Was macht einen guten Bundeskanzler aus? Peer Steinbrück, Helmut - TopicsExpress



          

Was macht einen guten Bundeskanzler aus? Peer Steinbrück, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder im BILD-Interview Von BÉLA ANDA, KAI DIEKMANN (Text) und NIELS STARNICK (Fotos) . ES IST EIN GIPFELTREFFEN DER EXTRAKLASSE: ZWEI EX-KANZLER UND EINER, DER ES WERDEN WILL! BILD lud SPD-Altkanzler Helmut Schmidt (94) und Gerhard Schröder (69) mit ihrem Spitzenkandidaten Peer Steinbrück (66) zum Interview. BILD: Herr Schmidt, was macht einen guten Bundeskanzler aus? Helmut Schmidt: „Da fallen mir neben vielen anderen vor allem drei Eigenschaften ein: Konsequenz, Urteilskraft und Tatkraft.“ Gerhard Schröder: „Sehr richtig. Es geht um politische Führung. Und das heißt: Für seine Überzeugung einstehen, wenn es dem Interesse des Landes dient – auch auf die Gefahr, nicht wieder gewählt zu werden.“ BILD: Herr Schmidt, welche Stärken zeichnen Ihren SPD-Kandidaten Peer Steinbrück aus? Schmidt: „Seine Stärke ist die ökonomische Urteilskraft, die fehlt Frau Merkel.“ BILD: Und Peer Steinbrücks Schwäche? Schmidt: „Seine Schwäche ist, dass er zu schnell redet. Wenn er langsamer reden würde, käme er noch besser an.“ Schröder: „Hier würde ich widersprechen. Im Gegenteil: Im Duell mit der Kanzlerin hat er gezeigt, dass er überzeugender ist als sie.“ BILD: Hat der „Stinkefinger“ auf dem Titelblatt des „SZ-Magazins“ eher geschadet oder geholfen? Schröder: „Weder noch. Bei der Beurteilung würde ich all den Kritikern ein wenig mehr Humor empfehlen.“ BILD: Herr Steinbrück, was haben Sie sich von den Wahlkämpfern Schmidt und Schröder abgeguckt? Peer Steinbrück: „Nichts, worauf ich nicht selbst gekommen wäre und was ein anderer großer Sozialdemokrat – Johannes Rau – mal genannt hat: Mundfunk und Laufwerk. Wahlkämpfe werden gewonnen in dem direkten Kontakt mit Wählerinnen und Wählern. Das galt damals und das gilt heute.“ BILD: Herr Schröder, 1998 haben Sie die SPD nach 16 Jahren Opposition zurück zur Macht geführt. Was lässt Sie hoffen, dass 2013 wieder ein Machtwechsel möglich ist? Schröder: „Es gibt ein wunderbares Gedicht von Heinrich Heine und das fängt an: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht.“ Soll heißen: Der Wahlkampf ist erst unmittelbar vor der Wahl zu Ende. Und was in den letzten Tagen noch möglich ist, haben wir bewiesen, als wir 2002 gegen Edmund Stoiber trotz schlechter Prognosen doch noch gewonnen haben. Also: Wenn man nicht aufgibt, geht immer was.“ Steinbrück: „So ist es! 2005 war eine ähnliche Situation: Aus der Sicht von Beobachtern und Kommentatoren war die Wahl für die SPD und Gerhard Schröder schon verloren. Da gab es Wahlumfragen, die sahen die Union bei 48%. Den Gesichtsausdruck von Frau Merkel hab ich sehr genau in Erinnerung, als sie dann das Endergebnis sah: 35%.“ Schröder: „Ich erinnere mich auch gut. Ich habe noch am Wahlabend eine Kultsendung gemacht...“ BILD: Herr Schmidt, was hat Ihnen als Wahlkämpfer Spaß gemacht, was hat genervt? Schmidt: „Spaß im Wahlkampf? Das wäre eine Verniedlichung! Was das „Nervige“ angeht, sage ich: Ein Wahlkämpfer darf keine Nerven haben.“ BILD: Wann hat Peer Steinbrück Sie das letzte Mal um Rat gefragt? Schmidt: „Das tut er regelmäßig.“ BILD: Und was raten Sie dem Kandidaten für den Schlussspurt? Schmidt: „Er braucht von mir keine Ratschläge. Aber ich würde wahrscheinlich an seiner Stelle deutlich sagen, was in diesem Wahlkampf zu kurz kommt: Die Zukunft der Europäischen Union und unserer gemeinsamen Währungsgruppe aus 17 Staaten ist höchst zweifelhaft. Spätestens im Laufe des Jahres 2014 werden wir Deutschen – vor allem wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Griechenland, in Portugal und in anderen Ländern Südeuropas – von allen Seiten zur Kasse gebeten. Und das, obwohl Frau Merkel das Volk darauf eingestimmt hat, dass wir nicht zahlen werden. Das ist eine sehr unerfreuliche Situation und viele werden das nicht gerne hören. Aber es wird sich schon in wenigen Monaten herausstellen, dass es die Wahrheit ist.