Thomas Meyer – Die Marken meiner Kindheit Nächstes - TopicsExpress



          

Thomas Meyer – Die Marken meiner Kindheit Nächstes Jahr werde ich vierzig. Das gibt zu mancherlei Anlass, unter anderem zu mancherlei Rückblick. Der vorliegende soll jenen Marken gelten, denen ich als Kind begegnet bin. Ich nehme sie heute nicht nur deshalb anders wahrnehme, weil ich älter geworden bin – sondern auch die Marken. Und sie sind nicht alle gut gealtert. 1. Warum sind die Lego-Männchen alle dermassen schlecht gelaunt? Die erste Marke vermutlich, die ein Kind bewusst wahrnimmt, ist Lego. Als ich mit Lego spielte, hatten die Lego-Männchen alle das gleiche lachende Gesicht – Feuerwehrleute, Astronauten, Stadtbewohner, Ritter. Man konnte dem Polizisten einfach den Hut wegnehmen und Frauenhaar aufsetzen und hatte eine Polizistin. Ich liebte Lego. Ich spielte hunderte von Stunden damit. Dann wurde die Lego-Zentrale von bösen, dummen Dänen besetzt, die beschlossen, dass Kinder keine Fantasie haben und darum eindeutige Spielvorgaben brauchen. Sie entwarfen bärtige Piratengesichter, kriegerische Polizistenmienen und kitschig geschminkte Tussiköpfe. Die meisten Lego-Männchen gucken seither grimmig; es wird kaum mehr gelacht in Legoland. Dafür ist jedes Gesicht stereotyp. Dieselben bösen, dummen Dänen hatten auch die gloriose Idee mit den Lizenzen, weswegen es nun Harry Potter, Batman und Darth Vader als Lego gibt – wiederum mit lauter griesgrämigen Gesichtern. Mit alledem hat Lego seine grundeigene, lachende Seele verraten. Und die Männchen sind vermutlich nur deshalb so schlecht gelaunt. 2. Wieso sind die Lustigen Taschenbücher nicht mehr lustig? Die andere Hälfte meiner Kindheit verbrachte ich mit Dr. Erika Fuchs, Gott habe sie selig. Sie war beim Ehapa-Verlag zuständig für die Texte von Micky Maus und Donald Duck. Ihre Sprache hat Generationen von Kindern und Jugendlichen nicht nur erheitert, sondern gebildet, denn Frau Dr. Fuchs nahm – anders als die dummen Dänen – ihre Kundschaft ernst und mutete ihr anspruchsvolles Deutsch zu. Und zwar im Sinne einer von ihren Fans bis heute gewürdigten Marke. Anspruchsvolles Deutsch interessiert allerdings kaum jemanden mehr; überhaupt gelten Dinge von Anspruch als anstrengend und unnötig zeitraubend. Marken gehen heute davon aus, dass sie für Idioten produzieren, weswegen die Lustigen Taschenbücher schon lange nur noch Taschenbücher sind. Die Geschichten darin sind grob, flach und überdies so gezeichnet, dass der Verdacht entsteht, auch dieser Anspruch sei anstrengender und zeitraubender Natur. Die Lustigen Taschenbücher sind nicht mehr lustig, weil seit dem Tod von Dr. Fuchs im Ehapa-Verlag offenbar die Stelle unbesetzt geblieben ist, die darauf achtet, dass kluge und lustige Texte gedruckt werden. 3. Warum baut Mercedes Autos, die zwar so heissen, aber nicht mehr so aussehen? Gestorben ist leider nicht nur Frau Dr. Fuchs, sondern auch Herr Friedmann, mein Grossvater, Gott hab ihn selig. Mein Grossvater war ein wunderbarer Mann; humorvoll, elegant, von hoher Moral und Fahrer eines pflaumenblauen Mercedes 280. Es passte alles zusammen; sein Habitus, sein Leben und sein Auto. Der 280 verkörperte die Marke Mercedes (und die Marke Herr Friedmann) aufs trefflichste: Er war eine vornehme, solid und sicher gebaute Limousine in einem Design, das die Attribute arriviert, unvergänglich und klassisch verdient. Die heutigen Modelle der Marke Mercedes verdienen nur ein Attribut: vulgär. Von der alten Noblesse des Herstellers, der immerhin auf Gottlieb Daimler zurückgeht, den Entwickler des Benzinmotors, ist bei keinem etwas übrig. Mein Grossvater hätte sich nie in einen derart schamlosen Protzpanzer gesetzt, und die Leute, die es heute tun, glauben, Stil sei etwas, das man kaufen kann. Was vermutlich auch auf die dummen, bösen Menschen in der Mercedes-Zentrale zutrifft. 4. Wer ist dieser unsympathische Stinker auf der Kinder-Schokolade? Rund dreissig Jahre lang war der kleine Günter auf der Kinder-Schokolade zu sehen. Ein netter Junge. Dann, 2005, kam Kevin und verdrängte Günter von der Verpackung. Und wieder ging ein Stück meiner Kindheit unrettbar verloren. Gewisse Marken dürfen sich einfach nie, aber auch nie modernisieren, und zwar deshalb, weil es nicht notwendig ist. Sondern anbiedernd und selbstmörderisch. Anders übrigens Coop und Migros. Beiden hat das Redesign des Logos gut getan, weil beide Logos verstaubt wirkten. Die EPA hingegen, gäbe es sie noch, hätte man heute am liebsten wie damals. Die Logo-Überarbeitung aus den 1990er-Jahren war schon grauenvoll. Hier zeigt sich ein interessantes Merkmal des Markenauftrittes: Er darf nicht zwingend mit der Zeit gehen. Mal ist genau dies erforderlich – beispielsweise, wenn es um Frische geht wie bei einer Lebensmittelkette. Dann wieder wäre es nur falsch – dann nämlich, wenn es um Identifikation mit einem beständigen Wert wie Kinder-Schokolade geht. Oder eben Mercedes. Oder Lego. Oder Donald-Deutsch. Zusammenfassung Marken prägen einen schon im Kindesalter. Man ist ihnen im Herzen verbunden und nimmt es ihnen kindlich-prinzipiell übel, wenn sie sich verändern. Als die Gute-Nacht-Geschichte sich eines Abends ein neues Signet verliehen hatte, weinte ich und verstand die Welt nicht mehr. Später ist man Veränderungen gegenüber etwas offener. Dennoch können Marken schlimmen Raubbau an sich selbst üben, wenn sie glauben, unbedingt jedem Windstoss hinterherhechten zu müssen, und obschon ich nächstes Jahr vierzig werde und damit nicht mehr zur primären Zielgruppe von Lego gehöre, brüskieren mich die zornigen kleinen gelben Gesichtchen jedesmal von Neuem, wenn ich sie sehe.
Posted on: Wed, 19 Jun 2013 11:11:54 +0000

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