GENERATIONENWECHSEL IN DER SELBSTHILFE Gastbeitrag für - TopicsExpress



          

GENERATIONENWECHSEL IN DER SELBSTHILFE Gastbeitrag für Leuchtfeuer des LVPE e.V. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Selbsthilfefreunde, Sie baten mich um einen Beitrag für Ihr aktuelles Magazin und da ich Ihre Arbeit und diese informative Zeitschrift sehr schätze, habe ich gerne spontan zugesagt. Ihrer somit unwiderstehlichen Bitte haben Sie dann auch ein Wunschthema beigefügt und so werde ich für Sie, liebe Leserinnen und Leser, meine Gedanken zum „Generationenwechsel in der Selbsthilfe“ niederschreiben. Lassen Sie mich beginnen mit Karl Valentin, der einmal gesagt haben soll: „Früher war alles besser. Sogar die Zukunft!“. So ähnlich kommen mir auch manche Diskussionen um die Zukunft der Selbsthilfe, um die Suche nach aktiven Mitstreitern und um den Balanceakt zwischen Innovation und Nachhaltigkeit in der Selbsthilfe vor. Vorab: Generationenwechsel in der Selbsthilfe hat es immer gegeben und wird es immer geben. Neu in der aktuellen Zeit ist, dass vielerorts quasi die Pionier -oder Gründergeneration der Selbsthilfe aus Altersgründen aus der aktiven Mitarbeit geht. Und dabei müssen zweifelsfrei schwierige Aufgaben bewältigt werden. Die bisherigen Erfahrungsträger, Vordenker, Macher müssen etwas aufgeben , müssen Verzicht leisten , loslassen und dabei Vertrauen darin haben, dass das Ende von etwas gleichermaßen der Anfang von etwas Neuem sein kann. Und die Neuen, die noch nicht so Erfahrenen, die Neudenker sozusagen wollen sich einbringen können, vielleicht Strukturen aufbrechen und der Gruppe/dem Verein ein eigenes neues Gesicht geben. Wenn es denn überhaupt soweit kommt. Denn aus vielen Gruppen tönt unabhängig vom Thema der Gruppe die Klage über fehlenden Nachwuchs. Bitte überprüfen Sie sich selbst: Sind neue Ideen, neue Perspektiven, Strategien wirklich gefragt? Macht es traurig oder unsicher manche liebgewonnene Tradition in Frage gestellt zu sehen? Können die „Alten“ wirklich abgeben oder wollen Sie eigentlich die Zügel behalten und wollen in Wirklichkeit nur etwas Entlastung bei der Arbeit? Wer bestimmt in der Gruppe? Bin ich bereit mein Wissen weiter zu geben? Alle diese Motive sind verständlich und an sich nicht negativ zu bewerten. Aber es ist wichtig diese Positionen zu klären, ehe der Ruf nach einem Generationenwechsel erhoben wird. Der kann dann unter folgenden Prämissen dann gut gelingen: Hüten Sie sich davor in die Fußstapfen der Vorgänger zu treten. Die passen meistens nicht und machen Ihre Beine müde auf dem Weg. Bleiben Sie miteinander im Gespräch, reden Sie nicht nur über Zahlen, Daten, Fakten – sprechen Sie in der Übergangsphase offen auch über Ihre Gefühle, Ihre Grenzen, Ihre Ängste und mögliche Rivalitätsgedanken. Genau das machen fast alle Gruppen in ihrer täglichen Arbeit hinsichtlich ihres Krankheitsbildes und der damit zusammenhängenden Fragen und haben immer diese Offenheit und konstruktive Auseinandersetzung als hilfreich und ermutigend erlebt. Darum vergessen Sie diesen Grundpfeiler „Offenheit für Neues und Bereitschaft zur Veränderung“ auch in personellen Diskussionen nicht, er wird Ihnen helfen! Und dann gibt es auch Gruppen, die sich schwer damit tun Aufgaben gut zu verteilen oder die Übernahme von Aufgaben für alle zufriedenstellend zu organisieren und sich an geteilte Verantwortung zu gewöhnen. Aber lassen Sie mich viel grundsätzlicher werden: Ist Selbsthilfe überhaupt noch modern , noch zeitgemäß, noch in? Objektiv feststellbar und gar nicht neu ist: nicht von allen Gleichbetroffenen, nicht von allen Patienten wird Selbsthilfe mit der gleichen Empathie betrieben. Manche arbeiten aktiv in der Gruppe mit, andere sind bloße Gruppenmitglieder ohne Aufgaben in gegenseitiger Hilfe (Besuchsdienste), Funktionen in der Gruppe (Gruppenleitung, Pressewart etc.) oder bei der Außenvertretung der Gruppe und auch nicht bereit derartige Aufgaben zu übernehmen. Vergessen wir dennoch nicht: Selbsthilfe definiert sich zunächst durch Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit, d.h. die Dauer und die Intensität der Gruppenmitgliedschaft wird von jedem einzelnen frei gewählt. Die Grenze ist sicher bei einem hemmungslosen Narzissmus oder einem radikalen Konsumverhalten zuziehen. In der Fachwelt hat sich vor einiger Zeit der Begriff „Selbsthilfekonsument“ gebildet, wir in der WeKISS sprechen gerne auch von dem Wunsch nach „Instant-Selbsthilfe“. Der oder die Anruferin mag uns sein Problem gar nicht erst schildern, sondern versucht fragend herauszufinden ,welche Gruppen wir denn überhaupt im Angebot (auf Lager, im Warenkorb) haben um sich eine auszusuchen. Oder benennt das Thema, fragt nach dem besten Arzt oder der erfolgreichsten Therapie und will