Regensburger Spektakel (21) 6.11.2013 100 Geschichtchen um - TopicsExpress



          

Regensburger Spektakel (21) 6.11.2013 100 Geschichtchen um Regensburger Geschichte Wo fand das statt? Unter den Schwibbogen 3 Das Nashorn Clara in Regensburg Im Gasthaus „Zum Goldenen Rädel (Rad)“ in der Radlgasse gab es im März 1747 eine Sensation zu sehen, vorausgesetzt, man wusste wo die Radlgasse ist. Gehen sie also die Schwibbogenstrasse westwärts, und etwa ab Höhe Porta Praetoria sind sie dann in der Radlgasse, benannt nach gleichnamiger dortiger Spelunke (ab etwa 1694 bürgert sich auch die Paralellbezeichnung „Unter den Schwibbögen“ ein). Und jetzt stellen sie sich geduldig bei Bier, Wein und Schmaus in die Warteschlange, um das weltberühmte tonnenschwere Exotentier, das Nashorn Clara, zu bestaunen, natürlich gegen Entgelt. Wenn sie Glück haben, können sie auch noch teuer, aber glücklich, ein kleines Fläschchen mit Claras Urin erstehen, denn dieses Wundermittel hilft gegen alles, vor allem füllt es den Geldbeutel des geschäftstüchtigen Tierhalters. Und von wegen Hokuspokus: ernstzunehmende Naturheilkundler propagieren heute wieder oder noch? das altindische Wisse über Urintrinken. Ich denke mal, bei so viel Nashorn bleibt der Bayer lieber bei seinem Bier…... Hatte doch der ehemalige Kapitän Douwe Jansz Mout des holländischen Frachters Knappenhof die zündende und sehr einträgliche Geschäftsidee, mit der Panzernashornkuh fast 12 Jahre lang durch Europa zu tändeln. Die Zurschaustellung des armen Kolosses brachte dem Käptn neben viel Gold auch viel Ehre ein. Sein Nashorn wurde von den bekanntesten Malern seiner Zeit portraitiert, die Wissenschaft bemühte sich dieses Tier-Phänomen zu klären, und Kaiser Franz I. erhob dafür Douwe Mout 1746 in den Adelsstand, er nannte sich fortan van der Meer. Schuld an dem ganzen Rummel in der Regensburger Radlgasse und sonstigen Hauptstädten Europas ist eigentlich Jan Albert Sichterman (* 19. September 1692 in Groningen, Niederlande; † 15. Januar 1764 ebenda) der als Kaufmann und Direktor im Dienste der Niederländischen Ostindien-Kompanie, der in Bengalen Karriere machte, und Sammler von Gemälden und Porzellan war. Neben seiner offiziellen Aufgabe betätigte er sich als Händler und erwarb dadurch außerordentlichen Reichtum. Im Jahr 1740 verkaufte er ein junges Nashorn, das in seinem Hause lebte, an besagten Douwe Mout van der Meer, Kapitän eines Schiffes der Ostindien-Kompanie. Aus dem Jahr 1515 stammt ein Holzschnitt von Albrecht Dürer. Das kleine Blatt misst 25×31 Zentimeter. Etwas steifbeinig zeigt sich darauf ein reichlich gepanzertes indisches Nashorn. Dürer freilich hat das exotische Tier selbst nie gesehen. Er arbeitete nach Berichten aus zweiter Hand, wovon ein frei erfundenes kleines Horn auf dem Rücken des imaginären Exoten zeugt. Ganz anders dagegen das Nashorn, das der französische Hof- und Tiermaler Jean-Baptiste Oudry 1749 malt: Das Tableau misst 456 Zentimeter in der Länge und 310 Zentimeter in der Höhe. Es ist also nicht weniger als monumental und zeigt die berühmteste aller je lebenden Rhinozeros-Damen im Maßstab eins zu eins. Oudry hatte Clara, wie der sanfte Dickhäuter hieß, nach der Natur malen können, denn 1749 war das Tier auf seiner Europareise von Reims nach Versailles gelangt; eine fahrende Exzentrizität und Jahrmarktattraktion nicht nur der gewichtmäßigen Sonderklasse. Louis XV hätte das Tier für seine Menagerie ankaufen können, doch der Preis war ihm zu hoch. Also fährt der holländische Besitzer mit der zahmen Kreatur weiter nach Paris, der Jahrmarkt in St.Germain ist die nächste Station. Clara ist die