Leseprobe "Maimarktmord" Dies ist eine unlektorierte Leseprobe. - TopicsExpress



          

Leseprobe "Maimarktmord" Dies ist eine unlektorierte Leseprobe. Wer Druckfehler findet, darf sie behalten. Elke Lukassow stockte der Atem. Nicht weil die Gestalt da oben in luftiger Höhe in der typischen Haltung eines Gehenkten ihr Angst machte. Viel zu oft in ihrem langen Berufsleben hatte sie schon ganz andere Eindrücke verarbeiten müssen. Ihre letzten achtzehn Dienstjahre hatte sie schließlich bei der Heidelberger Mordkommission verbracht. Nein, der Anblick des träge im leichten Morgenwind schwingenden Körpers, hoch über der gaffenden Menge, erinnerte sie in fataler Weise an einen schon lange zurückliegenden Mordfall. Damals hatten die Täter die Leiche eines Lokalpolitikers an das größte transportable Riesenrad Europas gebunden. (Die Raben vom Mathaisemarkt, Heyne Taschenbuch) Es war beinahe schon gespenstisch: auch damals hatten die Mörder ein beliebtes Volksfest als Bühne für die perverse Zurschaustellung genutzt. Sie folgte ihrem uniformierten Kollegen durch die Menschenmenge, registrierte die nach oben gereckten Köpfe, die gezückten Handys und Kameras und die kleinen Kinder auf den Schultern von Vätern, großen Brüdern und Onkeln, damit sie auch ja nichts verpassten ... Sie erreichten den Zeltpavillon der eine Sitzgruppe, mehrere Vitrinen mit Kranmodellen und einen großen Monitor beherbergte, auf welchem spektakuläre Kraneinsätze gezeigt wurden. Ein schlanker, fast dürrer Mann im Maßanzug und spiegelnder Glatze, begrüßte sie fahrig und nervös. „Gerald Hernig, guten Morgen. Ich bin der Niederlassungsleiter in Mannheim. Bitte, wann können wir diesen Spuk beenden und den Mast einfahren?“ „Sobald die Spurensicherung ihr okay gibt. Vorher geht mir keiner an den Kran!“ Nemeth blies seinen athletischen Brustkasten auf, dass die Uniform spannte und demonstrierte Staatsmacht pur, „aber ich glaube, da kommen sie schon.“ Alle Augen folgten seinem Blick. Hinter den Gaffern waren zwischen den Ausstellungshallen kurz Blaulichter aufgeflackert. Tatsächlich: fünf Minuten später bahnten sich ein grauer VW-Touran, ein Mercedes-Sprinter und ein Fiat-Kleinbus ihren Weg durch die von Nemeths Kollegen freigehaltene Gasse. Aus dem Sprinter stiegen sechs uniformierte Polizisten und begannen augenblicklich damit, die Schaulustigen noch weiter zurückzudrängen. Ein Fahrzeug der Messegesellschaft hatte Absperrbaken geladen und zwei Männer in gelben Schutzjacken standen bereit. Das Gelände um den Ausstellungsstand der Kranfirma wurde mit ihrer Hilfe rasch abgesperrt. Der Touran fuhr dicht an den Kran heran und zwei Männer und eine Frau stiegen aus. Sie öffneten die seitliche Schiebetür und zogen sich weiße Overalls über. Auf dem Beifahrersitz des Sprinters saß ein massiger Mann in einer speckigen Lederjacke und einem zerdrückten Hut mit weicher Krempe. Der Mann verzehrte in aller Gemütsruhe ein belegtes Brötchen, spülte den letzten Bissen mit einem Schluck aus einer Thermoskanne herunter, die er der Einfachheit halber gleich an die Lippen setzte. Die verbeulte Metallkanne warf er achtlos auf das Armaturenbrett und öffnete endlich die Tür. Schwerfällig kletterte er ins Freie, zog sich die Hose hoch, klopfte sich Krümel von der Jacke und blinzelte in die Morgensonne. Der Mann sah aus als hätte er die Nacht unter einer Brücke verbracht. Er stemmte die Arme in die nicht vorhandenen Hüften und sah sich um. Ein Walrossbulle, der misstrauisch seine Umgebung auf etwaige Nebenbuhler absuchte. Als er Nemeth und Lukassow entdeckte, nickte er unmerklich und schlurfte auf sie zu. Das verwaschene