das alles „ruckzuck in ein-zwei Monaten“ hinter sich haben und doch nicht jahrelang in eine Gruppe gehen. Wenn es denn nur so einfach wäre...... Bitte lassen Sie uns alle daher immer wieder unser eigenes Selbstverständnis für die Selbsthilfe überdenken, nachfühlen und verankern: Selbsthilfe ist die engagierte Begegnung von Menschen, die solidarisch miteinander sind! Und wir sind zur Selbsterneuerung fähig: Die junge Generation ist durchaus engagementbereit (Freiwilligensurvey 2009: 35 % der 14 bis 24-jährigen sind bereit sich freiwillig zu engagieren), unsere Aufgabe ist es diese Potenziale auch abzurufen! Junge Menschen üben ihr Engagement zunehmend interessenbezogen aus, sie möchten sich durch ihr Engagement gerne auch zusätzliche verwertbare Qualifikationen und Kompetenzen aneignen. Und wir finden Sie an anderen Orten als wir die Gründergeneration gefunden haben. Diese stammte in den 70- er Jahren aus der Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung, in Bürger- und Elterninitiativen, die heutigen Nachrücker sozusagen verschaffen sich ihre Gemeinschaft häufig erst einmal virtuell. Im Internet entstand eine neue Kultur der Informationsbeschaffung und des Austausches, die von vielen als eine Gefahr für die Selbsthilfe gesehen wird. Ich teile diese Ansicht übrigens nicht. Das Internet kann die persönliche Arbeit in den Gruppen niemals ersetzen (dazu später mehr, wer umarmt schon gerne einen Bildschirm?), aber es kann uns dabei helfen Mitglieder zu halten und Nachwuchs zu gewinnen. In der Sprache der Betriebswirtschaft müssen wir„Alten“ in der Selbsthilfe an unserem Marketing arbeiten. Social Marketing meint die Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Strategien, die darauf abzielen systematisch von freiwilligem Handeln in der Selbsthilfegruppenarbeit zu überzeugen. Spannend , nicht wahr? Vielleicht eine großangelegte Feel-Good-Kampagne für die Selbsthilfe? Auf alle Fälle weg von dem noch vereinzelt in der Bevölkerung vorherrschenden Bild, dass Selbsthilfegruppen Jammergruppen seien. Wir alle wissen, dass das Gegenteil der Fall ist, aber bitte lassen Sie es uns auch bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, welch außerordentlich ermutigende Kraft die Selbsthilfe ist und dass Selbsthilfe auch ein Ort der Lebensfreude, des Humors, der Identitätsbildung, der Freundschaften und der sinnvollen Freizeitgestaltung ist. Ein Ort der gleichermaßen sozialen Sinn hat und Freude bringt. Und nicht zuletzt: Selbsthilfe hilft zu gesunden (oder partiell zu gesunden) oder gesund zu bleiben. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Daraus erklärt sich das Grundbedürfnis des Menschen sich zugehörig zu fühlen. Weil der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, kann er nur innerhalb einer Gemeinschaft verstanden werden und sich weiterentwickeln. Wann immer ein Mensch sich zugehörig fühlt, erlebt er den Zustand sozialer Gleichwertigkeit – hieraus erwachsen Mut, Optimismus und Selbstvertrauen, alles natürliche Wachstumspotentiale des Menschen. Der Mensch ist eine biopsychosoziale Einheit – soziale Unterstützungssysteme, intakte Sozialstrukturen und ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer oder mehreren Gruppen stärken das Gefühl von Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit. Beides sind Grundbestandteile dessen, was man Kohärenz nennt. Hervorgegangen ist dieser Begriff aus den Untersuchungen, wieso manche Menschen unter identischen Stressbedingungen eher gesunden oder weniger erkranken als andere. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Gesundheit von Menschen sehr mit dem Kohärenzgefühl zusammen hängt. Und das kennen wir alle aus jenen besonderen Gruppenstunden, die uns soviel Power, Freude und Verstandensein geben: mal ein stiller Blick, ein Lächeln, miteinander Tränen lachen, in den Arm genommen werden, ein Zwinkern, ein Händehalten, ein gutes Schweigen, ein Krankenbesuch, einen Freund finden...... Lassen Sie uns daran denken, wenn wir mal fest hängen, mal streiten, wenn uns die Arbeit zu viel ist.....Du allein schaffst es, aber Du schaffst es nicht allein! Und außerdem sind da ja auch noch Ihre Unterstützer: Wir, die hauptamtlichen Selbsthilfeunterstützer in den KISS-Stellen bei der WeKISS, Sekis Trier, KISS Mainz und KISS Pfalz. Und nicht zuletzt Ihr Dachverband, der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Rheinland-Pfalz/Saarland e.V.! Sprechen Sie uns an, wenn wir Sie in Ihrer Arbeit unterstützen können. Lassen Sie uns die Gegenwart meistern - es ist die Zukunft, von der Karl Valentin sprach! Mit den herzlichsten Grüßen aus dem Westerwald Ihre Vera Apel-Jösch Leiterin der WeKISS
Posted on: Tue, 26 Nov 2013 11:10:14 +0000

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