Schreien lassen - Warum Babys nicht grundlos schreien und man sie - TopicsExpress



          

Schreien lassen - Warum Babys nicht grundlos schreien und man sie dabei nie allein lassen sollte Wird ein Baby geboren, ist es über alle Maßen schutz- und hilflos. Es benötigt Personen, die es füttern, kleiden, lieben, wärmen, also alle seine Grundbedürfnisse erfüllen. Um dies verlässlich einfordern zu können, hat das Kind nur eine einzige, aber mächtige Möglichkeit: sein Schreien. Sobald irgendwo auf der Welt ein Baby schreit, kann man beobachten, wie nahezu alle Menschen in der Umgebung darauf reagieren. Hört das Schreien nicht innerhalb kürzester Zeit auf, beginnen fast alle, die Köpfe zu recken, das Baby zu suchen, zu schauen, ob es versorgt wird oder ob man eingreifen muss. Das ist ein tief in uns verwurzelter Instinkt, mit dem die Natur das Überleben der menschlichen Rasse sinnvoll absichert. Jede Mutter kennt das zerreißende Gefühl in den ersten Tagen und Wochen, wenn ihr erstes Neugeborenes aus tiefstem Herzen schreit - die eigenen Reaktionen darauf reichen von Nervösität, über Herzrasen bis hin zu Schweißausbrüchen - man fühlt versucht instinktiv sofort alles, um die Ursachen für das durchdringende Weinen zu beseitigen und fühlt sich von der Umgebung genau beobachtet. Babys schreien nur in höchster Not Zu Schreien bedeutet für das Baby einen unglaublichen Kraft- und Energieaufwand - daher versucht es zunächst, durch vielfältige andere Signale darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Bedürfnis hat. Bei Hunger wird es schmatzen, das Fäustchen in den Mund stecken und den Kopf suchend bewegen, ist es müde, reibt es die Ohren oder gähnt. Im Schnitt kündigt das Baby seine Bedürfnisse erst einmal 31 Minuten lang mit zunehmender Intensität an (Gill 1984). Werden all diese Signale missachtet, muss der Forderung nach Erfüllung des Bedürfnisses Nachdruck verliehen werden, es wird - in der Regel sofort in beeindruckender Lautstärke - geschrieen. Ein Baby schreit erst dann, wenn es in höchster Not ist - wenn es sein Leben durch Hunger oder Alleinsein bedroht sieht. Daher wird es auch nicht eher damit aufhören, bis entweder das Bedürfnis befriedigt wird oder es vollkommen erschöpft ist. Babys schreien niemals ohne Grund - auch, weil das Schreien die Gefahr erhöht, dass Jäger auf potentielle Beute aufmerksam werden. Zwar leben wir in vollkommen anderen Umständen, als noch vor ein paar hundert Jahren, dieser Lebenswandel ist bei der evolutorischen Prägung unserer Kinder jedoch noch nicht angekommen - sie sind verhaltenstechnisch noch für ein Leben in Wanderherden in der Steppe mit Fressfeinden ausgerüstet. Daher ist der Körper noch immer mit einem Schutzmechanismus, dem Totstellreflex, ausgestattet, dieser lässt ein Baby, auf dessen Schreien nicht reagiert wird, in eine Starre/in den Schlaf verfallen - leise in der Ecke liegend ist ein Baby sicherer, als laut nach Menschen schreiend, die nicht reagieren. Was passiert im Körper des Babys? Welche Auswirkungen hat es? Schreien ist also das letzte Mittel der Wahl um sich verständlich zu machen - so dass man davon ausgehen kann, dass sich ein schreiender Säugling in höchsten Nöten befindet und gerade massivstem Stress ausgesetzt ist. Das Gehirn schüttet dabei Adrenalin und Cortisol aus und überflutet den Körper damit - diese Hormone können in größeren Mengen toxisch (=giftig) wirken und bestimmte Regionen im Gehirn dauerhaft schädigen. Ein Baby kann sich noch schwer bis gar nicht selbst beruhigen - es ist dafür zwangläufig auf Erwachsene angewiesen. Erst das Beruhigen, das in den Arm Nehmen, das Streicheln und Trösten sorgen dafür, dass Oxytocin ausgeschüttet wird, das den Körper beim Abbau der Stresshormone unterstützt. Wird das Kind nicht beruhigt und ist der Cortisolspiegel oft und lange erhöht, kann dies vielfältige und vor allem dauerhafte Auswirkungen haben - beispielsweise wird das Wachstum des Hippocampus stark eingeschränkt - er ist für die Angstregulation verantwortlich. Erfahrungen und Gefühle im Babyalter speichern sich im Amygdala (Mandelkern) im Gehirn ab - Angst, Frustration und Enttäuschung sind tief verankert. Zusätzlich wird das Immunsystem geschwächt, Wachstum und Lernfähigkeit können beeinträchtig sein. Auch das Nervensystem wird nachhaltig beeinflusst - die Stressschaltkreise werden auf "überempfindlich" programmiert. Die Synapsenbildung im Gehirn wird nachhaltig beeinflusst - ein Vorgang, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. In