»Wir durchbrechen die Blockade von Gaza aus« Über die - TopicsExpress



          

»Wir durchbrechen die Blockade von Gaza aus« Über die kanadische Solidaritätsbewegung mit Palästina und ihre Versuche, auf dem Seeweg hin zu kommen. Und darüber, daß einheimische Handwerker jetzt mit kanadischem Geld dort ein Schiff zum Warenexport umbauen. Gespräch mit David Heap David Heap ist Professor für Französisch und Linguistik an der Western University von Ontario, Kanada. Er ist aktiver Gewerkschafter und engagiert sich an führender Stelle in der kanadischen Solidaritätsbewegung mit Palästina. Sie engagieren sich mit vielen anderen Kanadiern in der Solidaritätsbewegung für Palästina – u. a. wurde das mit dringend benötigten Gütern beladene Schiff »Tahrir« nach Palästina geschickt. Können Sie kurz schildern, wie das ausgangen ist? Im Jahre 2010 steuerte die erste Solidaritätsflotille Palästina an – die israelische Marine stoppte sie aber, dabei wurden auf der türkischen »Mavi Marmara« neun Menschen erschossen. Ein Jahr darauf haben Solidaritätsgruppen aus mehreren Ländern begonnen, eine zweite Flotille zu organisieren. Von Spenden, die wir in Kanada gesammelt hatten, kauften wir in Griechenland ein 25 Meter langes Schiff, das bislang im Inselverkehr eingesetzt worden war, und tauften es auf »Tahrir« - nach dem zentralen Platz in Kairo, auf dem die großen Demonstrationen stattfanden, die schließlich zum Sturz von Hosni Mubarak führten. Auf dem selben Platz fanden jetzt ja auch die Kundgebungen statt, die zur Absetzung seines Nachfolgers Mohammad Mursi führten. Unsere »Tahrir« hatte eine internationale Besatzung, an Bord waren Australier, Dänen, Belgier,Türken. Das kanadische Fernsehen war anfangs dabei, Nahostkorrespondenten internationaler Medien, die russische Komsomolskaja Prawda, die israelische Haaretz, die deutsche junge Welt. Kapitän war ein Grieche, wir wollten von Hagios Nikolaos auf Kreta starten. Während sich auch andere Schiffe in griechischen Häfen auf das Auslaufen Richtung Palästina vorbereiteten, setzte die israelische Regierung bei Griechenlands Ministerpräsident Georgios Papandreou durch, daß uns Auslaufverbot erteilt wurde – wider griechisches Recht übrigens. Zunächst versuchte es das Hafenamt auf die bürokratische Tour, indem es unsere Schiffspapiere beschlagnahmen wollte. Das verhinderten wir nicht nur, sondern beantworteten es auch mit einer internationalen Demonstration durch die Innenstadt zum Hafen. Wir haben der Hafenkapitänin mächtig eingeheizt. (1) Danach kam das offizielle Auslaufverbot. Ein Boot der Küstenwache blockierte unsere Hafenausfahrt, an Land postierten sich Soldaten mit gezückten Maschinenpistolen. Da es bei anderen Schiffen Sabotageakte gegeben hatte, vermutlich vom israelischen Geheimdienst initiiert, ließen wir nachts Scheinwerfer ins Wasser, die das Unterwasserschiff beleuchteten. Die Besatzung eines großen französischen Katamarans, der neben uns lag, schaltete ebenfalls die Unterwasserscheinwerfer ein. Eine griechische Tauchergruppe kontrollierte stündlich unter Wasser, ob alles in Ordnung war. Da wir nun sehr engmaschig bewacht waren, blieb uns nur die Möglichkeit, die griechischen Behörden auszutricksen. Unser Kapitän bekam formell die Kündigung – wir wollten nicht riskieren, daß ihm die griechischen Behörden das Patent entziehen. Bevor die Küstenwache sich versah, sprangen plötzlich die beiden Maschinen der »Tahrir« an, die Leinen wurden losgeworfen, und schon glitten wir aus dem Hafen. Zwei unserer Leute hatten das dadurch ermöglicht, daß sie mit Kajaks das mittlerweile an der Pier festgemachte Küstenwachboot am Ablegen hinderten. Wir waren gerade vier Meilen auf See, als uns die Küstenwache am Wickel hatte, Soldaten enterten das Schiff, wir wurden in den Hafen zurückgebracht. (2) Die griechische Justiz hätte gerne jemanden gefunden, den sie wegen des illegalen Auslaufens verantwortlich machen konnte – ging aber