Renault Der Bus fuhr mir tatsächlich vor der Nase weg. Schon - TopicsExpress



          

Renault Der Bus fuhr mir tatsächlich vor der Nase weg. Schon bedauerte ich, dass ich das Pärchen am Schaufenster angesprochen hatte. Und was hatte ich erreicht? Dass ich zu fuß nach Hause gehen konnte und ein frappiertes Pärchen zurückgelassen hatte. Ich konnte an diesem Abend nicht in den Schlaf finden. Ich konnte mir auch meine innere Unruhe nicht wirklich erklären. Ich hatte den ganzen Tag in einem Cafe gesessen und sogar einige flüchtige aber reizende Worte mit einer Studentin gewechselt. Die brüskierte Ablehnung des jungen Ehepaares war es auch nicht. Diese Art von Ablehnung gegenüber der Courage, sich auch weniger alltäglichen Fragen zu stellen, war ich gewohnt. Und doch fühlte ich mich unbehaglich. Ich musste mir eingestehen, dass mich der Wortwechsel mit der Studentin wieder daran erinnerte, wie sehr ich doch die Jugend liebte, mit ihrer liebenswürdigen Naivität. Und mit Paula hatte ich die Fragen von Max Frisch in endlosen Gesprächen bis zum frühen Morgen ausdiskutieren können. Dann plötzlich verstand ich mein Unbehagen und las noch eine Postkarteninterpretation von Golkin... "Was wir auf dieser Postkarte sehen: Ein Panzer Renault FT-17 auf einem Truppenübungsplatz. Die beiden Soldaten, die offensichlich die Besatzung des Panzers stellen, haben sich zu einem Schnappschuss aufgestellt, in einer eher verkrampften Lässigkeit, die den Versuch der Romantisierung des Krieges zur Lächerlichkeit erklärt. Der Panzer hatte 35 PS und wurde schon im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Mein erstes Fahrzeug hatte auch 35 PS, es war eine Ente, zum Glück! Ich war nie Soldat und hätte mich zur Not auch vor Gericht verweigert, wenn ich keine Sehbehinderung gehabt hätte, die mir einen weniger heroischen Austritt erlaubte. Was mir an diesem Foto gefällt und was wir nicht sehen: Erstens: Louis Renault hat den Bau des Panzers zunächst abgelehnt. Erst zwei Jahre später stimmte er dem Auftrag zu. Was war in den zwei Jahren geschehen? Wirtschaftlicher Druck, politischer Druck, eine innere Wandlung oder vielleicht einfach nur die Lust an der Entwicklung einer neuen Konstruktion? Ich könnte jedenfalls jeden dieser Beweggründe verstehen, weil ich sie für menschlich halte. Und vielleicht wohnte ja dem Bau ein beabsichtigter Konstruktionsfehler bei, der dazu führte, dass er schnell ausgetauscht werden musste gegen einen kriegstüchtigen Entwurf, der aber erst vom Band rollen konnte, als der Erste Weltkrieg schon vorbei war. Das wäre kühn gewesen! Dann ist der untaugliche Panzer auf dem Foto die verbliebene Hoffnung des Militärs, von dem Widerstand abzulenken. Zweitens: Mochten sich die beiden Personen? Waren Sie vielleicht schon als Kinder befreundet? Wuchsen sie in derselben Straße auf und spielten vielleicht auf einem Dachboden mit alten Kleidern Theater? Und wichtiger noch: Haben Sie den Krieg überlebt? Und wenn ja, hatten Sie dann später noch Lust am Theaterspielen? Und was ist aus dem abgebildeten Panzer geworden? Ich hoffe, es ist genau dieser Panzer, der im Armeemuseum in Brüssel steht, wo sich die Angehörigen der beiden Soldaten einmal im Jahr treffen, um sich zu erinnern an das Glück, das ihre Väter mit heiler Haut davongekommen sind. Ich hatte dieses Glück nicht, denn mein Vater ist kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges an der russischen Front mit einem abgeschossenen Bein elendig verblutet. Ansonsten wäre ich vielleicht nicht Psychoanalytiker geworden, sondern auch ein Schauspieler. - Alfred Golkin" Ich legte die Postkarte zur Seite. Ich war beeindruckt von der Idee, nicht nur das zu sehen, was wir sehen können, sondern auch das zu sehen, was sich dem Blick entzog, die Vorstellung von dem, was sein könnte, ohne dabei zu entarten und die Vorstellung in eine Friedlichkeit zu finalisieren. Dann kam mir der Gedanke, dass vielleicht auch Golkin die Vorstellung von den Dingen als bedrohlicher empfand als die dargestellte Wirklichkeit. Er aber hatte es offensichtlich geschafft, der Beängstigung zu entkommen. Wie konnte er sonst anderen Menschen dabei helfen, ihre zu ausgedehnte Vorstellungsgabe auf eine lebbare Ebene zu verorten und die Realität als einen sicheren Hafen zu begreifen, in dem jedes Schiff auch nach einer noch so stürmischen Seefahrt wieder sicher einkehren kann.
Posted on: Mon, 16 Sep 2013 23:39:01 +0000

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