französische Sensation des Jahres; weiter wird es nach Marseille, Rom, Mannheim, Regensburg, Venedig gehen. Pietro Longhi wird sie dort, während des Karnevals, auf die Leinwand bannen. Niemand im illuminierten Europa, der Clara nicht gesehen hätte. Casanova berichtet vom liebenswürdigen Dickhäuter in seinen Memoiren, Melchior Grimm vermeldet in einem Brief an Diderot – «Paris, so leicht berauscht von kleinen Dingen, ist nun gefesselt von einem Tier genannt Rhinozeros». Für die Damen gibt es Bänder à la rhinocéros, für die Herren exquisite Tischuhren, getragen von einer Porzellan-Clara. Und eben: Jean-Baptiste Oudry, Hofmaler von Louis XV, Leiter der königlichen Tapisserie-Manufaktur und wohl einer der besten Tiermaler seiner Zeit, wird das exzentrischste Bild seiner Karriere malen. Nashorn Clara wurde 1738 im Alter von ungefähr einem Monat von Jan Albert Sichterman aufgenommen, nachdem ihre Mutter von indischen Jägern getötet worden war. Sichterman war Direktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie in Bengalen. Clara wurde zahm und durfte sich frei in und um Sichtermans Residenz bewegen. 1740, als das Tier zu groß zu werden begann für den Aufenthalt in einem Haushalt, verkaufte Sichterman das Nashorn an den uns schon bekannten Douwe Jansz. Mout, Kapitän der Knappenhof, der mit ihm in die Niederlande zurückkehrte. Den Versuch, ein solches Tier auf dem Seeweg nach Europa zu transportieren, hatten nur wenige Exemplare in den Jahrhunderten zuvor überlebt. Clara überstand, wie berichtet wird, die Reise an Bord des Segelschiffes gut. Das Nashorn war noch nicht ausgewachsen und von klein an gewöhnt an die Umgebung von Menschen sowie an Tabakgenuss, Bier und Orangen im Hause Sichtermans. Mit Heu versorgt, ließ es sich von der Besatzung durch entsprechende zusätzliche Gaben ruhigstellen. Am 22. Juli 1741 erreichte Clara auf der Knappenhof den Hafen von Rotterdam. Die Seltenheit des Tiers in Europa könnte Douwe Mout bewogen haben, Clara zur Schau zu stellen. Beschreibungen sprachen zuweilen davon, das Nashorn könne hundert Jahre alt werden, so dass sich ihm eine sichere Verdienstmöglichkeit zu eröffnen schien. Belegt in den Archiven der Stadt Leiden in Holland ist sein Rücktritt aus der niederländischen Ostindien-Kompanie im Jahr 1741. In Leiden entstanden zwei Stiche von Clara, angefertigt von Jan Wandelaar, die erst 1747 im Anatomie-Atlas Tabulae sceleti et musculorum corporis humani des Bernhard Siegfried Albinus erschienen. Sie zeigen das noch junge Nashorn mit dem sich erst bildenden Horn zusammen mit einem menschlichen Skelett, einmal von vorn und einmal von hinten. In den Jahren vor der Drucklegung des Atlanten waren die beiden Blätter jedoch bereits als Einzelstücke in Leiden und auch darüber hinaus verkauft worden und machten Van der Meers Nashorn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Für die Reisen Claras wurden zudem Flugblätter herausgegeben, die die Schaustellungen in den verschiedenen Orten zuvor ankündigten. Sie sind in gut zwanzig Exemplaren in Museen, Bibliotheken und in Privatbesitz erhalten. Diese Zettel waren immer gleich aufgebaut: Sie zeigten in der oberen Hälfte ein (zuweilen variiertes) Bild des Nashorns und darunter nach Ort und Zeit der Veranstaltung den stets nahezu gleichen Ankündigungstext. Für Claras Transport entwarf Douwe Mout zudem ein spezielles Fuhrwerk. Anders als die Herrscher der früheren Jahrhunderte, die ihre großkalibrigen Tiergeschenke, wie zum Beispiel Soliman, den ersten Elefanten in Wien, durch halb Europa marschieren ließen, gebot das Geschäftsinteresse Douwe Mouts, sich die Schaustellung bezahlen