nicht. Alle 40 Leute an Bord wurden von der Polizei vernommen, jeder einzelne sagte aus, er wisse auch nicht, wer beim Auslaufen im Ruderhaus oder im Maschinenraum war. Wir verlegten die »Tahrir« einige Wochen später in die Türkei und machten am 2. November gemeinsam mit der irischen »Saoirse« von dort aus einen neuen Anlauf. (3) Als wir uns nach zwei Tagen Fahrt Palästina näherten, war plötzlich jeder elektronische Kontakt zur Außenwelt weg – die Satellitenverbindungen für Telefone und Internet waren abgebrochen. Es war uns klar, daß wir es bald mit der israelischen Marine zu tun bekommen würden. Das israelische Militär hat also die Satellitenverbindung gekappt? Ja. Für uns war das auch ein klarer Hinweis darauf, daß Israel nicht möchte, daß die Welt mitbekommt, was passiert – immerhin hatten wir auch dieses Mal wieder Journalisten an Bord. Als uns die griechische Küstenwache gekapert hatte, blieben wir die ganze Zeit online, die Journalisten an Bord konnten ungehindert live ihre Berichte absetzen. Den Soldaten war auch deutlich anzumerken, daß sie sich unbehaglich dabei fühlten, uns festhalten zu müssen. Der letzte Standort der »Tahrir«, den wir per GPS bestimmt hatten, war etwa 45 bis 50 Seemeilen (eine Seemeile sind 1,852 km) vor der palästinensischen Küste, wir waren also in internationalen Gewässern. Plötzlich kamen drei große Kriegsschiffe auf uns zu, außerdem ein Schwarm von 16 bis 20 kleineren Booten, besetzt mit bis an die Zähne bewaffneten Soldaten. Gab es Funkkontakt zu den Marineeinheiten? Ja, über Seefunk. Ein israelischer Offizier fragte nach unserem Ziel und Ehab Lotayef , eines unserer Vorstandsmitglieder, antwortete: »Unser Ziel ist das Gewissen der Menschheit.« Kurz darauf enterten uns zwei Dutzend schwer bewaffnete Soldaten – wobei sie genau wußten, daß wir einschließlich Kapitän nur 13 Leute waren, unbewaffnet und ohne jede Absicht, Widerstand zu leisten. Der Kontakt zu dem irischen Boot war mittlerweile abgerissen, die Marine hatte es mit Wasserkanonen beschossen. Da die gesamte Elektrizität ausgefallen war, hatte es auch keinen Seefunkkontakt mehr. Als die Soldaten uns überfielen, stand ich mit dem Kapitän und Ehab gemeinsam auf der Brücke. Sie befahlen mir, fünf Meter zurückzutreten – was ich nicht tat, weil ich sonst ins Wasser gefallen wäre. Daraufhin wurde ich mit einem Taser beschossen, einer Elektroschockpistole. Die Soldaten übernahmen die Kontrolle des Schiffes, sie durchsuchten alle Räume und erklärten uns dann, sie hätten weder Waffen gefunden noch sonstige verbotene Gegenstände. Und sie kündigten an, das Schiff in den israelischen Hafen Ashdot zu bringen – der natürlich nie unser Ziel war. Wie wurden Sie von den israelischen Behörden behandelt? Das war schon merkwürdig, als die Soldaten das Schiff nach Ashdot überführten, schliefen alle ein, die uns bewachten. Bis auf einen, der zwischendurch immer wieder aufschreckte, wobei er die Maschinenpistole auf uns gerichtet hielt. Wir baten dringend darum, man möge einen Bewacher schicken, der ausgeschlafen ist. In Ashdot sollten wir dann den Einwanderungsbehörden übergeben werden. Wir weigerten uns jedoch den Boden eines Staates zu betreten, in den wir gar nicht reisen wollten, leisteten also passiven Widerstand. Daraufhin wurden die Soldaten gewalttätig: Ehab wurde vom Schiff gestoßen, wir anderen wurden heruntergetragen. Außer eine Menge blauer Flecken haben wir jedoch keine Verletzungen davongetragen. Völkerrechtlich gesehen, war es Staatspiraterei, was die israelische Marine da gemacht hat. Uns war aber auch klar, daß wir viel milder behandelt wurden, als es die Israelis gemeinhin mit Palästinensern machen. Sie mußten auch Verhöre über sich ergehen lassen? Zunächst wurden wir einzeln von der Einwanderungsbehörde vernommen, dann von der Sicherheitspolizei. Mittlerweile war auch die ebenfalls festgenommene irische Delegation in Ashdot eingetroffen, gemeinsam wurden wir in