Flanellhemd hing ihm teilweise aus der ausgebeulten Cordhose mit den ausgefransten Beinen, die braunen Lederschuhe mit den schiefgelaufenen Absätzen waren so zerschrammt, als hätte er damit das ganze Wochenende Fußball gespielt. Aus dem Hemdausschnitt lugte der Rand eines Feinrippunterhemdes, welches nicht verhindern konnte, dass grauweißes Gestrüpp darunter hervorquoll. Ein Bild von einem Mann. „Morsche“ brummte er zu Nemeth, zog geräuschvoll die Nase hoch und legte seinen ungesund roten Kopf in den Nacken. Elke Lukassow ignorierte er. „Moin Bluhm, haben sie dich rausgejagt. Sind die Jungspunde wieder alle auf Lehrgang was?“ Ein verschleimtes Räuspern und ein rascher Seitenblick aus blutunterlaufenen Augen musste als Antwort genügen. Nemeth hatte das winzige belustigte Blitzen durchaus bemerkt, welches unter dem Wust aus grauweißen Augenbrauen kurz aufflackerte. Der Bluhmepeter. Kriminales Urgestein aus der Neckarstadt, meist abgemahnter Ermittler im Bezirk und hochangesehenes Ehrenmitglied in der Berberszene der Quadratestadt. Es hieß, das Netzwerk aus Informanten, welches der alte Bulle unterhielt, wäre knapp doppelt so groß wie Facebook und dreimal so effektiv. Immerhin: wenn sich KHK Hans-Peter Bluhm mittels einer Tüte Discounterbier unter der Kurpfalzbrücke „einloggte“ servierte man ihm weder Katzenbilder noch endlose Fotoserien von der Renovierung der häuslichen Küche. Meist kam er nicht nur schwer angetüdelt wieder ans Tageslicht, sondern auch um einige Informationen reicher, welche das viel gepriesene www nie preisgegeben hätte. Bluhmepeter, wie ihn alle nach dem historischen Mannheimer Original mit dem traurigen Schicksal nannten, hatte bis zuletzt gegen die Einführung des PC in seine Amtsstube gekämpft, weigerte sich permanent ein Smartphone zu nutzen und musste unter Androhung disziplinarischer Massnahmen gezwungen werden, wenigstens das Diensthandy stets mit sich zu führen. Dieses war entweder stumm geschaltet, auf dem heimischen Küchentisch vergessen oder mit leerem Akku in den unergründlichen Tiefen der Lederjacke umherwanderte, welche durch die löcherigen Taschen ein eigenes System kommunizierender Kleinbiotope bildete. „Runter damit“, knurrte er. „Die Spusi ist noch nicht ganz fertig, wir sollten ...“ weiter kam Nemeth nicht. „Ich sagte runter damit und ich scheiß auf die Spusi. Vielleicht sollten die Herrschaften Eintrittskarten verkaufen oder Filmlizenzen. Ich will diesen verdammten Gaffern den Spaß verderben! Wer verdammt noch mal, kann den Kran bedienen?“ „Ich, Herr, äh Kommissar, ich kann den Kran bedienen!“ Hernig, der Niederlassungsleiter, wirkte erleichtert und trat an die kleine Gruppe heran. „Worauf warten Sie dann noch?“ Bluhm stapfte zum Kran und redete auf die beiden Männer der KTU ein, bis diese schulterzuckend die Kabine räumten, ihr Handwerkszeug verstauten und umständlich herunterkletterten. Behände kletterte der Managertyp im Anzug auf den Oberwagen und startete die Maschine. Grollend erwachte der schwere Diesel zum Leben. Der Mann schaute Bluhm fragend an und dieser machte das Handzeichen für Halsabschneiden, was nicht ganz dem Regelwerk für Kranführer entsprach aber von dem Mann in der Kabine sehr gut verstanden wurde. Ein Raunen ging durch die Menge als sich die Winde drehte und gleichzeitig der Mast des Krans eingefahren wurde. „Planen!“ schrie Bluhm durch den Lärm des Windenmotors, „Ich will hier Planen als Sichtschutz, das ist hier keine Zirkusvorstellung verdammt noch mal!