HEUTE ´89 Samstag, 4.November 1989 Vor dieser aufregenden Zeit hatte ich seit 1956 immer so ein herbstliches Ungarn-Erinnerungsgefühl. Das begann am 23. Oktober und hatte seinen Höhepunkt am heutigen 4. November, als die Sowjetpanzer 1956 in Budapest einmarschierten und ich alles am Holzradio mitverfolgte: Szabad Magyar Petöfi (und Kossuth) Rádio. Im Vergleich dazu, sind die heutigen Tage absolut friedlich. Die Panzer der Sowjetarmee bleiben in den Kasernen. Die DDR-Führung bleibt auf sich allein gestellt. Die SU entläßt ihr Kind... Und ich fahr am späten Morgen bei schönem Herbstwetter Richtung Wessiland. An der DDR-Grenzübergangsstelle für Westdeutsche: Keine Spur von Wende. Im Gegenteil. Ich hab das Gefühl, als ob ich (und die anderen Transitler) für die Probleme der DDR verantwortlich gemacht werden. Vor meiner Nase macht der Grenzer seine Bude zu. Also fahr ich nach rechts auf die leere Spur zu dem anderen Grenzposten. Na? Mr ham´s wohl eilisch, was? Gäms mr mol de Fohrärlaupniß! Wie bitte? Se solln mr ihre Fohrärlaupniß gääm! Entschuldigung. Ich hab sie immer noch nicht verstanden. WAS woll sie sehn? Ich fordre Se nün züm triddn Mol auf, mr Ihre Fohr-är-laup-niß zu gäm! Spräch isch ätwo geen Toitsch? Na ja, so isses eben am GÜST. Pause an der Raststätte Börde. Zeitungen gekauft. ND: Überschrift: Fernseh-und Rundfunkansprache von Egon Krenz an die Bürger der DDR. Einnerungen an das ND-Abo meiner Verwandten in Burg bei Magdeburg (beide Genossen). Das ND kommt morgens und wird ungelesen in den Papierkorb geworfen. Ich war der einzige, der´s gelesen hat. Sogar von vorne. Man las ja sonst von hinten: Sportseite. Gelesen wurde die Volksstimme, die ich mir heute auch gekauft hab. Da war ein Artikel drin. Wetterfrosch Ceausescu, wie der Führer (Conducatorul) und Titan der Titanen den Wetterbericht fälschen ließ. (ich kann mich damals in den frühen 70ern an ein Anglermagazin meines Verwandten erinnern, wo die ersten Seiten voll mit einer Rede des neuen Parteichefs Erich Honecker abgedruckt waren. In einer Anglerzeitschrift ! In anderen Zeitschriften übrigens auch.--FF dabei mit Rundfunkprogramm hab ich mir auch gekauft. Dann fuhr ich weiter und hörte die Übertragung der bisher größten nicht von der SED veranstalteten Demonstration in Ost-Berlin. 26 Redner traten auf. Veranstalter waren die Künstlerverbände und eine halbe Million Teilnehmer sollen da gewesen sein. Eine halbe Million ! Außer Hein, Heym , Christa Wolf, Sängern (Wolf Biermann wurde nicht in die DDR gelassen) und Schauspielern, traten auch die Genossen Schabowski und Markus Mischa Wolf auf, die ausgepfiffen wurden. Politbüromitglied Schabowski traute sich immerhin vor´s Volk und sogar der ex-Stasimann und Spionagechef Wolf, der sich wohl als Vertreter einer Perestrojka-Fraktion (gibt´s die überhaupt ?) sah. Er wittert Morgenröte, die aus dem Osten kommt... Übrigens ist mir der Magdeburger Parteichef Werner Eberlein immer sympatisch gewesen. Er spricht tadellos Russisch und sein kommunistischer Vater wurde damals von Stalins Mörderbande ermordet. Die ganze Fahrt über hörte ich die Reden, denn der Empfang der DDR-Sender über UKW war ja auf der Autobahn Richtung Kassel ausgezeichnet. Und die ganze Fahrt über machte ich mir meine Gedanken über die Zukunft dieses meines Vater-und Mutterlandes. 6000 sind laut Radio DDR wieder über Prag ausgereist. Sie können problemlos durch Vorlage ihres Personalausweises die Grenze von der CSSR zur BRD passieren. Reisepässe hatte man ja keine. Was war das vor Kurzem noch für ein Riesenwerk mit der Ausreise per Visum ! Ich hätte die fröhlichen Leute mal gerne gefragt, welche Vorstellungen sie von ihrer Zukunft haben. Und dann drei Jahre später nochmal fragen, was sich davon erfüllt hat. Diese vorübergehende Regelung soll bis zum Inkrafttreten eines Reisegesetzes gelten. Das REISEGESETZ ! Die wollen ihren Untertanen immer noch vorschreiben, wie wann wo & wie lange sie Reisen oder nicht Reisen dürfen ! Und wenn die Arbeiter-und Bauernmacht, sprich Parteimacht, wieder gefestigt ist, gibt´s wieder ein neues Reisegesetz ? Die Ausreisenden glauben und vertrauen der Zentrale nicht mehr und packen schnell noch ihre Sache und raus geht´s noch via Praha! In den DDR-Nachrichten kam noch, dass Wehrpflichtige von der Fahne weg im Gesundheitswesen eingesetzt werden würden.
Posted on: Mon, 04 Nov 2013 22:58:23 +0000
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