ein Gefängnis gebracht. Besatzungen früherer Solidaritätsschiffe waren von den Israelis zum Teil schon nach 24 Stunden abgeschoben worden. Uns versuchte man dadurch einzuschüchtern, daß wir mit zwei Wochen oder gar zwei Monaten Haft bedroht wurden und damit, daß wir unseren Rückflug selber zahlen müssen. Wir bekamen immer wieder unterschiedliche und widersprüchliche Äußerungen zu hören. Das einzige, was man verallgemeinernd dazu sagen kann, ist, daß alles gelogen war. Die sechs Tage im Gefängnis waren für uns alle so etwas wie eine Schule in praktischer Solidarität, wir haben viel von den Iren gelernt. Und dann wurden Sie abgeschoben? Ich wurde in einer Maschine der israelischen El-Al nach Kanada geflogen. Zuvor wurde mir mitgeteilt, daß El-Al nicht einfach nur eine Fluglinie ist, sondern ein Teil des Staatsapparates. Und so ist es auch: Wir kamen uns an Bord wie Gefangene vor, die Besatzung hat uns nach der Landung in Toronto auch nicht einfach gehen lassen, sondern den kanadischen Einwanderungsbehörden übergeben. Wie sind Sie an Bord des Flugzeugs behandelt worden? Viel habe ich nicht mitbekommen, ich bin sofort eingeschlafen. Jedenfalls hatte die Kabinen-Crew dafür gesorgt, daß wir so wenig Kontakt wie möglich mit anderen Passagieren hatten, uns wurden Plätze ganz hinten zugewiesen. Ehab erzählte mir, er habe gehört, wie Passagiere mit Blick auf uns untereinander tuschelten: Hoffentlich berühren deren dreckige Koffer nicht unser Gepäck ... Wir waren jedenfalls wieder in Kanada, waren sechs Tage lang von der Welt abgeschnitten. Dann hörten wir die Nachricht des Tages: Per Zufall war eine private Unterhaltung zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama aufgezeichnet worden. Sie unterhielten sich u. a. über Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und nannten ihn einen »Lügner«. Das hat unsere eigenen Erfahrungen mit Israel nur noch bestätigt. Die Strategie der Solidaritätsbewegung, die Blockade Palästinas von See her zu durchbrechen, ist ja nun gescheitert. Sie haben jetzt die Strategie geändert – Sie wollen sie von innen her brechen … Im Jahre 2008 ist es immerhin fünf Solidaritätschiffen gelungen, Gaza anzulaufen. Diese Aktionsform hat sich als wenig effektiv erwiesen, sie hat weder etwas an der Blockade Palästinas geändert, noch daran, daß die kanadische Regierung Israel unterstützt. Sie hat aber doch dazu beigetragen, daß – in unserem Fall zumindest– viele kanadische und irische Bürger durch die Medienberichterstattung auf das Palästina-Problem aufmerksam wurden. Das war auch im vergangenen Jahr mit dem skandinavischen Dreimastschoner »Estelle« der Fall, der unter finnischer Flagge in Nordeuropa nach Palästina segelte. Auf dem Wege dorthin lief das Schiff zahlreiche Häfen an, wo die Besatzung über den Zweck der Reise informierte. Letztlich kommt es uns darauf an, die Herzen und Sinne der Menschen zu erreichen, um die Solidaritätsbewegung mit Palästina zu stärken. Und wir gehen davon aus, daß sich die beteiligten Regierungen dem nicht entziehen können. Von einem Strategiewechsel will ich daher nicht reden, wir wollen noch immer das Gewissen der Welt mit dieser Blockade konfrontieren. Es ist eher ein »Wechsel der Taktik«, er ist das Ergebnis verschiedener Überlegungen, die wir nicht nur in Kanada selbst, sondern auch mit unseren ausländischen Partnern diskutiert haben. Wir machen es dieses Mal umgekehrt: Wir wollen die Blockade von Gaza aus durchbrechen. Dazu haben wir dort ein altes Fischerboot erworben, das wie viele andere seit Jahren unbenutzt im Hafen liegt. Es hat etwa das Format der »Tahrir«, ist also 25 m lang. (4) Dieses Boot wird von einheimischen Handwerkern umgebaut, die wir bezahlen. Sie werden von Freiwilligen aus der Solidaritätsbewegung angeleitet – von einem Ingenieur und einem Fachmann, der die »Estelle« in Finnland mit ausgebaut hatte. Bevor das Boot auslaufen kann, werden wir also einige Arbeitsmöglichkeiten