Paula und der Tag, an dem der Mangold verwelkte Als ich Paul das - TopicsExpress



          

Paula und der Tag, an dem der Mangold verwelkte Als ich Paul das erste Mal traf, war ich ahnungslos. Ich hatte gerade begonnen, an einem Lehrstuhl zu arbeiten und hatte erste Ideen für eine Doktorarbeit. Ich fühlte mich daher blendend. Ich wusste, was ich wollte ud hatte endlich eine Chance erhalten, mich nach meinen Vorstellungen zu entfalten. Ich hatte einige Monate lang erlebt, wie sich die Arbeit als freier Journalist in der Kulturszene zu einem würgenden Knoten zusammengezogen hatte und ich jede Arbeit als Kellner befreiender erlebt hätte, obwohl ich noch nie in der Gastronomie länger gearbeitet hatte. Nur an eine Situation erinnerte ich mich. Während meines Studiums probierte ich es aus. Es dauerte keine zwei Wochen, bis man mir mit der Begründung kündigte, ich habe kein Lachgesicht. Ich trug es mit Fassung, weil ich es wirklich nicht hatte. Ein strategisches Zulächeln von Betrunkenen, die an der Theke standen und mit letzter Kraft ein letztes Bier bestellten, was dann doch nicht das letzte sein sollte. Ich empfand es damals schon als eine Zumutung, mich in dem Wissen zu verstellen, dass ich nur dazu beitrug, ein künstliches Glücksmoment zu zapfen. Ich saß entspannt in einer Studentenkneipe im Klinikviertel und blätterte durch einen monatlich erscheinenden Veranstaltungskalender, der in der ganzen Region Events anpries. Ein lautes Gelächter aus einer großen Gruppe von jungen Leuten, die an drei zusammengeschobenen Tischen saßen und den Semesteranfang mit Bier und Wein befeierten, riss mich aus der Lektüre des Kneipenführers. Die Tische waren voller Flaschen, Gläser und Salzstangengefäße. Ich blickte in junge Gesichter von hoffnungsfrohen Erstsemesterstudenten. Mein Blick fiel auf eine junge Studentin mit rotblonden langen Haaren. Im Unterschied zu den anderen kicherte sie nur ein wenig, während sich die anderen in schaukelndem Hin und Her über sich selbst amüsierten. Sie bemerkte, dass ich sie ansah und schaut mich neugierig an. Trotz der Distanz des Raumes erkannte ich ihr große Augen, die mich zu durchdringen schienen. Ich war ungläubig darüber, dass mich diese hübsche junge Frau so interessiert ansah, und wendete daher abrupt meinen Blick wieder der Zeitschrift zu. Als ich mich traute, wieder hinzusehen, lachte sie mit ihrer Nachbarin in meine Richtung. Das Lachen galt nicht mir, dachte ich. Als sich ihre Nachbarin einem anderen jungen Mann zuwendet, schaut sie mich erneut mit einem einladenden Lächeln an. Ich schaffe es tatsächlich, ihr die Andeutung eines leichten Lächelns zu übermitteln, bevor ich wieder in eine Partyankündigung eintauchte, die ich jetzt schon zum dritten Mal zu lesen versuchte. Ich bemerke, dass mich der Blickwechsel und das Lächeln aufgeregt hatten. Mein Herz pochte und meine Ohrläppchen glühten auf merkwürdige Weise. Was mache ich jetzt, fragte ich mich. Ich kann doch eine so hübsche Frau nicht einfach da sitzen lassen und wortlos gehen. Ich wollte ihr, wenn ich mich auch zu nichts traute, wenigstens sagen, dass ich gesehen hatte, wie sie mich angesehen hatte. Oder aber: Vielleicht würde sie es ja einen Halbsatz zulassen und uns würde sogar ein ganzes Gespräch einfallen, ermutigte ich mich. Während ich mir einen Text überlegt, war die Gruppe bereits dabei aufzubrechen. Auch sie stand schon an der Theke und wollte bezahlen. Ich musste handeln, sofort und ohne jeden inneren Widerstand, durchschoss es mich. Einen Moment später stand ich neben ihr und wartete, dass sich mich sah. Sie rechnete noch mit dem Kellner ab. Dann wendete sie sich von der Theke ab und sah mich neben sich stehen. Ich schaute sie erwartungsvoll an. Sie schien plötzlich ein wenig verdutzt, dennoch glaubte ich, ihrer abwartenden Geste zu entnehmen, dass sie für ein Ansprechen