zu lassen und das Tier auf seiner Reise von Ort zu Ort deshalb nicht den Blicken Neugieriger auszusetzen. Auf einem Gemälde eines unbekannten Malers aus dem Kreis von Pietro Longhi aus dem Jahr 1751, das Clara in Venedig zeigt, sieht man im Hintergrund ihren Reisewagen: einen massiven Holzkasten mit auffallend großen Rädern und einem kleinen Fenster, das Licht und Luft einließ, so dass das Tier vor Irritationen geschützt und zugleich den Blicken entzogen war; ein hölzerner Querriegel deutet auf eine seitliche Rampe zum Einstieg hin. Das Fuhrwerk mit dem in den nächsten Reisejahren auf mehr als drei Meter Kopfrumpflänge und gut zwei Tonnen Gewicht heranwachsenden Nashorn wurde von acht Pferden gezogen. Ein Hamburger Flugblatt von 1744 mit der Ankündigung eines Nashorn, welches das Zweyte ist, so jemahls in Europa gesehen worden und vier und ein halb Jahr alt sei, deutet auf kürzere Reisen des Leidener Tiers im Norden hin. Der Text verweist auf ein „erstes“ Rhinoceros, das im Jahr 1515 von dem Könige von Portugal an Kayser Maximilian als Preasent gesandt worden sei; tatsächlich wurde dieses Tier, das in einem berühmten Holzschnitt von Albrecht Dürer verewigt wurde, von Lissabon für Papst Leo X. auf den Weg nach Rom geschickt, wo es jedoch nicht lebend ankam. Claras erste umfangreiche Schau-Tour durch Europa mit dem Ziel Wien begann im Frühjahr 1746 und wurde, für Douwe Mout auch finanziell, ein überwältigender Erfolg, den er durch eine Tour bis in die Schweiz fortsetzte. Eine zweite große zusammenhängende Tournee nach Frankreich und Italien schloss sich an bis zum Jahr 1751. Eine letzte Reise endete mit dem Tod des Tiers in London im Jahr 1758. Von Leiden aus fuhr Douwe Mout mit seiner Fracht im Fuhrwerk 1746 zunächst nach Hannover. Dort wurde in einer Zeitung von einem hässlichen Tier weiblichen Geschlechts Nachricht gegeben. Ein Maler namens G. L. Scheitz fertigte ein Aquarell an vom Holländischen Nashorn in Hannover. Im April des Jahres erreichte Clara Berlin, wo König Friedrich II. von Preußen sie am 26. April auf dem Spittelmarkt besichtigte, ein atemberaubender Besuch: Douwe Mout hatte Clara auf dem Markt zwischen den Fischständen zur Schau gestellt; Fischöl diente als Befeuchtungsmittel für die Nashornhaut. Friedrich der Große übergab dem Schausteller vor aller Öffentlichkeit zwölf Dukaten, die er am nächsten Tag durch weitere sechs ergänzen ließ. Die Reise wurde über Frankfurt an der Oder und Breslau fortgesetzt. Nach einem durch anhaltende Regenfälle verlängerten Aufenthalt in Breslau, wo Clara von vielen Besuchern bestaunt wurde, erreichte das Gespann am 30. Oktober 1746 Wien. Am 5. November, einem Samstag, erschienen nebst einer kaiserlichen Familienentourage Kaiser Franz I. und Maria Theresia zur Besichtigung, die sich eigens dafür von Schloss Schönbrunn aus in die Stadt auf den Weg gemacht hatten. Neben finanzieller Zuwendung wurde Douwe Mout in Wien auch eine besondere Ehre seitens der kaiserlichen Hoheit zuteil: Er wurde, wie Sir Horace Walpole 1750 in einem Brief an seinen Freund, den britischen Gesandten in Florenz, Sir Horace Mann, über einen Herrn Van der Meer berichtet, in den Adelsstand erhoben. Am 26. November 1746 brach Douwe Mout van der Meer mit seiner Clara von Wien auf nach Westen. 