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Klartext zu Parallelwährungen. Weitergeleiteter Artikel aus der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 18.09.2013, Seite 28: Parallelwährungen für den Euro-Raum Ein Mittel zur graduellen Problemlösung Von Dirk Meyer Fortschritt ohne Irrtum ist nicht denkbar. Die Schaffung des Euro ist ein Experiment, bei dem die Politik zwei wesentliche Bedingungen missachtet hat. Zum einen wurde das Beistandsverbot ausgehebelt und stattdessen die gemeinsame Haftung für Fehler einzelner Mitglieder zum Programm gemacht, zum anderen ist eine Fehlerbegrenzung durch Austritt aus dem Euro-Raum vertraglich nicht vorgesehen. Die Debatte um eine Einführung von Parallelwährungen ist der Versuch, das Dilemma zwischen der ökonomischen Notwendigkeit einer Schadensbegrenzung und der politischen Gesichtswahrung eines Erhalts des Euro-Währungs-Raumes in seiner jetzigen Zusammensetzung zu lösen. Krisenstaaten erhalten die Möglichkeit, bei politischen Blockaden den Anpassungsdruck nicht allein der Realwirtschaft durch Lohnsenkungen und Produktivitätsfortschritte aufzuerlegen, sondern über das Wechselkursventil ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Normativ steht hinter dem Vorschlag die Absicht, den Umbau in eine dauerhafte «Transferunion» zu stoppen. Ein idealer Kompromiss Welchen Anforderungen hätte ein Parallelwährungsregime zu genügen, um als Operation am offenen Herzen zumindest als geeignet und wählbar zu gelten? Sie setzt eine breite politische Akzeptanz voraus, ohne die selbst eine First-Best-Lösung keine Chance zur Durchsetzung hätte. Will man dabei die Europäische Union nicht aufs Spiel setzen, so muss die Einführung des neuen Regimes seine Grundlage innerhalb der Europäischen Verträge (EUV und AEUV) finden. Sodann sind ausufernde ökonomische Kosten zu vermeiden. Hierzu zählen Kapitalflucht, Bank-Runs sowie Dominoeffekte, die die gesamte Währungsunion gefährden könnten. Schliesslich soll die Parallelwährung einen Prozess der Krisenlösung graduell in Gang setzen, der das Verbot des finanziellen Beistands und der monetären Staatsfinanzierung respektiert. Ordnungspolitischer Hintergrund ist das Spannungsverhältnis, welches das Konzept einer Marktintegration und das einer institutionellen Integration seit Gründung der EU kennzeichnet. Kern der Marktintegration sind das Binnenmarktprinzip mit den vier Grundfreiheiten des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, eine Harmonisierung durch Wettbewerb. Dem entgegen steht die institutionelle Integration, die auf den Prinzipien der Zentralisierung und einer gemeinschaftlich-staatlichen Harmonisierung beruht. Die europäische Gemeinschaftswährung entspricht diesem zentralistischen Ansatz. Sie setzt jedoch eine funktionierende Integration der Güter- und Faktormärkte durch Wettbewerb voraus, will man eine «Transferunion» vermeiden. Der derzeitige Zustand der Währungsunion zeigt einen aufgestauten Bedarf an Wechselkursanpassungen, der sich in Leistungsbilanzüberschüssen bzw. -defiziten einzelner Länder widerspiegelt. Während in Griechenland bei überbewertetem Euro der Importsektor implizit subventioniert und der Export- bzw. Importsubstitutionssektor implizit besteuert werden, gilt dies für Deutschland bei unterbewertetem Euro in umgekehrtem Sinne. Die Folge sind verzerrte Produktions- und Handelsstrukturen, die dem Prinzip eines unverfälschten Wettbewerbs widersprechen. Das Parallelwährungs-Konzept kann dieses Spannungsverhältnis überwinden helfen. Es bietet die Möglichkeit einer abgestuften (Des-)Integration bei Erhalt des Euro. Es impliziert