offen war. Hast Du Lust auf einen Kaffee, vielleicht morgen oder odermorgen oder nächste Woche vielleicht?, brachte ich hervor und schämte mich für meine phantasielosen Sätze. Ja, ich habe Lust aber ich habe einen Freund, antwortete sie, als sei selber gerade traurig darüber. Ich hatte keine Gelegenheit, über ein Gefühl von Enttäuschung nachzudenken, denn ich reagierte ohne Nachdenken und als ob sich eine lange eingeprobte Szene in einem Theaterstück abspielte mit: Das ist mir egal. Wir verabredeten uns tatsächlich sogar schon für den nächsten Tag. Natürlich war es mir auf dem Nachhauseweg dann doch nicht egal, dass auch sie wieder nur ein guter Kumpel sein könnte. Warum sie sich dann auch gleich für den nächsten Tag mit mir verabredet, verstand ich dann auch nur als Bestätigung dafür, hätte sie sich doch sonst mehr Zeit für eine Vorfreude gelassen. Mit dieser Einsicht beschloss ich, enttäuscht zu sein und legte mich schlafen. Die Besprechung mit Weingarten am nächsten Tag im Institut verlief erfreulich gut. Ich sei mit meinen Ideen auf einem guten Weg. Ich stellte wirklich interessante Fragen, meint er. Er drückte mir ein Buch in die Hand mit der Bitte um eine kurze Rezension. Ich verstand kaum den Titel und fragte mich, woher er die Sicherheit nahm, dass ich für eine Rezension dieses Buches über die nötigen Fachkenntnisse verfügte. Ich legte es erstmal im Büro auf eines der noch vielen leeren Regale ab und dampfte mit meinem Motorrad nach Hause. Paula wartete bestimmt schon im Cafe Klaas auf mich, denn ich verspätete mich wegen der Besprechung mit Weingarten. Tatsächlich saß sie an einem der runden Tische des Cafes. Sie trug einen bunt gestreiften Rollkragenpullover, in welchem ihr Gesicht noch weicher wirkte, als es mir vom Tag zuvor in Erinnerung war. Ich war ungewohnt gesprächig und erzählte von meiner neuen Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ich bemühte mich, oberflächlich zu bleiben, um mich nicht sofort als melancholischer Träumer zu Erkennen zu geben. Wie oft hatte ich mir in der Vergangenheit damit schon Beziehungsanbahnungen zerstört. Immer noch glaubte ich mich im inneren Kampf um Authentizität und fröhlicher Verstellung. Wie charmant Arno, ein alter Jugendfreund, immer die Frauen für sich interessiert machen konnte. Anbahnung ohne Bedürftigkeit. Sicherheit ausstrahlend ohne Bestätigungssuche, Lächeln ohne Anspruch auf Erwiderung, Zigarettenrauchen ohne Angst vor Ablehnung. Ich kenne keine Frau aus der langen Freundschaft mit Arno, die sich seinem Charme verweigern konnte, wenn er sie wollte, ob für eine Nacht oder später in der langen Beziehung mit Anni. Ich dagegen glaubte auch im Gegenüber mit Paula, dass meine Bedürftigkeit wie ein Muttermal auf der Stirn zu erkennen war und meine Suche nach dem Glück am Ende eines jeden Satzes mitschwang. Überrascht stellte ich fest, dass sie die ganze Zeit mit zur Seite geneigtem Kopf lächelte und dabei ihre großen Hände in ihre Wangen legte, als hätte sie sich gerade darauf eingestellt, meiner ganze Lebensgeschichte zuzuhören. Ich war wirklich beeindruckt. Ich redete sogar über meine wissenschaftlichen Ideen, ohne das Gefühl der Langeweile in ihrem Gesicht abzulesen. Und weil sie mich nicht unterbrach, erzählte ich sogar von der schwierigen Beziehung zu meinem Vater und dass ich ohne Mutter aufgewachsen war. Sie hörte immer noch zu, nicht mehr mit dem gleichen Lächeln aber dennoch mit Anteil nehmender Aufmerksamkeit. Dann wurde ich still. Sie schaute mich lange an und nahm dann einfach meine Hand. Ihre schlanken Finger umrankten meine Hand so liebevoll, dass ich zu einer inneren Ruhe fand, die ich bis dahin nicht in mir gespürt hatte. Dann gingen wir hinaus und küssten uns unerwartet lange. (Fortsetzung folgt)
Posted on: Mon, 30 Sep 2013 00:52:50 +0000

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