Heute ist Samstag. Samstags sind die Demos auf dem Taksimplatz. Sie sollen ein Zeichen der Solidarität sein, nach der Auflösung der Besetzung des Gezi Parks. Die Vorboten waren schon am frühen Nachmittag auch in anderen Stadtteilen zu sehen; Straßenverkäufer, die Fahnen verkauften, daneben Taucherbrillen und einfache Masken gegen den Pfefferspray. Als ich gegen 17.00 Uhr aus der Metrostation Sishane heraus kam, weit unterhalb des Taksimplatzes, war ein großes Polizeiaufgebot zu sehen. Sie hatten sich an den Straßenkreuzungen aufgestellt. Gegen 18.00 Uhr sah man eine ungewöhnlich große Menge an Menschen den Istiklal Boulevard, die Hauptstraße, die zum Taksimplatz führt, entlang laufen. Als wir mit meiner Tochter gegen 19.00 Uhr zum Taksimplatz wollten, war es durch die große Menschenmenge dort nicht mehr möglich. Wir stellten uns an den Rand des Taksimplatzes. Eigentlich tat die Menschenmenge nichts, Reden werden dort nicht gehalten, weil die Gespräche in den Foren geführt werden. Es gab keine Bühne, keine vorne und kein hinten. Die Leute standen herum, redeten miteinander, tranken Tee und Cola, einige machten Musik, andere riefen Parolen. Die Nervosität wurde durch die unglaubliche Polzeipräsenz erzeugt und als es dunkel wurde dadurch, dass die Stadtverwaltung die Straßenbeleuchtung auf dem Platz nicht einschaltete. Eine riesige Menschenmenge im Dunkeln. Gegen 21.00 Uhr rief der Muezzin der Moschee am Taksimplatz zum Abendgebet. Meine Tochter sagte, es sei jetzt an der Zeit, die Gasmasken aufzusetzen, da die Polizei immer nach dem Muezzinruf zum Angriff ansetzen würde. Übrigens ein Islamverständnis, über das ich als überzeugte Muslimin mal gerne mit den Verantwortlichen diskutieren würde; man wartet den Muezzinruf ab, damit man nicht währenddessen auf die Demonstranten losgeht und sich "versündigt". Aber danach "darf" man auf die Demonstranten los! Tatsächlich riefen die Leute, die sich oberhalb von uns platziert hatten; "Die Wasserwerfer kommen!" Ich konnte von weitem sehen, wie die Polizei auf Menschen eindrosch und sie mitnahm. Jetzt bekam auch ein Schild, das einige Demonstranten hochhielten, einen Sinn. Darauf stand "WIR SIND ALLE ZEUGEN!" Die Polizei drängte einen Teil der Demonstranten vom Platz weg, der Rest wurde eingekesselt. Ich war wie betäubt, wir waren bei den Eingekesselten, zusammen mit Touristen und weiteren älteren Damen. Meine Tochter nahm mich bei der Hand und führte mich auf einem Schleichweg raus, vorbei an hustenden und keuchenden Menschen. Wir hatten ja Gott sei Dank die Gasmasken auf. Als ich später die Maske abnahm, weil wir aus der Wolke raus waren, bekam ich eine Andeutung davon, was Pfeffergas anzurichten vermag; während ich das schreibe, brennen meine Nase und mein Hals immer noch.
Posted on: Sat, 29 Jun 2013 21:47:16 +0000
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