eine «Entnationalisierung des Geldes» unter dem Geldschöpfungsmonopol der Europäischen Zentralbank (EZB), ergänzt durch eine «Renationalisierung des Geldes bei Währungswettbewerb im Land». Ein «voting by feet» ermöglicht die Abwanderung bei einer nicht präferenzgerechten Währung bzw. Geldpolitik und ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Parallelwährung bietet ein marktwirtschaftliches Substitut für einen Austritt, den der Euro-Währungs-Konstruktivismus politisch nicht zulässt. Einfügung in Verträge ist möglich Die rechtlich umfassendste und sicherste Lösung zur Einführung von Euro-Parallelwährungen wäre das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6/7 EUV). Dieses ist zugleich das verfahrensmässig aufwendigste und wegen der hohen Anforderungen an die Zustimmung auch die unsicherste Variante. Konkret könnte Art. 136 AEUV um die Punkte Austrittsrecht, Möglichkeit zur Einführung von Parallellwährungen und Ausschluss bei dauerhaftem Verstoss gegen die Konvergenzkriterien ergänzt werden (vgl. Abbildung). Alternativ und dem Krisenmodus der Währungsunion geschuldet könnte im Einzelfall eine Ermächtigung durch die Union (Art. 2 Abs. 1 AEUV) erfolgen. Diese ermöglicht eine nationale gesetzliche Regelung in den Fällen, in denen die EU eine ausschliessliche Zuständigkeit besitzt, also auch für den Bereich der Währung (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Kritisch liesse sich einwenden, dass es sich hier um einen notstandsrechtlichen Weg handelt, der lediglich dann systemrational wäre, wenn er zurück zu einem einheitlichen und funktionsfähigen Euro-Währungs-Gebiet führen würde. Die Währungsunion würde in beiden Fällen fortan aus zwei unterschiedlichen Arten von Status bestehen. A-Staaten wären Mitglied der Euro-Zone. Sie würden die Geldpolitik der EZB mitbestimmen und könnten zudem unabhängige Landeswährungen einführen. Der Euro wäre eine nationalen Währungen gleichgestellte Parallelwährung. Der Mitgliedstaat hätte faktisch eine gespaltene Währungssouveränität. Deshalb wäre eine klare Trennung der Notenbank in zwei Bereiche (Euro und Landeswährung) notwendig. Bei dauerhafter Verletzung der Konvergenzkriterien führte ein Automatismus zum Erlöschen des A-Status. Demgegenüber stünden die B-Staaten ausserhalb des Euro-Währungsgebietes als Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung (Art. 139 AEUV) unter rein nationaler Währungssouveränität. Eine geldpolitische Steuerung im Rahmen der Gremien der EZB wäre nicht mehr möglich und der direkte Zugang zu dem Euro-Zentralbankgeld versperrt. Jedoch bliebe diesen B-Staaten weiterhin die Möglichkeit, den Euro als Zahlungsmittel und Anlagewährung zu nutzen, ähnlich wie es in Montenegro, Andorra, Monaco und San Marino geschieht. Da gemäss Art. 136 Abs. 3 AEUV der zu errichtende Stabilitätsmechanismus nur die «Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist» (Euro-Raum) betrifft, wären die B-Staaten von den Rettungshilfen ausgeschlossen. Vertragskonform möglich wären Kredithilfen (Art. 123 f. AEUV) und Währungsbeistand (Art. 143 f. AEUV), wie sie Lettland, Ungarn und Rumänien erhalten haben. Kritische Sicht der Vorteile . . . Parallelwährungen entstehen vornehmlich, wenn das gesetzliche Geld entweder zu knapp (Überschuldung, Kreditklemme) oder zu reichlich ist (Inflation). Ist der Euro beispielsweise in Griechenland zu knapp, könnte der Staat seine Zahlungen in Schuldscheinen unter Annahmezwang vornehmen. Die Darlehenskassenscheine des Deutschen Reiches (1914-1922) könnten als Vorbild dienen. Um die Akzeptanz zu steigern, liesse sich das Staatsvermögen in einen