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TAGES ANZEIGER - SCHWEIZ Vincenzo Capodici Reporter «Wenn Erdogan seine Rhetorik nicht ändert, eskaliert der Konflikt» Der Zürcher Politikwissenschaftler Can Büyükbay hat sich ein paar Tage den Demonstranten in Istanbul angeschlossen. Im Interview berichtet er über seine Erlebnisse und erklärt die Hintergründe des Aufstands. Friedlicher Protest gegen die Erdogan-Regierung: Can Büyükbay, Doktorand der Politikwissenschaft an der Universität Zürich, bei einer Kundgebung in Istanbul. Friedlicher Protest gegen die Erdogan-Regierung: Can Büyükbay, Doktorand der Politikwissenschaft an der Universität Zürich, bei einer Kundgebung in Istanbul. Er fordert ein sofortiges Ende der Proteste im Land: Recep Tayip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei. (Bild: Keystone ) Bildstrecke Protest gegen Polizeigewalt in der Türkei Protest gegen Polizeigewalt in der Türkei Nach der gewaltsamen Räumung eines Parks in Istanbul ist es in mehreren Städten zu Demonstrationen gekommen. «Die AKP muss sich überlegen, ob sie weiter auf Erdogan setzt» Erdogan lässt sich bei Rückkehr von Tausenden feiern Erdogan will sein Bauprojekt vorantreiben Die Achse Erdogan - Obama bröckelt Erdogan droht Demonstranten mit Geheimdienst Die Türken wehren sich gegen das System Erdogan Zehntausende strömen auf den Taksim-Platz «Mit seinen Drohungen kann er uns nicht einschüchtern» Die Sorgen der türkischen Touristiker Schwere Ausschreitungen in Istanbul. (Quelle: Reuters) Ministerpräsident Erdogan ist nach Nordafrika-Reise zurück. (Quelle: Reuters) Proteste in der Türkei «Wir bleiben hier, wir kämpfen weiter» Die türkische Protestbewegung bietet Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Stirn. Die Demonstranten wollen ihr Protestlager am Rande des Taksim-Platzes in Istanbul nicht räumen. «Wir bleiben hier. Wir kämpfen weiter. Mit seinen Drohungen kann er uns nicht einschüchtern», sagte eine junge Frau. Das Camp der Protestbewegung im Gezi-Park hat in den vergangenen Tagen nach dem Abzug der Polizei immer mehr den Charakter eines kleinen Dorfes mit Zelten, Verkäufern und Kulturveranstaltungen angenommen. An der gewaltsamen Räumung des Lagers hatten sich in der vergangenen Woche die andauernden Proteste in vielen Städten entzündet. Unterdessen setzen die Gegner Erdogans ihre Proteste in mehreren Provinzen des Landes fort. In Istanbul gab es in mindestens einem Stadtteil neue Zusammenstösse. Zehntausende waren in der Nacht rund um den Taksim-Platz auf den Strassen. (vi Herr Büyükbay, Sie waren zufällig in Istanbul, als die Demonstrationen gegen den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan losgingen. Was haben Sie erlebt? Vor einer Woche war ich im Istanbuler Stadtteil Taksim, weil ich dort ein Lokal besuchen wollte, wo man Tango tanzen kann. Auf dem Taksim-Platz geriet ich mitten in die demonstrierende Menschenmenge. Die Polizei setzte Tränengas gegen friedliche Demonstranten ein. Zuvor hatte die Polizei mit einer Sperre die Aktivisten daran gehindert, in den Gezi-Park zu gelangen, wo Ministerpräsident Erdogan das umstrittene Bauprojekt realisieren will. Ich bin Sozialwissenschaftler, und ich wollte die Ereignisse beobachten und Videos aufnehmen. Dabei schloss ich mich sofort den Demonstranten an, weil ich mit dem Vorgehen der Polizei nicht einverstanden war. Als Demokrat bin ich gegen die repressive Haltung der Erdogan-Regierung. Ist die Polizei wirklich, wie westliche Medien berichteten, mit übermässiger Härte gegen die Demonstranten vorgegangen? Ja. Die Polizei war von Anfang an brutal, arrogant und willkürlich. Sie setzte übermässig Tränengas ein, manche Polizisten zielten bewusst auf Demonstranten. Diese brachten sich in Cafés oder Hotels in Sicherheit, wo sie aus Solidarität hereingelassen wurden. Die Zahlen belegen das überharte Vorgehen der Polizei: Bisher gab es etwa 4000 Verletzte, 48 Menschen erlitten schwere Verletzungen. Und drei Menschen kamen ums Leben. Tragen die Demonstranten nicht auch eine Mitverantwortung an den schweren Ausschreitungen in Istanbul? Die Demonstranten erlebte ich als junge, gut erzogene, die Natur respektierende Aktivisten. Die friedliche Haltung und das Solidaritätsgefühl haben mich beeindruckt. Als ich wegen des Tränengases auf den Boden fiel, weil ich nicht darauf vorbereitet war, kamen sofort zwei Leute herbei, um mir zu helfen. Die Demonstrationen sind für mich ein Aufstand der Menschenwürde. Auch deshalb solidarisierten sich breite Teile der türkischen Bevölkerung mit den Demonstranten vom Taksim-Platz. Sie sind offensichtlich nicht einverstanden mit der Politik von Erdogan. Was stört Sie denn am türkischen Regierungschef? Und wo stehen Sie selber