“ Schröder: „Und darum rufen uns die europäischen Nachbarn zu: Wir wollen von euch kein Spardiktat hören. Wir sind ja bereit zu reformieren. Aber wir wollen auch fair behandelt werden. Ihr Deutschen habt am meisten vom Euro profitiert. Wenn es dabei bleiben soll, müsst ihr auch bereit sein, uns zu unterstützen – das was Peer Steinbrück einen neuen Marshall-Plan in Europa nennt, um die Jugendarbeitslosigkeit vor allem im Süden Europas zu bekämpfen, wo heute jeder zweite Jugendliche vergeblich einen Job sucht.“ BILD: Es geht um viel am 22. September. Doch die Deutschen sind wahlmüde. Die Wahlbeteiligung könnte erstmals unter 70 Prozent fallen. Haben die Bürger ein Recht darauf zu sagen: Ich wähle NICHT? Schröder: „Nein. Für mich gilt: Wahlrecht ist eine Art Wahlpflicht! Wer nicht wählt, lässt andere über sein Schicksal entscheiden und das sollte keiner tun.“ Schmidt: „Im Vergleich zu anderen Ländern stehen wir gar nicht so schlecht da, was die Wahlbeteiligung angeht. Aber wenn sie diesmal tatsächlich unter 70 Prozent sinken sollte, dann gewiss auch, weil Frau Merkel den Menschen erzählt, sie müssten sich keine Sorgen machen. Dieser Wahlkampf fände sicher größeres Interesse, wenn dem Wähler endlich die Illusion genommen würde, dass Deutschland nichts weiter für die Krisenstaaten in Europa zahlen wird.“ BILD: Herr Steinbrück, Sie haben ausgeschlossen, sich von den Linken zum Bundeskanzler wählen zu lassen. Ist es für alle Zeit ausgeschlossen, dass ein SPD-Kandidat von den Linken ins Amt gewählt wird? Steinbrück: „Grundsätzlich müssen alle demokratischen Parteien koalitionsfähig sein. Deshalb halte ich nichts von Grundsatzbeschlüssen, mit denen man Türen für alle Zeit zuschlägt. Aber ich sage glasklar: Diese Linkspartei ist auf absehbare Zeit nicht koalitionsfähig. Sie besteht im Wesentlichen aus drei Parteien: aus einer ostdeutschen Linkspartei, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen; aus einer kommunistischen Plattform und aus Sektierern aus Westdeutschland. Von einer solchen Partei kann sich eine deutsche Bundesregierung nicht abhängig machen – weder in einer Koalition noch in einem Tolerierungsmodell.“ BILD: Peer Steinbrück hat es abgelehnt, als Vize-Kanzler in eine Große Koalition zu gehen. Darf ein Kanzlerkandidat sich weigern, bei entsprechendem Wahlergebnis für eine solche Aufgabe zur Verfügung zu stehen? Schmidt: „Dürfen darf er das. Ob das klug ist, ist eine andere Frage.“ Schröder: „Ich kann dem nichts hinzufügen BILD: Herr Steinbrück, gab es Entscheidungen der SPD-Kanzler, die sie heute für falsch halten? Steinbrück: „Ja, ein Fehler war der Radikalenerlass Anfang der siebziger Jahre, der einen Teil meiner Generation ins Abseits drängte...“ Schröder (zeigt auf Helmut Schmidt): „... er war dagegen.“ Steinbrück: „Ja, das war nicht Helmut Schmidt, sondern Willy Brandt. Dieser Radikalenerlass war eine falsche Antwort und hat viel Vertrauen in die Liberalität der SPD zerstört.“ BILD: Herr Steinbrück, gibt es historische Momente oder Entscheidungen im Kanzleramt, von denen Sie denken: Hoffentlich bleibt mir das erspart! Steinbrück: „Ich erinnere mich, wie ich 1956 als kleiner Junge zum ersten Mal bewusst politische Nachrichten sah. Damals ging es um den Ungarn-Aufstand und die Suezkrise. Seit dieser Zeit durchlebe ich solche Krisen mit dem Gedanken: Was kann Politik tun, um Frieden zu bringen. Das war auch bei der Kuba-Krise 1962 so, später in den 70er Jahren, als Helmut Schmidt mit dem RAF-Terror kämpfte. Und natürlich war es eine riesige Herausforderung, die Chance zur deutschen Wiedervereinigung zu erkennen und zu ergreifen. Da zolle ich Helmut Kohl Respekt. Das gilt auch für Gerhard Schröder, der gegen große Widerstände seine Reformagenda 2010 durchgesetzt hat – mit der Konsequenz, dass das eigene Amt darüber auch verloren gehen kann.