichbarer Referenzpunkt markierte noch zu Hochzeiten des Neoliberalismus die mit viel weltgeschichtlichem Esprit vorgetragene neue Weltordnungsanalyse »Empire« des italienischen Operaisten Antonio Negri zusammen mit dem amerikanischen Literaturwissenschaftler Michael Hardt. War es damals der historische Bogen eines »grenzenlosen Freiheitsimpetus« vom frühbürgerlich-florentinischen Republikanismus Europas über den paradigmatischen Typus des »Frontier« der Neuen Welt bis hin zum »Empire« eines George W. Bush samt der Freisetzung eines latenten »Kommunismus« durch eine buntscheckige »Multitudo«, der das bürgerliche Feuilleton verzückte, so ist es jetzt Graebers Befund der geschichtlichen Schattenseiten und Kosten dieses kapitalistischen Freiheitspathos, der Geister wie Schirrmacher nachdenklich und ernsthaft stimmt: »›Man muss sich verschulden, um ein Leben zu leben, das mehr ist als bloßes Überleben.‹ Dieser Satz ist vielleicht der dramatischste dieses faszinierenden Werkes.« Und Schirrmacher schiebt über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nach: »Insofern war die Systembedrohung durch den Kommunismus tatsächlich ein Grund für die Selbstdisziplinierung des Finanzkapitalismus.« Und jetzt eine Menschheitsgeschichte der »Urschuld« als Katharsis? [...] Ein weiterer Anknüpfungspunkt ergibt sich aus einer Entwicklungstendenz des Kapitalismus selbst, die mit der Ausbildung der Formen des zinstragenden Kapitals angelegt ist. Mit der Bildung von Aktiengesellschaften erhält das Kapital »direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.« (MEW 25: 452) Im gegenwärtigen Shareholder Value- und Finanzmarktkapitalismus zeigen sich zugleich die gesellschaftszerstörerischen Seiten dieser Entwicklung. Für entwickelte Aktiengesellschaften gilt: »Je entschiedener man dem Interesse der Aktionäre Vorrang einräumt, desto stärker wird der Einfluss einer externen Macht (die Finanzmärkte) auf die Unternehmenspolitik. Dieser Prozess führt dazu, dass die Verantwortlichkeit der Manager-Macht abnimmt. Durch das Prinzip des Shareholders wird die Macht der Manager, nach eigenem Gutdünken zu entscheiden, eher gestärkt als eingeschränkt.«12 Solche Verhältnisse bedeuten aber: Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums! Auf welchen Wegen aber die Beschäftigten in diesen Kapitalgesellschaften zu »Eigentümern«, die Shareholder Value-Steuerung dieser Betriebe gebrochen und eine gesamtgesellschaftliche Einbindung dieser Unternehmen zurückgewonnen werden können – ganz zu schweigen von der Reorganisation des Kreditsystems als einem »mächtigen Hebel (...) während des Übergangs aus der kapitalistischen Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit« (ebd. 621): das wären Herausforderungen einer Überwindung des »Schuldenkapitalismus«. Graeber entlässt den Leser mit seiner moralischen Gewissheit, dass »Schulden nichts weiter sind als die Perversion eines Versprechens, das von der Mathematik und der Gewalt verfälscht wurde« /410/ – und damit dem unguten Gefühl, dass ein Aufbruch in eine andere, »nicht-kommerzielle« Ökonomie im bloßen Beschwören einer unverfälschten, wahren »humanen Ökonomie« verbleibt und nicht davor gefeit ist, in rückwärtsgewandter Politik zu enden." linksnet.de/de/artikel/28238 „Abschließend noch einige Bemerkungen zur Rezeption in Deutschland, die sogar in den bürgerlich-konservativen Medien (man denke nur an Frank Schirrmacher in der FAZ) geradezu enthusiastisch ausgefallen ist. Wenn der Markt so glitzert wie bei Graeber, ist der Liberalismus nicht fern. Der fühlt sich sodann magisch angezogen. So ziemlich alles, was ich hier bemängelt habe, wurde ihm dort positiv angerechnet. Remigius Bunia etwa, einer dieser wohlwollenden Rezensenten, schreibt im Merkur über Graeber: „Einerseits mag er den Markt und sympathisiert mit einer Marktwirtschaft, die diesen Namen verdient; andererseits glaubt er nicht an den Staat und sieht im Staat schlicht einen Großkapitalisten, der in bestimmten Segmenten das Monopol hat – mit allen Nachteilen.