“ Nemeth teilte seine Leute ein und sah erleichtert, wie aus einem Rüstwagen der Feuerwehr, der von seinem Stand ganz in der Nähe herangefahren worden war, vier voll ausgerüstete junge Feuerwehrmänner und zwei Frauen kletterten und in Windeseile spezielle Sichtblenden, wie sie auch bei schweren Unfällen im Straßenverkehr verwendet wurden, herbeischafften. Hernig, der Niederlassungsleiter der Kranfirma baute eine perfekte Punktlandung außer Sichtweite der Gaffer und ließ den Leichnam sanft auf eine Plastikplane sinken, welche die Spurensicherer ausgebreitet hatten. Drei Männer und eine Frau in weißen Overalls nahmen den leblosen Körper in Empfang und fotografierten und filmten zunächst alles aus verschiedenen Perspektiven, bevor sie darangingen vorsichtig die derbe Henkerschlinge von dem schweren Kranhaken zu lösen. Sie gaben dem Kranführer zu verstehen, dass dieser den Haken einige Meter weiter auf einer anderen Plane ablegen sollte. Nemeth nickte zufrieden. Die Kollegen verstanden ihr Handwerk. Trotz aller Improvisation und dem Eingreifen von Bluhm wurde hier nicht geschlampt. Selbst der cholerische Schönauer Bluhmepeter hütete sich davor, sich ohne Aufforderung der Leiche zu nähern. Er war froh, dass das grausige Schauspiel sich nun wenigstens abseits der hochgereckten Handys und Fotoapparate abspielte. Ermittler, die kreuz und quer durch Fund- oder Tatorte latschen, gab es eigentlich nur noch im Fernsehen. Erstaunt erkannte er die knochige Gestalt von Professor Dr. Friederike Schopenhauer. Die Leiterin des Heidelberger Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin ging neben der Leiche in die Hocke und sprach in ein Diktiergerät. „Was macht denn Schoppi hier?“ fragte er den neben ihm stehenden Nemeth. „Sie hält heute Vormittag einen Vortrag am Stand der Uni drei Hallen weiter. Das es hier Arbeit für sie gibt, war ja schwer zu übersehen.“ „Wenigstens haben wir den Kameraden dann gleich in den richtigen Händen“, brummelte Bluhm. Schoppi, wie er die angesehene Rechtsmedizinerin so despektierlich nannte, war bundesweit eine Kapazität. Ihre herrische Art und ihr legendärer Sarkasmus hatten schon so manche Doktoranden an andere Fakultäten vertrieben. Verwundert erkannte er, dass die Kleidung des Toten völlig durchnässt war. Es bildete sich sogar schon eine Pfütze um den Körper. Er drehte sich um, als hinten an der Absperrung ein kleiner Tumult entstand. Ein untersetzter Kerl in einem Zuhälteranzug der andauernd „Elke, Elke“ schrie, wurde von zwei kräftigen Beamten daran gehindert, das Areal zu betreten. Ein gellender Pfiff ließ ihn herumfahren. Bluhm staunte nicht schlecht, als er die kleine fette Frau in dem unförmigen Lodenmantel erkannte, die vorhin bei Nemeth gestanden hatte. Jetzt steckte sie gerade wieder zwei Finger in den Mund und pfiff wie ein Bauarbeiter. Einer der Beamten drehte sich um und die Frau rief mit keifender Altweiberstimme: „Lührsen! Lassen Sie den durch, der gehört zu mir!“ Bluhm sog tief die Luft ein. Da soll doch ... Was bildete sich das alte Waschweib eigentlich ein? Es liefen hier doch schon genug Zivilisten durch die Gegend. Jetzt trabte hier auch noch einer an, der aussah wie eine Kreuzung aus Vermögensberater und Hafenlude. Moment mal! Das war doch? Lothar Zahn, sein alter Schulfreund, den er vor zwei Jahren erst wieder getroffen hatte. Unter äußerst spektakulären Umständen. (Kohlemord) Was trieb der sich hier herum? Noch dazu in diesem lächerlichen Aufzug? Egal, das musste warten. Jetzt wurde es erst einmal Zeit. Zeit, dass er hier ein für allemal klarstellte, wer hier wem etwas pfiff! Der alte Hauptkommissar ahnte ja nicht, worauf er sich da gerade einließ ... Tarzan floh erleichtert wie ein verlorenes Kind in Richtung der auf ihn zu watschelnden pensionierten Kommissarin. „Ich habe gerade noch mitgekriegt, wie der Kran eingefahren wurde. Mein Gott, das hat mich an etwas erinnert, das sah ja aus wie ...