Fonds auslagern und als Aktiva der Notenbank übertragen. Verkäufe würden die Bilanz verkürzen und die Schuldensituation entspannen. Inflationiert der Euro hingegen, hätten deutsche Bürger die Möglichkeit, sich durch die Wiederwahl der Mark gegen eine Entwertung ihres Geldvermögens zu schützen. Die gute Währung würde die schlechte verdrängen (Anti-Greshamsches Gesetz). Auf europäischer Ebene läge die Neuauflage der «Dominanz der Deutschen Mark» auf der Hand. Bei Auf- bzw. Abwertungserwartungen kann ein kurzfristiges Überschiessen des Wechselkurses nicht ausgeschlossen werden. Eine schrittweise Anpassung (Crawling Peg) könnte dies verhindern, würde aber Spekulanten sichere Gewinne auf Kosten der Notenbank ermöglichen. Gegenüber einer vollständigen Ablösung vom Euro hätte die Einführung einer Parallelwährung eine Reihe von Vorteilen. Soweit das Umstellungsgesetz die Fortführung liquider Geldvermögen in Euro garantiert, würden auch im Fall einer abwertenden Währung wie der Drachme kaum Anreize zu einer Kapitalflucht bestehen und die Gefahren eines Bank-Runs wären gebannt. Die Wahrscheinlichkeit einer Illiquidität von Banken würde gemindert und damit auch die von Dominoeffekten für das Bankensystem weiterer Euro-Staaten. Während das Umstellungsgesetz für Altverträge nach nationalem Recht die Fortführung in der neuen Währung vorgeben kann, entfällt für Verträge nach ausländischem Recht das juristisch und ökonomisch heikle Problem der Denomination. Sie gelten in Euro fort. Da der überwiegende Teil der griechischen Staatsschulden nach ausländischem Recht begeben wurde, wäre ein weiterer Schuldenschnitt wohl unvermeidlich. Eine Ansteckungsgefahr mit möglicherweise unkontrolliertem Zusammenbruch des Euro-Raums würde jedoch vermieden, da die Schuldtitel zu 90% bei der EZB und den Rettungsschirmen liegen. Zugleich würde eine abwertende Drachme die internationale Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands verbessern. Da die Anpassung der Währungsrelationen sofort, die Mengenreaktionen bei Im- und Exporten jedoch zeitversetzt einsetzen würden, ist kurzfristig mit einer Verschlechterung der Leistungsbilanz zu rechnen (J-Kurven-Effekt). Mittelfristig würden flexible Wechselkurse bestehende Preisverzerrungen korrigieren, die Exportbasis verbreitern sowie Importsubstitution fördern. Entgegen einer ausschliesslich internen Abwertung durch Lohn- und Einkommenskürzungen mit ihren harten sozialen Folgen würde die Anpassungslast dank Parallelwährung auch auf den Wechselkurs gelegt und die Preisrelation zwischen in- und ausländischen Gütern zur Lastenverteilung genutzt. Allerdings bestünde die Gefahr nachholender Lohnsteigerungen zum Ausgleich der Kaufkraftverluste. Zudem könnte auch eine Abwertung notwendige Strukturreformen langfristig nicht ersetzen. . . . und der lösbaren Schwierigkeiten Die Nutzung zweier Währungen erhöht tendenziell die Transaktionskosten. Der technisch-praktische Aufwand zweier zirkulierender Währungen dürfte angesichts bargeldloser Zahlungsströme und elektronischen Geldes nur unwesentlich steigen. Darüber hinaus dürfte sich eine Währung zumindest als Zahlungsmittel durchsetzen. Lediglich bei einer nationalen Weichwährung würde die Wertaufbewahrungsfunktion zusätzlich in Euro stattfinden. Allenfalls könnten Kurssicherungskosten im Falle einer kleinen Währung spürbar werden. Zu bedenken sind auch Bilanzeffekte einer Weichwährung. Umsätze aus Verkäufen sowie Löhne, Mieten und Zinszahlungen würden zukünftig - notfalls per Dekret - in der nationalen Währung anfallen. Die Euro-Kredite für in der Vergangenheit finanzierte Investitionen wären