späteren Jahren reagiert das Gehirn dann auf Stresssituationen entweder mit einer Überproduktion an Hormonen (Depressionen, Angststörungen) oder mit einer Unterversorgung (Gefühlskälte, Aggression). Wissenschaftler gehen davon aus, dass der derzeitige Anstieg an Depressionen und Angststörungen auch auf das seit etwa 80 Jahren regelmäßig empfohlene und praktizierte Schreien lassen aus Erziehungszwecken zurück zu führen ist. Verzweifeltes Schreien aktiviert außerdem die Schmerzrezeptoren im Gehirn - das Kind empfindet tatsächlich körperlichen Schmerz. Auch der psychische Einfluss ist massiv: Wird vorsätzlich nicht reagiert, signalisiert das dem Kind: "Ich kümmere mich nicht um Dich, Du bist mir nicht wichtig, Du musst allein zurecht kommen". Das hat Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl - die Kinder versuchen verzweifelt, ihre Ängste allein zu regulieren. Gezieltes Schreien lassen führt letztendlich zu physischer Erschöpfung - wird dauerhaft nicht auf die Bedürfnisse reagiert, kann der Säugling die kumulativ aufgebauten Angstgefühle nicht mehr bewältigen und resigniert. Das Schreien wird wegen mangelnder Erfolgsaussicht eingestellt. Der Druck der Gesellschaft Die in unserem Blog meistgelesenen Artikel sind vor allem die über das Schlafen - auch in vielen Foren sieht man, dass das ein Thema ist, das ganz viele Eltern bewegt. Offenbar sind die Annahmen darüber, was betreffs des Schlafs von Babys normal ist, grundverschieden davon, wie Babys tatsächlich schlafen. In jedem Ratgeber werden Wege beschrieben, wie man es schafft, dass Kinder möglichst schnell allein ein- und durchschlafen. Dass dies gar nicht ihrem grundlegenden Bedürfnis entspricht, wird dabei ignoriert - Babys wollen nicht alleine einschlafen und meist am allerliebsten nur in Mamas oder Papas Arm. Eltern fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn ihr Kind nicht alleine einschläft oder noch lange nachts wach wird - auch wegen der vielen Nachfragen aus dem Umfeld. Aus unerfindlichen Gründen ist "Und - schläft Dein Kind schon durch?" eine der meistgestellten Fragen im Leben von Eltern. Und eine der Fragen, bei der am häufigsten geflunkert wird - offenbar empfinden es viele als erzieherisches Versagen, wenn ihr Kind nicht den Erwartungen entspricht. Dass ihre Kinder sich vollkommen normal verhalten, überrascht viele - die Vorstellung, dass Kinder alleine einschlafen müssen, ist eine Erfindung der letzten Jahrzehnte. In den paar Tausend Jahren davor kam niemand auf die Idee, Kinder abseits von der Familie in gesonderten Zimmern zu betten - seit Urzeiten war es vollkommen normal, dass Kinder und Eltern zusammen schliefen. Kinderzimmer sind eine Erfindung der Neuzeit - leider sind unsere Babys verhaltenstechnisch dort noch nicht angekommen. Die "Neuzeit" führte auch dazu, dass die altbewährten Zusammenlebensmuster zerfielen - aus Rudeln, in denen sich jeder um jeden kümmerte wurden kleine Familien, die sich nun fast ausschließlich alleine ihre Kinder aufziehen. Dies ist aufwändig und stressig, so dass Eltern ein grundlegendes Bedürfnis nach abendlicher Ruhe haben. Kinder jedoch haben das Bedürfnis, ganz besonders abends nicht allein zu sein, so dass hier ein Interessenskonflikt besteht. Dazu kommt ein noch gravierenderer Sachverhalt: Die zwei Generation vor der unsrigen hat eine Erziehung genossen, deren Wurzeln im Dritten Reich liegen (siehe dazu auch: Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern) - das damalige Standardwerk "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" gab es bis in die 80er Jahre als nur leicht abgewandeltes "Die Mutter und ihr erstes Kind" - die dort beschriebenen Erziehungsmethoden basieren vor allem auf dem Grundsatz, dass Kinder zu funktionieren haben - notfalls durch das Brechen ihres Willens. Wenn Omi uns nun vorhält "Du musst Dein Kind mal schreien lassen, das stärkt die Lungen", dann ist das eine in ihrer Generation weit verbreitete Annahme, deren Wahrheitsgehalt mangels zugänglicher Informationen nicht hinterfragt wurde. Tief wurzelt in unseren Eltern und Großeltern ist die Angst, Kinder könnten durch ein Übermaß an Zuneigung verzogen werden - das ist das, was ihnen Jahrzehntelang gepredigt wurde. Sicher jeder hat schon mal die Warnung gehört "Du ziehst Dir einen Tyrannen heran, wenn Du bei jeder Kleinigkeit sofort reagierst" - das ist absoluter Unfug. Babys im ersten Lebensjahr sind überhaupt nicht in der Lage, das Schreien gezielt zur Manipulation einzusetzen. Das