“ „Das brauchst Du mir nicht sagen, Tarzan. Mir wirklich nicht.“ Elke Lukassow nahm Tarzan mit resoluter Geste am Oberarm. „Lass uns zu meinem Kollegen Nemeth gehen. Vielleicht lässt er uns einen Blick auf den Toten werfen. Ich hoffe, das ist ein makabrer Zufall. Das hoffe ich wirklich. Du warst damals an vorderster Front dabei. Wenn dies hier tatsächlich mit dem Mathaisemord zusammenhängt, erkennst Du vielleicht jemanden wieder.“ Tarzan schluckte. Zum einen, weil sorgsam verdrängte Erinnerungen wieder durch seine Hirnwindungen krabbelten, zum anderen weil sie gerade schnurstracks auf einen ziemlich fies aussehenden Bullen zuliefen. Einen Bullen, der aussah, als würde er ihnen nicht erst lange ihre Bürgerrechte vorlesen, bevor er ihnen in den Hintern trat. „Stehenbleiben!“ Nicht Halt, nicht Stopp, nein: „Stehenbleiben“ mit der Intensität eines Warnschusses. Unmittelbar vor dem enormen Bauch des Hauptkommissars blieb Elke Lukassow stehen. Wie zwei gewaltige alte Schlachtschiffe boten sie sich ihre Breitseiten. Wobei die Kommissarin a.D. fast einen ganzen Kopf kleiner war, als der übellaunige Mannheimer Ex-Kollege. „Hi, Bluhmepeter“, quetschte Tarzan zaghaft zwischen den Zähnen durch, unterstützt von einem linkischen Winken, welches ihn in Verbindung mit dem unpassenden Outfit sehr, sehr tuntig wirken ließ. „Du hältst das Maul!“ donnerte Bluhm und richtete die Zieloptik seiner wässrigen blauen Augen auf die grünwogende schnaufende Masse vor ihm. „Sie!“, keuchte die Lukassow aufgebracht, „Sie hoben mirr überrhaupt koine Ahweisunge zu gäbe! Sie nit!“ Wenn sie zornig war, verfiel sie in ihren oberfränkischen Dialekt und hob ihre ohnehin nicht sehr liebreizende Stimme noch um eine Oktave was ihr die Klangfarbe einer Baumarktkreissäge verlieh. Sie hatte dann auch deren Gefahrenpotential. Bluhm hatte keine Angst vor elektrischen Arbeitsgeräten. Im Augenblick sah er aus, als würde er ganze Baumstämme mit seinen gelben Zähnen durchbeißen. „Da irren Sie sich, werte Dame!“ Der Kommissar schaffte es, das die altertümliche Anrede fast wie „Alte Schlampe“ klang. „Ich bin hier der leitende Ermittler, dies ist ein Tatort und ich ersuche Sie auf der Stelle, Ihren Allerwertesten hinter die Absperrung zu bugsieren, und zwar im Schnellgang, verstanden?“ „Bluhmepeter ich ...“ Tarzan warf sich todesmutig in den Kampf, wie ein furchtloser Pinscher, der sein Frauchen vor dem Angriff eines Panzernashorns schützen wollte. „Tarzan, ich habe absolut kein Problem damit, dich in Eisen legen zu lassen, wenn Du nicht in einer Zehntelsekunde Deine Salontreter für einen unglaublich flinken Abgang benutzt!“ „Bluhmepeter ...“ ein letztes verzweifeltes Aufbäumen. „Platzverweis!“ donnerte der Kommissar. „Lührsen! Rambach! Schaffen Sie die Leute hier weg!“ Selbst die Lukassow wusste, wann sie verloren hatte. Sie drehte sich abrupt um, so dass ihr Lodenumhang flog, als stünde sie auf einer Polkabühne und walzte an den verunsichert wirkenden zwei Beamten vorbei, die dienstbeflissen herbeieilten. Tarzan zuckte die Schultern und trottete kopfschüttelnd hinterher. Schnaubend schlurfte Bluhm zurück und blieb in einigem Abstand zu der abgelegten Leiche stehen. Gerade erhob sich die Gerichtsmedizinerin, die daneben gekniet hatte, was den Kommissar an einen fragilen Baukran erinnerte, der gerade aufgerichtet wurde. Als sie ihn erkannte, bleckte sie ihr gewaltiges Gebiss und verzerrte ihr stets hochmütig wirkendes hageres Gesicht zu einer