Lesenswert! Mein Leben in Israel Seit zwanzig Jahren berichte - TopicsExpress



          

Lesenswert! Mein Leben in Israel Seit zwanzig Jahren berichte ich unter anderem für die "Zeit" über den Nahen Osten, wo die Konflikte nicht abreissen. Ist Frieden grundsätzlich überhaupt möglich? Was sind die wesentlichen Erkenntnisse meines Korrespondentenlebens in einer der umstrittensten Gegenden der Welt? Von Gisela Dachs Um gleich zu Anfang einen Zweifel anzumerken: Manchmal frage ich mich, ob wir Auslandskorrespondenten mit unserer Arbeit nicht alle auf die eine oder andere Weise gescheitert sind. Denn wie sonst liesse sich erklären, dass so viele Besucher, die zum ersten Mal nach Israel kommen, erstaunt sagen: Nein, sooo hätten sie sich das Land überhaupt nicht vorgestellt. Was sie überrascht, sind die Normalität und die Vitalität dieses nahöstlichen Inseldaseins. Dazu gehören die Modernität (nicht nur) Tel Avivs, auf dessen Strassen schon lange keine Kamele mehr herumlaufen, eine mehrheitlich säkulare jüdische Bevölkerung ebenso wie die Existenz palästinensisch-israelischer Staatsbürger. Eben nicht nur Siedler, Soldaten und Ultraorthodoxe. Zwischen Weltkrieg und Weltfrieden Ich kam wenige Monate nach dem Osloer Abkommen im Herbst 1993 nach Israel, um den zunächst vielversprechenden Friedensprozess journalistisch zu begleiten. Allzu viel hat sich seither aber nicht verändert. Mit den Umstürzen in der arabischen Welt haben sich nun die Prioritäten verlagert, aber es wird natürlich weiterhin aus Israel und über die Palästinenser berichtet. Nicht nur weil es hier – immer noch – viele Korrespondenten gibt, sondern auch weil dieses Land jedem im Westen, der mit der Bibel aufgewachsen ist, vertraut ist. Jerusalem gilt nicht als irgendeine ferne Stadt, es ist die Wiege der grossen drei monotheistischen Religionen. In manchen Köpfen schwirrt tatsächlich die sehnsüchtige Vorstellung, dass der Frieden hier zum Weltfrieden führen würde. Das Gegenstück dazu heisst Weltkrieg. Manche Reporter sind entsetzt, wenn sie erstmals nach Gaza reisen, und empören sich über den krassen Gegensatz zu Tel Aviv. Da die Armut, dort die schicken Bars und Restaurants, die im Übrigen ja auch nicht überall in Israel existieren. Aber – einmal abgesehen von der Konfliktlage, die beide miteinander verbindet – müsste man die palästinensischen Verhältnisse nicht eher mit denen ihrer ägyptischen Nachbarn vergleichen? In den Vororten von Kairo sieht es nicht anders aus, und auch dort sind die Islamisten populär. Was muss man vergleichen? Was darf man vergleichen? Womit wir bei einer prinzipiellen Asymmetrie in der Eigenwahrnehmung angekommen sind. Die Palästinenser sehen sich als schwache Partei gegenüber einem hochgerüsteten Israel, das viel stärker ist. So nimmt auch Europa in der Regel diesen Zweierkonflikt wahr, bei dem es Besatzer und Besetzte gibt. Die Israelis wiederum aber sehen sich als winziges Land versus die gesamte arabische Welt, die Palästinenser sind nur ein winziger Teil davon, oft genug nur ein Spielball. Die Kriege der vergangenen Jahre waren asymmetrische Kriege. Auseinandersetzungen mit bewaffneten Milizen oder Terrororganisationen sind Imagekriege. Es ist für Israel schwer, solche Kriege zu gewinnen. Das weiss die Hamas genauso wie die Hisbollah. Denn: Fügen sie Israel Schaden zu, wenn auch proportional viel weniger als umgekehrt, lassen sie sich als Sieger feiern. Müssen sie viele Opfer hinnehmen, lassen sie sich als Märtyrer feiern. Tote aber sind Tote, und über sie muss man berichten. Die Realität ist zwar oft brutal, aber längst nicht immer so