würde planvolles Handeln erfordern, wozu Babys kognitiv gar nicht in der Lage sind - dies belegen wissenschaftliche Arbeiten eindeutig. Mütter und Väter sind also in einem Konflikt - einerseits spüren sie ganz instinktiv, dass sie sich dem kleinen Wesen unbedingt immer sofort liebevoll zuwenden sollten. Andererseits fehlt ihnen durch die unterstützenden Hände Kraft und Zeit, sich um die eigenen Belange zu kümmern und zusätzlich unken Bekannte, Verwandte und sogar manche Hebamme oder mancher Kinderarzt, dass ein Kind ab einem gewissen Alter allein einschlafen müsse, weil es sonst in Gefahr liefe, tyrannisches Verhalten zu entwickeln: "Es tanzt Euch doch schon auf der Nase herum" oder "Es schläft mit 18 Jahren noch in Eurem Bett!". Das führt dazu, dass Schlafprogramme wie "Jedes Kind kann schlafen lernen" oder die "Freiberger Sanduhr" angewendet werden. Diese Programme basieren auf gezieltem Schreien lassen. Damit das Kind alleine einschläft wird nach einem festen Zeitmuster das Schreien reaktionslos abgewartet und dann halbherzig getröstet (ohne das Kind aus dem Bett zu nehmen). Nach einer bestimmten Zeit wird der Raum wieder verlassen und der Zeitraum des Abwartens ausgedehnt. Das Kind erlebt also immer und immer wieder, verlassen zu werden und vor allem: Dass ihm vorsätzlich Zuwendung und Trost dauerhaft entzogen werden. Dabei ist es unbedingt erforderlich, sich einem schreienden Kind sofort zuzuwenden und es zu trösten. Auch während der abendlichen Schreiphasen bzw. der sogenannten Dreimonatskoliken bei Neugeborenen, die sich über Stunden hinweg ziehen können, sollte man das Kind niemals alleine lassen - auch wenn man das Gefühl hat, dem Kind so oder nicht helfen zu können (eine wirksame Methode zur Beruhigung eines schreienden Babys findest Du hier), sollte die Zuwendung aufrecht erhalten werden. Falls man jedoch so nervlich angespannt ist, dass die Gefahr besteht, das Kind zu schütteln oder andere Aggressionsformen entstehen, dann MUSS man das Kind kurz weg legen - oft reichen wenige Minuten aus, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Strategien für die Wutbewältigung findest Du in diesem Artikel in unserem Blog. Die Schlafprogramme sind meist erfolgreich - die Frage ist: Um welchen Preis? Der Säugling wird das Schreien bei dauerhaftem Ignorieren irgendwann einstellen - er tut dies jedoch aus Resignation, nicht etwa, weil er "schlafen gelernt" hat. Tatsächlich wachen Kinder nach wie vor genauso oft auf, wie bisher, sie wissen jedoch, dass es sinnlos ist, nach Mama zu rufen, weil sie nicht kommen wird. Das Urvertrauen ist zerstört - das Baby hat gelernt: Egal wie sehr ich rufe, wie sehr ich mich quäle, niemand reagiert verlässlich auf mich, immer und immer wieder werde ich verlassen. Diese fehlende Feinfühligkeit wirkt sich massiv nachteilig auf die Bindung aus. Fazit Ein Baby sollte niemals vorsätzlich und auf gar keinen Fall allein schreien gelassen werden. Kein Baby wird dauerhaft schaden nehmen, weil die Bezugsperson mal auf die Toilette muss oder sich gerade dringend um das Geschwisterchen kümmert. Babys haben durchaus feine Antennen dafür, ob ihre Eltern gerade nicht "können" oder nicht "wollen" - und können kurze Zeiträume des Schreiens durchaus tolerieren. Man sollte aber grundsätzlich im Interesse des Kindes versuchen, die Momente, in denen es schreien muss, zu begrenzen, so gut man das kann. Zumindest sollte das Ziel sein, dass das Kind nicht alleine weinen muss. Das ist in den ersten Lebensmonaten aufwändig und manchmal nervenaufreibend - aber hier wird dauerhaft der Grundstein für die Bindung zwischen Eltern und Kind und für die psychische Gesundheit im weiteren Leben gelegt. Ein Kind, das man über längere Zeit schreien lässt, trägt Schäden davon - das ist nachgewiesen. Eltern, die ihre Kinder geferbert haben, sagen: "Ich habe doch trotzdem ein gesundes, fröhliches Kind" - die Auswirkungen werden sich jedoch wahrscheinlich erst im Jugend-/Erwachsenenalter zeigen. Natürlich kann es auch Kinder geben, auf die das Schreien lassen keine Auswirkungen hat - ebenso, wie Helmut Schmidt ohne Lungenkrebs ganz lange geraucht hat... Warum also unnötig ein Risiko eingehen? Ein Baby ist nur kurz ein Baby - daher sollte man in dieser Zeit alle Bedürfnisse kompromisslos erfüllen - man hat danach noch jahrelang Zeit, das Kind zu erziehen. Im ersten Lebensjahr ist ein Verziehen schlicht unmöglich.
Posted on: Mon, 29 Jul 2013 17:34:35 +0000

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