1747 kam Clara nach Regensburg, wo ihr Aufenthalt im März dokumentiert ist. Von dort aus reiste sie über Freiberg in Sachsen nach Dresden, wo sie vom 5. bis zum 19. April zu besichtigen war. Während ihres Dresdner Aufenthalts stand sie Modell für Johann Joachim Kändler von der Meißner Porzellanmanufaktur. Am 19. April 1747 wurde sie August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen und der königlich-kurfürstlichen Familie vorgeführt; das zahme Tier war auch für die fürstlichen Kinder eine Sensation. Vier Tage später war Clara in Leipzig, pünktlich zum alljährlichen Ostermarkt, den sie zu einem Volksfest werden ließ. Aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass sich diverse Schausteller als nashornähnliche Monster verkleideten und das Publikum sein Geld zurückverlangte, nachdem es den Schwindel bemerkt hatte. Das erste Gedicht in Europa, das ein Nashorn erwähnt, wurde verfasst von Christian Fürchtegott Gellert. Eine Einladung von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel brachte Clara anschließend in die Orangerie des Kasseler Schlosses in der Karlsaue, wo sie von Mitte Juni und Mitte Juli blieb, diesmal ungestört durch Besucherandrang und unter Orangenbäumen. Bilder oder Kunstwerke von Clara entstanden in dieser Zeit nicht. Das Nashorn war beim Landgrafen willkommen als einzigartige Trophäe, um die Nachbarn zu beeindrucken. Im November 1747 war Clara im Gasthof „Zum Pfau“ in Mannheim und über Weihnachten in Straßburg untergebracht, wo Gedenkmünzen für ihren Aufenthalt geprägt wurden. 1748 reiste Van der Meer mit ihr in die Schweiz, versehen mit einem Dokument der Kaiserin Maria Theresia, das ihm die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Heiligen Römischen Reichs gewährte. Von Januar bis Ende März hielt er sich mit dem Tier in Bern, Zürich und Basel auf, wo zum ersten Mal nicht der Schausteller, sondern jeweils der Rat der Stadt die Eintrittspreise zu ihrer Schaustellung festlegte. Über Schaffhausen und Stuttgart, wo man das Nashorn öffentlich wog und Clara-Münzen prägte, dann weiter über Augsburg, Nürnberg und Würzburg kehrte Van der Meer mit seinem Fuhrwerk nach Leiden zurück. Dass er für den Transport Claras in die Schweiz sowie hernach für die Rücktour auch den Wasserweg auf dem Rhein benutzte, wird anhand der Route nach den jeweils günstigsten Verbindungen zwischen den Orten als wahrscheinlich angenommen. 1748 begab sich Van der Meer mit Clara auf eine Frankreich-Tournee. Im Dezember 1748 machte er mit ihr Station in Reims auf der Reise nach Versailles, der Residenz des französischen Königs, wo das Rhinozeros im Januar 1749 von Ludwig XV. in der königlichen Menagerie empfangen wurde. Womöglich ermutigt durch die durchaus vorhandene Begeisterung anlässlich des bei Hofe aufsehenerregenden Ereignisses, bot Douwe Mout van der Meer seine Clara dem König zum Kauf an für 100 000 Écu, was etwa dem dreifachen Jahreseinkommen des hochrangigen Kunden entsprach. Gründe für das Angebot sind nicht belegt. Ludwig XV. lehnte ab. Zur Eröffnung des Jahrmarkts in St. Germain in Paris verließen Van der Meer und das Nashorn Versailles. Sie verbrachten anschließend fünf Monate in Paris, wo Clara eine Sensation war: Briefe, Gedichte und Lieder wurden über sie geschrieben, Uhren und Modeartikel mit ihrem Konterfei angefertigt und sogar Perücken à la rhinocéros erfunden. Giacomo Casanova verewigte Claras Auftritt auf dem Jahrmarkt von St. Germain in einer Szene seiner Historie de ma vie: eine Marquise, in Unkenntnis des Aussehens eines Rhinozeros, fragt den in afrikanischer Kleidung ausstaffierten Kassierer am Eingang zur Schaubude, ob er das Nashorn sei. Der in Versailles hochangesehene Hofmaler Jean-Baptiste Oudry schuf ein lebensgroßes Porträt Claras auf einer Leinwand von viereinhalb Metern Länge und über drei Metern Höhe, das ursprünglich im Rahmen einer Reihe von Tierdarstellungen für die Menagerie in Versailles konzipiert war und heute dem Staatlichen Museum in