Für Rita! :-) Bankgespräche „Was war’s denn bei Ihnen?“ - TopicsExpress



          

Für Rita! :-) Bankgespräche „Was war’s denn bei Ihnen?“ „Autounfall. Ich mit meinem neuen Mercedes in die Kreuzung rein, von links kam dieser übermüdete LKW-Fahrer aus Holland und BAUTZ!“ Mit den Händen unterstrich er seine Aussage, indem er sie zusammenschlug. So hart, dass der andere leicht zusammenzuckte. „Kam die Rettung rechtzeitig?“, fragte der. „Da war nicht mehr viel zu retten. Der Benz war hinüber. Totalschaden. Der 36-Tonner hat meinen Wagen fast vierzig Meter lang mitgeschleift, bevor der Fahrer ihn endlich zum Stehen brachte. Verdammt. Noch nicht mal 100 Kilometer hatte der drauf. Blaumetallic, tiefer gelegt, fast 300 PS, hat mich ’ne Stange Geld gekostet. Früher hab ich mir so was immer gewünscht, aber da fehlten mir noch die Mittel dazu. Jetzt hatte ich sie und dann so was.“ Sein Nebenmann nickte verstehend. „Ja, man hat’s nicht leicht“, sagte er und sah weiter dem lustigen Treiben vor ihnen zu. „Dem LKW-Fahrer ist nicht mal viel passiert. Klar, oder? 36 Tonnen unterm Hintern, da muss man nicht groß Angst haben.“ „Kam denn der Krankenwagen schnell genug?“, versuchte es der Andere noch einmal. „Wie? Ach so, das meinten sie. Ja, schon, aber die mussten erst mal ne halbe Stunde warten, bis mich die Feuerwehr aus dem Wrack geschnitten hatte. Becken, beide Beine, Brustkorb, Schulter, Kiefer, Nase und Schädel waren gebrochen.“ Neugierig sah der Andere ihn von oben bis unten an. „Wie lange ist das denn her?“ „Warten Sie mal, das sind jetzt ... sechzehn Monate, wenn ich richtig rechne. Irgendwie verliert man sein Zeitgefühl.“ „Bei mir sind es jetzt zwei Jahre.“ „Auch ein Unfall?“ „Knochenkrebs!“ „Uhhh, das ist böse!“ Der Andere schien richtig erfreut darüber, dass er den Unfall mit dem LKW noch zu toppen vermochte. Er legte gleich noch eine Schippe nach. „Dazu kam dann im Laufe der Krankheit noch Darm- und Prostatakrebs.“ Sein Gegenüber verzog das Gesicht. „Das muss doch die Hölle gewesen sein. Ich meine, ich hatte es ja schon schwer in meinem Wagen, aber das waren ja nur ein paar Minuten, bis man mich herausgeschnitten hatte. Aber Knochenkrebs und Darmkrebs gleichzeitig?“ „Und die Prostata nicht zu vergessen! Ich habe gepinkelt wie ein Stotterer spricht.“ Er lachte meckernd. Der andere sah ihn nickend an. „Ist es nicht merkwürdig? Im Nachhinein kann man darüber lachen. Die Erinnerung verklärt so einiges, nicht wahr?“ „Ja“, sagte sein Nachbar mit nachdenklich wirkendem Gesicht, „wenn man es so sieht, haben Sie Recht.“ „Haben Sie irgendwann daran gedacht, sich selbst ... also mit ’ner Spritze, Gift oder so?“ „Sie meinen Selbstmord? Nein, das kam für mich nie in Frage. Ich glaubte schon immer an Gott und die heilige Kirche.“ „Ich hab das früher alles nicht geglaubt, aber als ich in meinem Benz lag, überall Schmerzen hatte, da hab ich, na ja, ich gebe es zu, ich habe gebetet.“ „Hat es geholfen?“ Der Andere lachte. „Klar hat es das.“ Eine ganze Weile lang saßen sie schweigend nebeneinander, bis sich der Mercedesfahrer langsam erhob. „So, ich muss weiter“, sagte er, reckte und streckte seine blütenweiß strahlenden Flügel, „man sieht sich.“ „Schließlich hat man ja Augen im Kopf, nicht wahr?“, sagte der Andere lächelnd. „Ja, sogar ganz neue!“ Jetzt mussten beide laut lachen. Eine Weile lang saß der an Knochenkrebs, an Darmkrebs und an Prostatakrebs Gestorbene noch alleine auf der Wolkenbank und beobachtete die schier unübersehbare Anzahl neu ankommender Seelen, dann erhob auch er sich und flog, leicht wie eine Feder, davon. © Robert Herbig
Posted on: Mon, 12 Aug 2013 19:39:19 +0000

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