Thilo Sarrazin: Festung Europa? Leider ja! Seit der - TopicsExpress



          

Thilo Sarrazin: Festung Europa? Leider ja! Seit der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa vor drei Wochen ist ein Medien­sturm der Betroffenheit über Europa hinweggebraust. Und in der Tat, man müsste ein Herz aus Stein haben, würde man durch die Bilder von Toten, Verzweifelten und Gestrandeten nicht verstört und angerührt. So kann jeder Papst Franziskus oder dem deutschen Bundespräsidenten Gauck zustimmen, wenn sie mehr Erbarmen und Mitmenschlichkeit fordern. Aber was heisst das denn genau? Und wo ist die Grenze für das europäische Gewissen? Jährlich 100.000 Armutsflüchtlinge aus Afrika oder 500.000 oder vielleicht ein Million? Und was ist, wenn noch mehr kommen wollen? Den Verhältnissen in Afrika verschaffen auch jährlich zwei Millionen Armutsflüchtlinge keine nachhaltige Erleichterung. Bisher wurde noch nicht bekannt, dass drei oder vier Flüchtlingsfamilien aus Eritrea in die leerstehende Papstwohnung im Vatikan oder ins Schloss Bellevue, den Amtssitz von Bundes­präsident Gauck, eingezogen wären. ­Irgendwo findet der Zuzug wohl immer seine Grenzen. Aber mehr Flüchtlingsheime, dort, wo man selbst nicht wohnt, auf Kosten des anonymen Steuerzahlers sind wohl in Ordnung, wenn sie das eigene Gewissen beruhigen? Der Soziologe Max Weber hatte 1918 in ­einem Vortrag Politik als Beruf zwischen Gesin­nungs­ethik und Verantwortungsethik unterschieden. Er sagte: «Es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungs­ethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‹Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim› –, oder unter der verantwortungs­ethischen, dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.» Gesinnungsethik ist emotionsgeleitet, Ver­antwortungsethik gehorcht der Stimme der Vernunft. Die Emotion hat ihren Platz, sonst hätten wir keine Menschlichkeit. Das Herz sieht aber nur das, was unmittelbar vor ihm liegt. Die Stimme des Herzens ist ihrer Natur nach weder objektiv noch gerecht, noch führt sie zu tragfähigen Lösungen oder macht die Welt zu einem besseren Platz. Der handelnden Vernunft dagegen muss das Wohl aller gleichmässig am Herzen liegen, sie muss langfristig denken und Handlungsfolgen abschätzen. Betrachten wir in diesem Sinne Afrika: Die ­Bevölkerung dieses Kontinents hat sich in den letzten fünfzig Jahren vervierfacht und liegt jetzt bei über einer Milliarde Menschen, nach der Bevölkerungsprognose der Uno werden es im Jahr 2050 2 Milliarden und 2100 sogar 3,5 Milliarden sein. Jedes Jahr werden in Afrika 38 Millionen Kinder geboren, das sind 24 Millionen mehr, als es der Bestandserhaltung entspricht. Es ist die Rückständigkeit, die den Kinderreichtum und die aus dem Bevölkerungsdruck entstehende Armutswanderung produziert, also gilt es, die Rückständigkeit zu bekämpfen. Das können nur die betroffenen Staaten selber tun mit: — einer funktionierenden Verwaltung — einem leistungsfähigen Bildungssystem — marktwirtschaftlichen Reformen — Korruptionsbekämpfung — Eliten, die dem Volkswohl dienen. Wie kann Europa die Rückständigkeit in ­Afrika bekämpfen? Nur durch Mahnung und Beratung, keineswegs durch Geldleistungen. Die Zahlungen der Entwicklungshilfe ­haben vor ­allem die ­Korruption gefördert und die Machterhaltung ausbeuterischer Eliten finanziert. Sie haben die Lage der Empfängerstaaten verschlimmert und nicht verbessert. Europa kann helfen, indem es dafür sorgt, dass nicht jene gehen, die man braucht, um die Verhältnisse zu bessern. Es sind nicht die Ärmsten, die Afrika fliehen. Es ist der Mittelstand, jene, die eine relative Bildung haben, denen es etwas bessergeht, und deren ­Familien die 1000 bis 2000 Dollar für die Schlepper zusammenkratzen können, damit ein Familienmitglied als Brückenkopf nach Europa gehen kann. Es fliehen jene, die die Länder Afrikas dringend brauchen, um ihre Rückständigkeit zu überwinden. Europa tut dem Wohl dieser Länder den besten Dienst, wenn es solche Fluchtbewegungen unterbindet. Todesopfer im Mittelmeer kann Europa am besten dadurch verhindern, dass die Flüchtlinge gar nicht mehr bis an die Ufer der ­Ma­ghrebstaaten kommen. Die Mittelmeer-­Anrainer Afrikas brauchen jede Unterstützung bei der Bekämpfung der Schlepperbanden, beim Aufgriff und bei der Rücksendung von Flüchtlingen. Endgültig wird sich das Schlepperunwesen nur bekämpfen lassen, indem die Nachfrage nach Schlepperleistung austrocknet. Das wird erst dann der Fall sein, wenn klar ist, dass alle im Mittelmeer Aufgegriffenen an jene Küste zurückgebracht werden, von der sie gestartet sind, und dass jenen, die keinen Grund für politisches Asyl haben, die Abschiebung droht. Festung Europa? Leider ja. Aber auch das ­Römische Reich hinter dem Limes und China hinter der Chinesischen Mauer waren für viele Jahrhunderte Festungen. Das ermöglichte ­ihre Entwicklung und sicherte ihr Überleben. Was wäre denn die Alternative? Wollen wir, dass Europa so afrikanisch wird, wie Miami ­kubanisch und Südkalifornien mexikanisch ist? Das wäre die Alternative, und sie würde sich in nur wenigen Jahrzehnten unwiderruflich einstellen. Wie wären dann Sozialstaat und Lebensstandard im alternden geburten­armen Europa zu halten? Und was wären die ­politischen Folgen? Die jüngsten Wahlerfolge des Front national in Südfrankreich sollten uns eine Warnung sein. (Thilo Sarrazin in WELTWOCHE 42/2013)
Posted on: Sun, 20 Oct 2013 13:05:23 +0000

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