Kairo: Neue Recherchen geben Armee Schuld an Massaker Von Ulrike - TopicsExpress



          

Kairo: Neue Recherchen geben Armee Schuld an Massaker Von Ulrike Putz, Beirut Zusammenstöße in Kairo: Massaker im Morgengrauen Fotos AFP Ägyptens Militär macht die Muslimbrüder für die 55 Toten bei Zusammenstößen in Kairo am 8. Juli verantwortlich. Doch umfangreiche Recherchen des "Guardian" zeigen: Die Armee eröffnete offenbar in einem Zwei-Fronten-Vorstoß das Feuer auf friedliche Demonstranten. 54 tote Demonstranten, ein getöteter Soldat: Der 8. Juli 2013 war einer der blutigsten Tage in der jüngeren Geschichte Ägyptens. Im Morgengrauen kam es an jenem Montag vor der Zentrale der Republikanischen Garden in Kairo zu Zusammenstößen zwischen den Anhängern des fünf Tage zuvor abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und Sicherheitskräften. Die Schüsse waren kaum verklungen, da begann ein erbitterter Kampf um die Deutungshoheit über die Ereignisse. Armee und Polizei behaupteten, bewaffnete Anhänger der Muslimbrüder hätten versucht, die Zentrale der Garde zu stürmen, weil sie den dort vermuteten Mursi hätten befreien wollen. 15 mit Schusswaffen ausgerüstete Männer auf Motorrädern hätten den Angriff angeführt, so die Behörden. Die ägyptischen Medien verbreiteten diese Variante, ohne sie zu hinterfragen: Zeitungen und Fernsehen am Nil berichten seit dem dortigen Militärputsch stramm linientreu. Die Version der Mursi-Leute, wonach die Armee - ohne provoziert worden zu sein - während des Frühgebets das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnet habe, fand kaum Gehör: Den Muslimbrüdern nahestehende TV-Sender sind seit dem Umsturz verboten. Armee hat zuerst geschossen Nun hat die britische Zeitung "The Guardian" die Ereignisse vor dem Eingangstor zu dem weitläufigen Areal der Garde mit viel Aufwand rekonstruiert. Das Ergebnis: Die Version des ägyptischen Militärs kann nicht stimmen. Nach den Recherchen, für die der "Guardian"-Mann in Kairo, Patrick Kingsley, 31 Interviews mit Augenzeugen, Anwohnern und Klinikpersonal führte, gab es den angeblichen Angriff der Motorradbande nicht. Stattdessen deute alles daraufhin, dass die Armee einen koordinierten Angriff auf die weitgehend unbewaffneten und friedlichen Islamisten unternommen habe, schreibt Kingsley. Der Reporter stützt sich auch auf Videos, die von Anwohnern und Demonstranten aufgenommen wurden. Sie dokumentieren, was wirklich in der von den Demonstranten errichteten Zeltstadt im Stadtteil Nasr City geschah. Als der Imam an jenem verhängnisvollen Morgen zum Fadschr, dem Gebet vor Sonnenaufgang rief, zeigte die Uhr 3.17, schreibt Kingsley. Hunderte Demonstranten reihten sich ein, um sich im gemeinsamen Gebet gen Mekka zu verbeugen. Die meisten Befragten hätten bestätigt, dass während des zweiten und letzten Kniefalls des Gebets auf einmal Lärm zu hören gewesen sei: Die am Rande der Demo postierten Wachen hätten Metallteile gegeneinander geschlagen, um Alarm auszulösen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Armee mit Panzerwagen und Infanterietruppen von zwei Seiten auf die Menge vorgerückt. Die Uniformierten hätten zuerst Tränengaskartuschen, dann - ab 3.40 Uhr und ohne weitere Vorwarnung - Schrot und scharfe Munition verschossen, sagen Kingsleys Quellen. Erst gut drei Stunden später, gegen 7 Uhr morgens, hätten die Waffen wieder geschwiegen. Gewalt auch von Demonstranten Kingsley ist sich bewusst, dass sein Report in Ägypten auf Unglauben und vehemente Ablehnung stoßen wird. Von der staatlichen Propaganda abweichende Wahrheiten werden dort derzeit nicht toleriert. Umso mehr bemüht sich der Journalist, seine Vorgehensweise während der Recherche zu dokumentieren. Kingsley entkräftet die Aussagen zweier Anwohnerinnen, die nach dem Blutbad als Zeuginnen für die Armee durch die Talkshows getingelt waren. Beide stützten dabei die Behauptung, die ersten Schüsse seien von Seiten der Mursi-Anhänger abgegeben worden. Doch Kingsleys Nachforschungen zufolge kann keine der Frauen das wissen: Beide gaben dem "Guardian" gegenüber zu, erst aus ihren Fenstern geschaut zu haben, als die Schießerei bereits in vollem Gang war. Die Armee hatte kurz nach den Vorfällen Bildmaterial gezeigt, auf denen zu sehen war, dass mindestens drei Islamisten mit einfachen Pistolen bewaffnet waren. Auch war auf den Videos zu sehen, wie Mursi-Anhänger Brandbomben auf Sicherheitskräfte warfen. Kingsley bestreitet nicht, dass es auch auf Seiten der Demonstranten zu Gewalt gekommen ist: Sein Interesse gilt der Frage, wer angefangen hat. Die im "Guardian" dokumentierten Aussagen setzen ein Puzzle zusammen: Verletzte zeigen ihre Schusswunden, Anwälte und Ärzte berichten, was sie gesehen und gehört haben. Eine Frau, die von 75 Schrotkugeln teils in die Lunge getroffen wurde, zeigt ihre Röntgenbilder. Nur die Armee wollte sich nicht zu dem von ihr angerichteten Blutbad äußern: Vier Anträge Kingsleys, mit in den Straßenkampf vom 8. Juli verwickelten Soldaten zu sprechen, wurden abgelehnt.
Posted on: Mon, 23 Sep 2013 05:44:36 +0000

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