Schwerin gehört. Zeichnungen dazu in Kreide und Rötel sind im Bestand des Britischen Museums erhalten. Das Werk inspirierte nicht nur weitere Künstler zu Grafiken und Gemälden, sondern lieferte auch dem Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon, der das Tier in Versailles selbst hatte in Augenschein nehmen können, Material für eine Illustration in seinem 1749 begonnenen Monumentalwerk einer Historie naturelle. Ende 1749 wurde Clara in Marseille nach Neapel eingeschifft. Die Einschiffung wurde begleitet von einer Falschmeldung, überliefert in den Memoiren des Marquis dArgenson, das Nashorn sei gestorben. Ähnliche Meldungen gerieten in Umlauf; so fand sich in dem Auszug der neuesten Weltgeschichte im November 1749 die Nachricht, Clara sei mit einem Boot vor Marseille untergegangen. Ein weiteres Gerücht, ebenfalls von dArgenson notiert, besagte, das Tier sei auf dem Weg nach Neapel bei einem Schiffsuntergang ertrunken, zusammen mit Van der Meer, der bezeichnenderweise seine Geldsäcke zu bergen versucht habe. Nach der Landung in Neapel reisten Van der Meer und sein Nashorn weiter nach Rom, wo sie im März 1750 eintrafen. In Rom verlor Clara ihr Horn, was für Van der Meer ein finanzieller Verlust war, erwartete doch das Publikum für seinen Eintrittspreis die Schaustellung eines gehörnten Tiers. Aus späteren Beobachtungen von Nashörnern ist anzunehmen, dass Clara sich das Horn selbst abgescheuert hat, ein Verhalten, das die Tiere nicht in Freiheit, aber gelegentlich in Gefangenschaft zeigen. Über Bologna, wo das Nashorn im August 1750 mit seinem Fuhrwerk, diesmal gezogen von zwölf Ochsen, Einzug hielt, und anschließend im Oktober über Mailand erreichte das Gespann im Januar 1751 Venedig. Dort wurde Clara im Karneval zur Attraktion, auf Gemälden des venezianische Malers Pietro Longhi und seiner Werkstatt sind mehrere Porträts überliefert. Gegen Ende des Karnevals 1751 verließen Van der Meer und sein Rhinoceros Venedig; die mitgeführten Vorräte an Souvenirs waren ausverkauft. Sie kehrten zurück nach Leiden. Ein Dokument in Leiden bestätigt die Taufe einer Elisabeth am 5. Dezember 1751, Tochter des Douwemout van der Meer und der Elisabeth Snel. Aus den Jahren 1752 bis 1754 existieren keine Nachweise für eine weitere Tour Van der Meers. Auch aus den folgenden Jahren bis 1758 ist wenig bekannt. Einige Meldungen legen nahe, dass Clara in Prag sowie in Polen und Dänemark gewesen sein könnte. So hatte König Frederik V. von Dänemark die Erlaubnis für einen Aufenthalt des Nashorns im Juni 1755 in Kopenhagen erteilt; ob es dort tatsächlich zur Schau gestellt wurde, ist unbekannt. Dass Clara bereits in den 1740er Jahren in London gewesen sei, wurde anhand von verschiedenen englischen Darstellungen des 18. Jahrhunderts, unter anderem einer auch ins Deutsche übersetzten von einem Dr. Parsons, gelegentlich behauptet; beschrieben war allerdings ein männliches Nashorn. Unstrittig ist, dass Van der Meer seine Clara 1758 nach London brachte, wo sie im Horse and Groom in Lambeth ausgestellt wurde. Dort starb sie am 14. April 1758 im Alter von ungefähr zwanzig Jahren. Nach ihrem Tod kehrte Douwemout van der Meer nach Leiden zurück, danach verlor sich seine Spur. Der Verbleib des Kadavers ist unbekannt und nicht mehr festzustellen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind in London noch zwei weitere Nashörner vorgeführt worden. Die heute in englischen Museen aufbewahrten alten Skelette lassen sich aber nicht mehr zuordnen. Die Präparatoren waren in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht in der Lage, ein derart großes Tier in Form und natürlichem