politisch? Ich sehe Erdogan als einen autoritären Vertreter des islamischen Kapitalismus. Im aktuellen Konflikt um den Gezi-Park glaubt Erdogan, dass er über öffentliche Räume verfügen kann, wie es ihm gerade passt. Erdogan lässt keine Mitsprache der Bürger zu. Ein echtes Demokratieverständnis kann ich bei Erdogan nicht erkennen. Politisch habe ich eher eine linke Haltung. Das umstrittene Bauprojekt in Istanbul ist nur der Auslöser der Demonstrationen gegen Erdogan. Was sind denn die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe der Proteste? In der türkischen Gesellschaft verstärkt sich seit Jahren die Unzufriedenheit über die autoritäre Haltung von Erdogan und die Übermacht seiner Partei AKP. Für Erdogan gibt es nur zwei Kategorien von Bürgern: Pro-AKP und Kontra-AKP. Erdogan akzeptiert nicht alle Bürger in gleichem Masse. Seine Regierung hat über Jahre die demokratischen Rechte und die Menschenwürde sehr vieler Bürger verletzt. Die Polizeigewalt der letzten Tage im Gezi-Park ist nur die Spitze des Eisbergs. Korruption und Vetternwirtschaft sind an der Tagesordnung. Immer mehr Menschen kritisieren, dass sich die Getreuen von Erdogan auf Kosten der Gesellschaft bereichern. Das System Erdogan hat seine demokratische Legitimität längst verloren. Trotz Protesten will Erdogan am Bauprojekt im Gezi-Park festhalten. Und er hat gestern erneut einen unversöhnlichen Ton gegen regierungskritische Demonstranten angeschlagen. Das führt wohl kaum zu einer Beruhigung der Situation? Das ist so: Wenn Erdogan seine Rhetorik nicht ändert, kommt es zu einer weiteren Eskalation des Konflikts. Bei der Rede nach seiner Rückkehr von der Nordafrikareise behauptete Erdogan, dass die Proteste von Politikern, Künstlern und Journalisten provoziert worden seien. Er sprach ausserdem von Terrorsympathisanten unter den Demonstranten. Oder auch davon, dass die Aktivitäten von #occupygezi illegal seien. Erdogan hält an seiner aggressiven Rhetorik fest. Und das ist nicht akzeptabel. Erdogan muss nicht nur seine Rhetorik ändern, sondern auch seine Haltung, die einseitig ökonomische Interessen gegen den Willen der Bürger verfolgt. Immerhin hat Erdogans Partei eine versöhnliche Botschaft an die Demonstranten gesendet. Könnte dies zum Bruch zwischen Erdogan und der AKP führen? Das sehe ich nicht so. Die AKP gehört Erdogan, alle AKP-Mitglieder folgen ihm. Seine Parteileute haben nichts zu sagen, sondern nur zu gehorchen. Im Moment ist das so. Die Selbstüberschätzung von Erdogan könnte mittelfristig sein Ende vorbereiten. Weil die Türkei keine echte Demokratie hat, kann sich Erdogan noch an der Macht halten. Ein Regierungschef, der so viel Gewalt gegen sein Volk ausübt, ist nicht mehr legitim. Die Regierung Erdogan steht aber auch für den wirtschaftlichen Aufstieg der Türkei. Die AKP kann Erfolge vorweisen. Oder nicht? Die Türkei erlebt zwar ein hohes Wirtschaftswachstum. Die ökonomische Ungleichheit der Bevölkerung hat allerdings ein unerträgliches Mass angenommen. Die AKP konnte sich in den letzten zehn Jahren als «moderate islamische Alternative» zu den traditionellen Parteien etablieren. Sie verfolgt eine populistische Sozialpolitik. Die dauernde Missachtung der demokratischen Rechte der Menschen und die totale Kontrolle der Medien haben aber der AKP und Erdogan die Legitimität entzogen. In der Türkei bräuchte es eine neue Partei, die die politische Partizipation befürwortet und die die individuellen Rechte und die freie Entwicklung der Menschen fördert. Dass aus der Protestbewegung eine Partei entsteht, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Die Demonstranten machen noch keine Anstalten, ihr Protestlager am Rande des Taksim-Platzes in Istanbul zu räumen. Wie geht es weiter? Die Kundgebungen werden bestimmt andauern, solange Erdogan die Demonstranten nicht ernst nimmt. Und solange er keine versöhnliche Rhetorik anschlägt. Dies umso mehr, als Erdogan am Donnerstagabend eine der provokantesten Reden eines türkischen Ministerpräsidenten gehalten hat. Wir hoffen, dass die Weltöffentlichkeit die Geschehnisse in der Türkei verfolgt und den friedlichen Kampf der Demonstranten nicht vergisst. Die via Internet und soziale Medien verbreiteten Videos und Bilder von Aktivisten trugen dazu bei, die internationalen Medien für das Thema zu sensibilisieren. Die türkischen Medien berichteten tagelang gar nichts. Es ist nicht so, dass nur in Istanbul Proteste stattfinden. In der ganzen Türkei sind Hunderttausende Menschen auf den Strassen, um gegen das Erdogan-Regime zu demonstrieren. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet) Erstellt: 07.06.2013, 18:02 Uhr
Posted on: Sat, 08 Jun 2013 00:34:53 +0000

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