schrill. Die Grautöne einer Normalität, wie es sie vielleicht nur in Israel gibt, habe ich oft in Gesprächen gefunden, die nach einem Interview stattgefunden haben, wenn das Tonbandgerät abgeschaltet und das Notizbuch beiseitegelegt wurde. Palästinenser haben da oftmals das genaue Gegenteil behauptet von dem zuvor on the record. So wie die Mutter eines palästinensischen Selbstmordattentäters in Gaza, die ihren «patriotischen» Sohn mir gegenüber im Gespräch erst stoisch lobte und dann später ihren Tränen freien Lauf liess und ihrer Wut über die «feigen» Hintermänner, die ihn manipuliert und in den Tod geschickt hatten. In der palästinensischen Presse hat man darüber sicher nichts lesen können. 9/11 als Erfindung der Medien Es gab aber auch Offenbarungen ganz anderer Art, die mich zum Nachdenken über meine -Rolle und meine ethischen Standards gebracht haben. Dazu gehört ein langes Gespräch mit einem der Hamas-Gründer in Gaza, Ismail Abu Schanab, in nahezu perfektem Englisch; das hatte er bei seinem Ingenieurstudium in den USA gelernt. Der Mann in seiner weissen langen Dschallabija (der später von einer israelischen Rakete getötet wurde) schwärmte von seinen amerikanischen Jahren, nur die Regierungen in Washington mochte er nicht, weil sie ja bekanntermassen «von zionistischer Hand» geleitet würden. Als wir auf die Anschläge vom 11.September zu sprechen kamen, griff er zu ¬einer Konspirationstheorie, die ich bis dahin noch nicht gehört hatte: Er tat die Attentate als «reine Erfindung der Medien» ab. Aus seiner Sicht hatten sie gar nicht stattgefunden. Glaubte er das wirklich? Darf man so einen Mann, fragte ich mich damals, überhaupt noch zitieren? Ich hatte ihn schliesslich ganz aus meiner Geschichte über die Hamas herausgelassen. Bewegt hat mich die ehrliche Frage eines jungen Hisbollah-Manns im Aufzug des Fernsehsenders der Organisation, al-Manar, als keiner zuhörte: ob das denn vielleicht wirklich stimme mit dem Holocaust. In seinen Kreisen werde das als reine Propaganda der Zionisten abgetan. Ein anderer libanesischer Teenager bekundete seine Liebe zu Hitler, Mercedes und Bayern München und konnte gar nicht verstehen, warum mich das aufregte. An meine Grenzen kam ich in ¬einem Studio von al-Manar, wo mir angebliche Szenen aus dem israelischen Staatsfernsehen vorgeführt wurden. Es war eine unglaublich schlecht imitierte Beerdigungsszene religiöser Juden, die fast schon wieder ans Komische grenzte. Ich ¬konnte aber nichts zur Fälschung sagen, mein Insiderwissen aus Israel hätte mich verdächtig gemacht. Viele Nahostkorrespondenten, die in Israel stationiert sind, reisen in Länder, die offiziell zu Israels Feinden gehören. Mir fällt dieser Spagat zunehmend schwer. Anders als seine Nachbarländer verfügt Israel über eine offene Medienlandschaft. Israelis haben keine Probleme, ihre Meinung offen auszudrücken, und begrüssen es, wenn ihre Journalisten Skandale aufdecken. Sie ertragen kritische Stimmen in den eigenen Medien ganz gut, aber manche tun sich schwer, wenn ihre schmutzige Wäsche draussen in der Welt, von den Auslandsberichterstattern, gewaschen wird. In diesem Imagekrieg spielt dann auch immer eine alte, tiefsitzende jüdische Angst mit. Viele Einwanderer schauen und ¬lesen Nachrichten, die in ihren Herkunftsländern verbreitet werden, auch oder allein, um zu wissen, wie über Israel berichtet wird. Heute ist fast alles via Satellit, Kabel oder ¬Internet zugänglich, immer mehr auch in der arabischen Welt. Ob das den Nahen Osten verändern wird, ist fraglich. Aber manches geht, was früher nicht möglich war. Ein israelischer Student