Ausdruck angemessen zu konservieren, und ebenso wenig hätte sich ein so großer Körper unbemerkt vergraben lassen. Zu vermuten ist, dass Clara den Forschern zur Zerlegung überlassen wurde. Zwischen dem 3. und 16. Jahrhundert sind keine lebenden Nashörner in Europa belegt. Die etwa acht Exemplare der Gattung, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts die Seereise nach Europa lebend überstanden hatten, waren in Gefangenschaft nach kurzer Zeit gestorben, so dass Forscher und Künstler kaum Gelegenheit zur lebendigen Anschauung hatten. Seit dem frühen 16. Jahrhundert war das Bild des Nashorns durchweg von Albrecht Dürers weit verbreitetem Holzschnitt eines Rhinozeros geprägt gewesen. Dürer hatte ein Rhinozeros nie gesehen und ihm nach einer Beschreibung einen an eine Ritterrüstung erinnernden Panzer und irrtümlich ein zweites Horn auf dem Rücken verpasst. Für die Vorstellung vom Verhalten des Tiers war die Darstellung in der Naturalis historia des Plinius maßgeblich. Die Schaustellung Claras veränderte das Bild des Tiers in Europa nachhaltig. Die Meißner Porzellanmanufaktur ließ nach Claras Auftritt in Dresden umgehend ein Dekor, das das zweite Horn zeigte, ändern. In Paris angefertigte Zeichnungen sowie das monumentale Gemälde von Oudry, das 1750 im Salon de Paris ausgestellt worden war, brachten Clara in Diderots und DAlemberts Encyclopédie sowie in die Historie naturelle von Buffon. Die Abbildungen in diesen Werken wurden in Europa im Folgenden zum Idealtyp des Nashorns. Beschreibungen des Tiers in den zunehmend zahlreicher erscheinenden Naturgeschichten und Nachschlagwerken basierten zuweilen noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Anschauungen der lebendigen Clara. Der irische Schriftsteller Oliver Goldsmith hatte Clara in London gesehen. In seiner Geschichte der Erde und der belebten Natur (A History of the Earth and Animated Nature, postum erschienen aus dem Nachlass 1774), die im 19. Jahrhundert verschiedene Auflagen erfuhr, widerlegt er die seit den Beschreibungen von Plinius maßgeblichen Vorstellungen und Legenden über dieses Tier durch seinen eigenen Augenschein; eine Ausgabe von 1816 enthält eine Illustration von Clara, die aus der Historie naturelle von Buffon abgekupfert worden war. Das Kolossalgemälde Oudrys, das Herzog Christian Ludwig II. zu Mecklenburg zur Bebilderung der fürstlichen Menagerie zusammen mit weiteren dreizehn Tiergemälden 1750 von Oudry erworben hatte, lagerte seit Mitte des 19. Jahrhunderts für gut 150 Jahre eingerollt und unbeachtet im Magazin. In einem gemeinsamen Projekt des Staatlichen Museums Schwerin und des Getty Conservation Centers wurde das Gemälde in Los Angeles, Kalifornien, seit dem Jahr 2003 restauriert; die Arbeiten dauerten vier Jahre. Im Jahr 2007 wurde es zusammen mit anderen Tiergemälden des Malers unter dem Titel Oudrys Painted Menagerie mit großem Erfolg in Museen in Los Angeles und in Houston gezeigt; 300 000 Besucher sahen die Ausstellungen. 2008 kehrte das Gemälde nach Schwerin zurück und wurde dort im Frühjahr und Sommer 2008 in einer Ausstellung präsentiert die von September 2008 bis Januar 2009 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen ist. Der im Zusammenhang der Ausstellungen in den USA im Internet kursierende Begriff einer Claramania wurde vom Zoo Schwerin aufgegriffen und für die Online-Werbung eingesetzt. Dies ist also die bewegend traurige Geschichte von Clara, dem Nashorn. Und ein beredtes Beispiel dafür, wie man mit „Dreck“ Geld machen kann- bis heute…
Posted on: Wed, 06 Nov 2013 09:49:11 +0000

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