Grimasse, die nur Eingeweihte als Lächeln identifizieren konnten. Bluhm war eingeweiht. Professor Schopenhauers Leichenschauen waren Legende. Die herbe Lady war die perfekte Symbiose aus Professor Boerne und Joe Bausch, ihren „Kollegen“ aus der Tatort-Reihe der ARD. Wenn Schoppi Lebern wog, Gehirne in Scheiben schnitt und hingebungsvoll in Bauchhöhlen wühlte, vergass man über ihren launigen Kommentatoren sogar das Kotzen. Sie schürzte die Lippen und richtete ihre riesigen dunklen Augen, die tief eingesunken in ihrem Totenschädel lagen, auf ihn. Ihre behandschuhte Krallenhand ließ einen kleinen zylindrischen Gegenstand unmittelbar vor seiner Nase hin und herpendeln. „Das ist komisch.“ „Ich lache später, wenn du gestattest“, antwortete der Kommissar. „Es ist komisch, weil die Kerntemperatur der Leiche tiefer ist, als die Umgebungstemperatur. Nach meiner rektalen Messung ...“ Bluhm zuckte zurück als er das Teil, dass da nur Zentimeter vor seinem Gesicht baumelte, endlich erkannte: ein Fieberthermometer ... „ ... Stell Dich nicht so an. Also: nach meiner Messung müssten an der Mastspitze des Krans zwischen fünfzig und achtzig Grad minus herrschen oder ...“ erleichtert atmete Bluhm auf, als die Ärztin das Thermometer in eine Tüte mit der Aufschrift „Biohazard“ fallen liess und diese einem vorbeigehenden Assistenten reichte. „ ... oder der Tote kommt direkt aus einer Tiefkühltruhe. Einer sehr leistungsfähigen Truhe übrigens, da haushaltsübliche Geräte lediglich einen Bereich zwischen zehn und vierundzwanzig Grad minus abdecken. Meine Kühlung im Institut schafft locker fünfundachtzig.“ „Klingt, als ob der schon in Deiner Formalin-Villa war, bevor man ihn hier aufgehängt hat?“ „Eben. Das meine ich mit komisch. In der Regel läuft das genau andersrum.“ Sie grinste wieder ihr Maultiergrinsen. „Frag nicht. Mir ist keiner entwischt. Bei mir herrscht Ordnung!“ „Das heißt, wir haben ein Problem mit der Todeszeit“, stellte Bluhm fest. „Ganz genau, Süßer. Er ist mit ziemlicher Sicherheit auch nicht am Seil gestorben. Nach meiner ersten Untersuchung erfolgte das Erhängen recht dilettantisch und zu 90% post mortem. Das Genick ist nicht gebrochen, er fiel also nicht in die Schlinge. Meine erste Theorie geht davon aus, dass der bereits tote Körper hier lediglich zur Schau gestellt wurde.“ „Fundort ist also nicht gleich Tatort.“ „Darauf kannst Du einen lassen und, wenn Deine Verdauung mitspielt, noch einen auf die Tatsache, dass der wochen- oder monatelang sach- und fachgerecht gelagert worden sein könnte. Näheres kriegst Du wie üblich erst nach der Obduktion. Bist herzlich eingeladen.“ „Hast Du irgendwelche Anzeichen für die Todesursache entdeckt?“ „Nada. Der ist nach erster Einschätzung gesund gestorben. Etwas, dass uns mit Sicherheit erspart bleibt. Gib mir mal ne Kippe!“ Bluhm gab ihr eine zerknautschte Eckstein aus der Weichpackung und ließ sein Zippo aufschnappen. „Vielleicht ist er ja auch erfroren. Vielleicht hat ihn sein Mörder ja lebendig in die Kühltruhe verfrachtet“, mutmasste der Kommissar. Die Professorin nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch durch die Nase aus. Fehlt nur noch, dass der Drachen auch noch Feuer spuckt, dachte Bluhm. „Dafür gibt es keinerlei Anzeichen“, antwortete sie, „vorerst jedenfalls. Du weißt, dass das hier nur Mutmaßungen sind. Wenn ich ihn auf meinem Tisch habe, weiß ich hoffentlich mehr. Ach ja, das hier ...“, sie zog einen Klarsichtbeutel aus der Tasche ihres Kittels und reichte ihn ihm, „habe ich in der Mundhöhle gefunden.“
Posted on: Sat, 10 Aug 2013 13:13:03 +0000

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