“ (Heft 06, Juni 2012, S. 535) Laut Bunia gehe es mit Graeber darum, eine bessere Buchgeldwirtschaft zu entwickeln, denn „Wertbemessung“ sei ein „urmenschliches Bedürfnis“. (ebd., S. 536) Das ist richtig zusammengefasst, auf jeden Fall kommt es so rüber. Remigius Bunia folgert sogleich: „Eindrucksvolle Kulturgüter sind undenkbar ohne Kapital. Flugzeuge, Opernaufführungen, Universitäten, Kinofilme, Computer samt Internet, Brücken und so fort hängen von ihm ab. Kapital lässt sich abstrakt begreifen als das Potential zu zukünftigen Handlungen.“ (ebd., S. 540) Stets geht es um die Finanzierung. Ohne Finanzierung läuft nichts. „Finanzierung im großen Stil ist nötig, wenn die Investition ein neues Kulturgut schaffen soll, zu dessen Erzeugung viel Einsatzbereitschaft und Material mobilisiert werden muss (…) Immense Schulden sind somit der Motor kultureller Entfaltung.“ (ebd., S. 540) Was soll man da sagen? Vielleicht gar nichts, nur ein bissl kleinlaut fragen, in etwa: Baut die Finanzierung Gebäude und Brücken, erntet die Finanzierung die Felder und Gärten, lehrt die Finanzierung die Schüler und Studentinnen, schleppt die Finanzierung die Kühlschränke und Bierkisten, montiert die Finanzierung Waschbecken und Betriebsanlagen? Schreibt die Finanzierung Dramen und Romane, Gedichte und Essays, spielt die Finanzierung in Opern und Theatern die Rollen, hat die Finanzierung den Marxismus oder die Wertkritik hervorgebracht? – Wir haben es immer schon gewusst: Ohne Kapital sind wir nichts, gar nichts! Es sind fähige Köpfe und fertige Hände, die hier letztlich walten, die Finanzierung ist nur ein Treibmittel aus ihrem wertvermittelten Fetischhaushalt, dessen sie bedürfen, um tätig zu werden und an die Lebens- und Produktionsmittel zu kommen. Alles, was sie können, vermögen sie nicht aufgrund des Geldes, sondern trotz des Geldes. Ohne Geld würden sie noch mehr vermögen, denn dann bräuchten sie sich nicht um den Fetisch kümmern, könnten sich auf die Sache konzentrieren. Heute aber sind diese Möglichkeiten ohne Finanzierung nicht zulässig, da sie Diebstahl an der Akkumulation wären. Bunia kommen derlei Fragen überhaupt nicht in den Sinn, man sollte es ihm auch nicht vorwerfen, ist er doch ein Agent aus der Propagandaabteilung des Kapitals. Aber auch bei Graeber, der das ja nicht ist, kommen derartige Überlegungen nicht einmal in Ansätzen vor. Im Jungle World-Interview redet Graeber dann noch mehr Klartext als in seinem Buch: „Ob das Geld jemals ganz verschwinden wird, wer kann das sagen? Ich denke, in einer befreiten Gesellschaft ist es möglich, Geld so einzusetzen, dass es seine Funktion als vergleichende Maßeinheit für unterschiedliche Werte behält. Es ist schwer, sich eine komplexe Weltgesellschaft vorzustellen, in der bestimmte unterschiedliche Werte oder Arbeitsleistungen nicht über Geld miteinander vermittelt (alle Hervorh. F. S.) werden. Es wird diese Zusammenhänge, die Geld als Bezugspunkt erfordern, vermutlich weiterhin geben.“ (Jungle World 28, 12. Juli 2012) Wenn das so gesagt wurde, dann ist das schlicht eine Kapitulationserklärung.“ streifzuege.org/2012/auswaelzung-der-schulden
Posted on: Fri, 12 Jul 2013 08:00:17 +0000

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