erzählte mir vom Kreis seiner Facebook-Freunde, zu dem Iraker gehören. Junge Israelis tauschen auch mit jungen Iranern auf diese Weise Botschaften aus. Über fast alles wird heute schneller, unmittelbarer berichtet als früher; in einer Medienlandschaft, die ¬unübersichtlicher geworden ist. Gnade der Erschöpfung Ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren viel erlebt. Den Abzug der israelischen Armee aus Jericho, die Rückkehr Arafats nach Gaza, seine letzten Tage in der Mukata, wo ich eine ausländische Diplomatendelegation begleiten konnte; die Ermordung Rabins und die Trauer im Land, Terrorwellen und die Angst auf den Strassen und in Autobussen, den israelischen Abzug aus Gaza, einen Libanonkrieg und zwei Gazakriege, den letzten begleitet von Raketen auf Tel Aviv. Eine hat unweit meiner Wohnung ins Meer eingeschlagen. Ich habe Flüchtlingslager im Libanon besucht, über König Husseins Beerdigung in Amman berichtet und die Anfänge von Al Dschasira in Katar beschrieben. Am meisten gelernt aber habe ich als Zuhörerin bei langen Gesprächen zwischen Israelis und Palästinensern, nicht auf einem Podium vor einer grossen Zuhörerschaft, was oft zu Rollenspielen verleitet, sondern im privaten Rahmen. Eine Zeitlang fanden solche Begegnungen bei mir zu Hause statt, als ich noch in Jerusalem lebte. Die Neugierde auf beiden Seiten war gross. Ich hatte viel begriffen von der alltäglichen Misere der Palästinenser unter Besatzung und ihrer Enttäuschung über die Korruption innerhalb der damals gerade erst geschaffenen Autonomiebehörde, ebenso wie von den tiefsitzenden – jüdischen – Existenzängsten der Israelis, die aus der Ferne nicht immer nachvollziehbar sind. In diesen Zeiten vor der zweiten Intifada brauchte man von Jerusalem nach Ramallah mit dem Auto nur eine Viertelstunde; unterwegs hatten einen erst israelische Soldaten und dann palästinensische Polizisten durchgewunken. Für Journalisten, die erst später hier ihre Zelte aufschlugen, klingt das wie eine schöne Utopie. Warum sollte nicht wieder möglich sein, was schon einmal möglich war? Ich halte die Zweistaatenlösung nach wie vor für den einzigen realistischen Ansatz. Ein Datum kann ich nicht angeben, aber ich halte es im Prinzip mit dem grossen Schriftsteller Amos Oz. Früher oder später werde der Konflikt enden, sagte er gerade im Gespräch, «mit zusammengebissenen Zähnen und Zorn und Enttäuschung und verletzten Gefühlen, weil beide Seiten allmählich erschöpft sind, wenn auch noch nicht schnell genug, die Palästinenser, die Israelis, die Araber, und Erschöpfung ist das beste Mittel für internationale Konflikte». Derzeit sieht es so aus, als rechneten sich die Führungen auf beiden Seiten für den Fall eines Abkommens politisch immer noch mehr Verluste als Gewinne aus. Aber im Nahen Osten darf und sollte man nie etwas ausschliessen, das hat mich die Erfahrung gelehrt. Bemerkenswert ist, dass nicht nur Israel, sondern auch die Palästinenser von der Chaoswelle ausgespart sind, die gerade die Region überrollt. Das macht eher Hoffnung, genauso wie die Tatsache, dass Israel mit seinen freien Medien und dem liberalen Obersten Gerichtshof für viele Palästinenser immer auch als Modell für ihren eigenen künftigen Staat galt. Ein Pessimist, so heisst es, sei einfach nur ein Realist im Nahen Osten. Es ist aber weniger mein Optimismus, der mir im Lauf der Jahre abhandengekommen ist, als die Naivität, zu glauben, dass ein Friedensabkommen endgültig Ruhe bringen wird. (aus: "Weltwoche" vom 3.10.2013)
Posted on: Sat, 05 Oct 2013 14:34:39 +0000

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