für die Einheimischen geschaffen haben. Unser Plan ist, landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte auszuführen, wobei wir an den Handel anknüpfen, wie er vor der Blockade üblich war. Dazu muß man natürlich wissen, daß auch keine Ersatzteile mehr ins Land kamen, so daß ein großer Teil der palästinensischen Wirtschaft brach liegt. Die Menschen in Gaza brauchen keine humanitäre Hilfe, sondern Bewegungsfreiheit, um die Wirtschaft selbst in Schwung bringen und souverän leben zu können. Wenn wir von Gaza aus in See stechen, ist es doch auch sonnenklar, daß wir alles andere als eine Bedrohung für Israel sind. Wir demonstrieren damit für das Recht der Palästinenser auf ein normales Leben. Von der »Estelle« haben wir gelernt, wie wichtig eine lange Vorbereitungszeit ist. Es hat sich für die Öffentlichkeitsarbeit als sehr effektiv erwiesen, vorher viele Häfen anzulaufen. Das werden wir natürlich kopieren können – aber mit unserem Projekt haben wir durchaus die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen. Hat das Boot schon einen Namen und gibt es einen Plan, wann es auslaufen soll? Es heißt »ad-Dahoul« und ist noch unter dem Namen des Vorbesitzers registriert. Wenn die Dokumente umgeschrieben sind, bekommt es auch einen neuen Namen. Wie alle dieser Fahrzeuge aus der Küstenfischerei hat es keine international gültigen Papiere, die müssen wir auch noch besorgen, wenn es so weit ist. Unser Ingenieur hat einen Arbeitsplan erstellt, demnach müßten alle technischen Umbauten in einigen Monaten erledigt sein, möglicherweise schon im September. Ob wir dann auch wirklich in See stechen können, werden wir sehen, es hängt auch vom Wetter ab. Und wir wollen die 40 bis 50 Tonnen Fracht, die wir laden wollen, vorher an Abnehmer im Ausland verkauft haben. Solidarität mit Palästina wird in Deutschland gerne als Antisemitismus dargestellt. Wie gehen Sie damit in Kanada um? Solche Anwürfe kennen wir zur Genüge, vor allem von der vorbehaltlos pro-israelischen Regierung Kanadas. Die meisten Mainstream-Medien schließen sich natürlich an. Für mich sind diese Beleidigungen aber im Grunde nur Akte der Verzweiflung – sie haben keine besseren Argumente. Und jetzt zu den Tatsachen: Schon die »Tahrir« wurde von vielen jüdischen Vereinigungen in Kanada mitfinanziert, eingetragene Besitzerin ist die Jüdin Sarah Rush. Es waren Christen diverser Konfessionen an Bord, ein Imam, mehrere andere Moslems, Atheisten – und das aus vielen Ländern. Mit der Hamas, die in Gaza regiert, haben wir genau so viel und genau so wenig zu tun wie mit Behörden in jedem anderen Land. In Griechenland mußten wir mit den griechischen Hafenämtern verhandeln, und in Gaza müssen wir eben mit den dortigen Behörden reden. Abgesehen davon – wir sind so etwas wie eine Graswurzelbewegung, mit Bürokratie wollen wir nichts zu tun haben. Was halten Sie vom US-Präsidenten Barack Obama? Er hat kürzlich Deutschland besucht und ist jetzt wegen der Abhöraffäre des Geheimdienstes NSA in heftige Kritik geraten. Ich halte mich gerne an die Regel, meine Erwartungen möglichst niedrig anzusetzen, dann habe ich gute Aussichten, mir Enttäuschungen zu ersparen. Deswegen habe ich auch nicht die geringste Hoffnung auf konkrete Schritte Obamas – er wird weder etwas an Guantánamo ändern, noch die Drohnen-Angriffe einstellen. Es wird auch bei der bisherigen Unterstützung Israels bleiben. Wie steht die kanadische Bürgerrechtsbewegung zu Obama? Wir alle sind sehr enttäuscht von ihm. Sein Versprechen, Guantánamo zu schließen, hat er nicht gehalten, die in Aussicht gestellte Änderung der Nahostpolitik hat es nicht gegeben. Die USA spionieren die ganze Welt aus und schicken weiter ihre Drohnen los, um in anderen Ländern ohne jedes Gerichtsurteil Menschen zu töten. Dolmetscherin: Gisela Siebourg jungewelt.de/2013/07-13/001.php
Posted on: Sat, 13 Jul 2013 12:51:47 +0000

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