jedoch zurückzuzahlen. Dies verursacht bei Unternehmen Bilanzlücken. Um einerseits Bilanzeffekte zu vermeiden, andererseits jedoch keinen Anreiz zur Kapitalflucht und zu Bank-Runs zu geben, könnte das Währungsgesetz regeln, dass lediglich das Euro-Bargeld, Sichtguthaben sowie kurzfristige Spar- und Termineinlagen in Euro fortgeführt würden. Alle anderen Forderungen und Verbindlichkeiten mit Ausnahme derjenigen nach ausländischem Recht wären auf die neue Währung umzustellen. Damit wären die bilanziellen Ungleichgewichte auf die Geschäftsbanken verlagert. Bei einer angenommenen Abwertungsrate der neuen Drachme von 30% entstünde im griechischen Bankensektor eine Bilanzlücke von 4,3% der Bilanzsumme, entsprechend 23 Mrd. €. Um Bankenzusammenbrüche zu vermeiden, könnten der Staat oder die Zentralbank Ausgleichsforderungen vergeben, welche die Bilanzverluste zielgenau kompensieren würden. Alternativ könnte dies ein Lastenausgleichsfonds übernehmen. Wenn Bargeld und kurzfristige Geldforderungen in Euro durch das Umstellungsgesetz vor Abwertungen geschützt sind, wäre eine einmalige Vermögensabgabe auch verteilungspolitisch zu rechtfertigen. Seitens der griechischen Notenbank bestehen gegenüber der EZB fällige Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit den ausgegebenen Euro-Bargeldbeständen, den Target-2-Krediten sowie den ELA-Massnahmen. Um das Problem kurzfristig-formal zu lösen, könnte die EZB im Rahmen von Offenmarktgeschäften griechische Staatsanleihen als vorrangiger Gläubiger gegen Euro-Guthaben aufkaufen. Im Gegenzug würde die griechische Notenbank diese Einlagen zur Ablösung ihrer Währungsverbindlichkeiten nutzen können. Die Verbindlichkeiten würden dann EU-Vertrags-gemäss als Staatskredit transformiert werden (Kredithilfen gemäss Art. 123 f. AEUV). Zusammengefasst könnte eine kontrollierte Einführung von Parallelwährungen zum Euro die Blockade von Recht und Politik überwinden und als Beschleuniger für eine reformierte europäische Währungsordnung wirken. Denn wird erst der Druck der Marktkräfte zu gross, sprengt er die institutionellen Regeln des Rechts. Das zeigt das Beispiel der Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Jugoslawiens in den neunziger Jahren, wo Dollar und Deutsche Mark als illegale Parallelwährung das staatliche Währungsmonopol ausgehebelt und in einem krisenhaften, instabilen Prozess den Übergang zu einem anderen Währungsregime erleichtert haben. Als Folge der Kapitalverkehrskontrollen auf Zypern lässt sich bereits heute ein gespaltener Wechselkurs des zypriotischen Euro nach Höhe der Bankguthaben, der Überweisungsaufträge, dem Zweck der Überweisung und der Zeitperiode beobachten. Ökonomen spekulieren nicht bloss über Parallelwährungen, sondern es werden im Euro-Raum bereits solche geführt. Weiterführende Literatur Hayek, F. A. v.: (1977), Entnationalisierung des Geldes, Tübingen. Meyer, Dirk: (2012), Euro-Krise - Austritt als Lösung?, Reihe Wirtschaft aktuell, LIT Verlag, Münster 2012. Meyer, Dirk: (2012), Currency Disintegration and the Problem of Denomination - The Currency Debt in Existing Contracts, in: Journal of International Banking Law & Regulation, Vol. 27, Issue 12, pp. 513-519. Seidel, Martin: (2012), Austritt aus der Währungsunion - eine freie Entscheidung Griechenlands, in: Meyer, Dirk (Hrsg.), Zur Zukunft Europas und der Währungsunion, LIT-Verlag, Münster 2012, S. 157-163. Vaubel, Roland: (1990), Currency Competition and European Monetary Integration, in: The Economic Journal, vol. 100, pp. 936-946.
Posted on: Thu, 19 Sep 2013 08:38:41 +0000

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