“ BILD: Herr Steinbrück, hält die SPD die Lebensleistung ihrer letzten beiden Bundeskanzler hoch genug – also den NATO-Doppelbeschluss als Wegbereiter der Deutschen Einheit und die Agenda 2010 als Grundlage unserer heutigen Wirtschaftskraft in Europa? Steinbrück: „Nein, das könnte sie durchaus selbstbewusster! Ich erinnere mich noch gut an den SPD-Sonderparteitag 1983 in Köln, wo Helmut Schmidt mit seiner Haltung zum NATO-Doppelbeschluss nur noch zehn oder elf Unterstützer in der Partei hatte. Doch die Geschichte hat ihm Recht gegeben: Denn ohne die Bereitschaft zur Nachrüstung, wie Helmut Schmidt sie vertrat, wäre es 1986 wohl nicht zur Einigung in Reykjavik gekommen, bei der US-Präsident Ronald Reagan und Sowjet-Führer Michail Gorbatschow die Grundlage legten zur Abrüstung sämtlicher atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Da ist Helmut Schmidt Unrecht widerfahren und das hat die SPD nie wieder gut gemacht. Und ich glaube, auch Gerhard Schröder hätte zur Agenda 2010 innerparteilich mehr Anerkennung verdient.“ BILD: Das war bisher Angela Merkel vorbehalten. Steinbrück: „Ja, sie fährt die Rendite der SPD-Reformen ein. Die SPD hat den enormen Fehler gemacht, die Agenda 2010 alleine auf Hartz IV zu reduzieren. Man kann ja über Korrekturbedarf reden, den es heute sicher gibt. Aber die SPD hätte diese Agenda 2010 sehr viel selbstbewusster als enormes Reformwerk nach außen tragen müssen. Und nicht so verschämt, nach dem Motto: Oh, tut uns leid, dass wir das getan haben.“ BILD: Herr Schröder, was steht denn in der „Agenda 2020“ des nächsten Kanzlers? Schröder: „Drei Dinge. Erstens: Investition in Kinderbetreuung, damit die glänzend ausgebildeten jungen Frauen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Zweitens: Investition in Bildung und Ausbildung, vor allem bei der jungen Generation mit Migrationshintergrund, die wir vernachlässigt haben. Und drittens: Investition in Infrastruktur – Straßen, Stromnetze, Wasserwege. Noch sind wir vorneweg. Aber: Ich sage „noch“. Denn wenn ich lese, dass die Schleusen im Nord-Ostsee-Kanal – unter Kaiser Wilhelm gebaut – nicht erneuert werden, weil die Bundesregierung kein Geld hineinsteckt, dann ist das fahrlässig. Und: Wir müssen den Menschen erklären, dass die Rente mit 67 sein muss. Wir können nicht weiter immer weniger Geburten verzeichnen, immer länger Leben – Gott sei Dank– und dann trotzdem meinen, wir könnten die Altersgrenzen heruntersetzen. Das wird nicht funktionieren.“ Steinbrück: „Ich will noch einen Punkt hinzufügen: Das ist die Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft. Viele Menschen haben den Eindruck, dass sie die Haftenden sind für die Risiko-Ignoranz und für die Zockereien auf den Finanzmärkten. Sie haben den Eindruck, dass Maß und Mitte verloren gegangen sind, dass Haftung und Risiko nicht mehr zusammenfallen.“ U18-Wahl Wissen Sie, was Ihre Kinder wählen würden? . BILD: Herr Schröder, ein Hinweis für den Kandidaten: Was sollte ein Bundeskanzler nie vergessen? Schröder: „Wo er herkommt! Weswegen er dort ist. Und dass seine Macht auf Zeit verliehen ist. Politik ist vor allem die Bereitschaft zuzuhören. Aber dann am Ende auch alleine zu entscheiden und die Verantwortung für die Entscheidung persönlich zu übernehmen. Das Amt kann sehr einsam machen.“ BILD: Herr Schmidt, auf welche Überraschung sollte sich Peer Steinbrück aus Ihrer Erfahrung als Kanzler gefasst machen? Schmidt: „Von Überraschung will ich nicht reden. Aber eines habe ich mir im Amt stets bewahrt: das Misstrauen gegenüber Geheimdiensten! Im Übrigen: Ich werde nun bald 95 Jahre und hätte eigentlich längst meinen Schnabel halten sollen. Bis zum 22. September werde ich keinen Auftritt mehr machen. 2017 erst recht nicht. Das heißt: Das war heute der letzte Wahlkampftermin meines Lebens.“
Posted on: Wed, 18 Sep 2013 10:10:28 +0000

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