Mit Galileo Galilei gegen die Mächtigen Israels Zehn Mal vom - TopicsExpress



          

Mit Galileo Galilei gegen die Mächtigen Israels Zehn Mal vom Militärrichter verurteilt, keiner war länger im Knast. Denn Natan Blanc will nicht zur Armee. Damit stellt er sich in Israel auch gegen die eigenen Leute. Es ist Winter, als Natan Blanc eine innige Freundschaft schließt. Im Militärgefängnis Nummer sechs in Atlit, nahe Haifa, lernt er Bertolt Brecht kennen – seine gesammelten Werke, in englischer Sprache. Natans Großmutter drückt ihm das Buch in die Hand, bei einem ihrer Besuche. Keine der Figuren fasziniert ihn so sehr wie Galileo Galilei. In Brechts Drama über den Widerstandskämpfer Galilei, der nicht länger schweigen kann, sieht Blanc Parallelen: Auch der junge Israeli stellt sich gegen die Mächtigen. Blanc ist 20 Jahre alt und Israels bekanntester Wehrdienstverweigerer. Während Galilei seine Thesen am Ende jedoch wider besseres Wissen widerruft, steht Blanc zu seinen Prinzipien. Für seine Überzeugung geht er 160 Tage ins Gefängnis. So lange wie kein Verweigerer vor ihm. Die Entscheidung, keine Uniform zu tragen, begründet Blanc mit seinem Gewissen. Bei der israelischen Besetzung des Westjordanlandes will er nicht mitmachen. "Israel ist auf dem falschen Weg", sagt Blanc. "Es gibt keinerlei Entwicklungen in den vergangenen Jahren, stattdessen spielt die Armee eine wesentliche Rolle dabei, die Okkupation zu festigen." Zehnmal wird Blanc verurteilt, jedes Mal bekommt er davor den Einberufungsbescheid zugestellt. Dem folgt er nicht, er spricht persönlich vor und erklärt, warum er keine Waffe in die Hand nehmen will. Ein Militärrichter fällt dann das Urteil, meist wird eine Gefängnisstrafe von zehn bis zwanzig Tagen verhängt. Dann beginnt das Spiel von vorn. "Es ist wie beim Pokern. Beide Seiten wollen sehen, wer blufft", sagt Blanc. Er blufft nicht. Sein Entschluss ist unverrückbar. Für das israelische Militär ist Blanc ein Nestbeschmutzer, in der Gesellschaft ein Exot. Weniger als eine Handvoll Israelis pro Jahr verweigern aus politischen Gründen den Wehrdienst. Dafür kommen sie ins Gefängnis. Enge Kooperation zwischen Schulen und Militär Seit der Staatsgründung ist der Ausnahmezustand in Israel die Regel. Dass das kleine Land nicht längst von der Weltkarte verschwunden ist, verdankt es allein seinem Militär – dieser Glaube ist in der Gesellschaft tief verankert. Wer sich gegen die Armee stellt, stellt sich gegen die eigenen Leute. Diese israelische Maxime lernen junge Israelis bereits in der Schule. Je näher der Militärdienst rückt, desto eindringlicher wird der Appell. Noam Gur aus dem nordisraelischen Nahariya ist 16 Jahre alt und gerade in der elften Klasse, als die Soldaten regelmäßig in den Unterricht kommen. Es ist die Zeit, in der die Jugendlichen mit der Frage konfrontiert werden, in welcher Einheit sie nach der Schule dienen wollen. Drei Jahre dauert der Militärdienst in Israel für Männer, zwei Jahre für Frauen. Soldaten werben für die Armee und erklären den Schülern, was passieren wird, falls einer in der Klasse den Dienst nicht antritt. "Dann wird Nahariya verschwinden", sagen sie Gur. Nach Israels Selbstverständnis macht die ständige Bedrohung, der das Land ausgesetzt ist, den Wehrdienst zur moralischen Pflicht jedes Einzelnen. Das zu vermitteln, ist Teil des Lehrplans. Ausflüge zu Militärstationen wie in die besetzten Golanhöhen sollen den Schülern vor Augen führen, wie nah der Feind ist. Zudem besuchen die meisten Israelis in ihrer Schulzeit ein Militärcamp – ein Beispiel dafür, wie eng die Kooperation zwischen Schulen und Armee ist. Eine Woche lang tragen die Schüler, Jungen und Mädchen, die grüne Uniform und machen Schießübungen mit scharfer Munition. Ein erster Eindruck von dem, was nach Ende der Schulzeit auf die meisten wartet. Auschwitz als Motivation für den Dienst an der Waffe Die Soziologin Orna Sasson-Levy forscht an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv zum Einfluss des israelischen Militärs auf die Gesellschaft. Für sie steht fest, dass die Bande zwischen Armee und Schule vor allem einem Zweck dient: die Attraktivität des Militärs zu steigern. "Besonders prägend für die Schüler ist der Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz", sagt Sasson-Levy. Diese Reise – meist findet sie in der elften Klasse statt – sei für die Schüler eine ausgesprochen emotionale Erfahrung und steigere schließlich die Motivation für den Dienst an der Waffe. Noam Gur hat sich gegen das Camp entschieden, nach Polen ist die heute 19-Jährige auch nicht gefahren. Ihre Entscheidung, dem Militärdienst ganz zu entsagen, brachte sie im April 2012 für knapp drei Wochen ins Gefängnis. Denn wie Blanc will auch Gur ein Ende der Besatzung. Armee und Gewissen kann sie nicht vereinen. Dabei sind die beiden jungen Israelis nicht die Einzigen, die den Militärdienst umgehen. Sie jedoch zahlen einen Preis, im Gegensatz zu den rund 20 Prozent der israelischen Juden, die jährlich nicht eingezogen werden. Dazu zählen die Orthodoxen, die das Thorastudium der Armee vorziehen. Auch körperliche und seelische Probleme befreien vom Wehrdienst. Nicht mehr als ein "Zwei-Minuten-Diskurs" Solche gesundheitlichen Gründe bieten auch jenen eine Fluchtmöglichkeit, die wie Blanc und Gur antreten müssen. Besonders seelische Beschwerden werden oftmals vorgetäuscht. Diesen Weg hat Gur schließlich gewählt. Nach einem Gespräch mit einem Militärpsychologen kam sie frei. Wie Blanc immer wieder zurück ins Gefängnis wollte sie nicht, sondern raus, um zu demonstrieren. Prinzipien hinter Gefängnismauern erschienen ihr nicht genug. Mehr als einen "Zwei-Minuten-Diskurs" würden Verweigerer hinter Gittern nicht auslösen in Israel. Auch Sasson-Levy ist skeptisch, ob Blanc mit seiner Standhaftigkeit Nachhall erzeugt: "Zum Vorbild wird er nicht werden", sagt sie. Anfang Juni hat Natan Blanc das Militärgefängnis Nummer sechs verlassen, er ist jetzt ein freier Mann. Seine Entscheidung, betont er, zielte nicht darauf ab, möglichst viele Nachahmer zu finden. "Wichtig war mir, dass ich meiner Überzeugung treu geblieben bin. Blinder Gehorsam ist nicht der richtige Weg." zeit.de/politik/ausland/2013-07/israel-wehrdienst-verweigerer-natan-blanc/seite-2
Posted on: Fri, 19 Jul 2013 12:46:48 +0000

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