e-Mail an den Herrgott am 19. September 2013 Lieber - TopicsExpress



          

e-Mail an den Herrgott am 19. September 2013 Lieber Herrgott, „Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ steht im Johannes-Evangelium im 15. Kapitel. Gibt es so etwas überhaupt? Heute fiel mir ein Name entgegen, den ich noch nie gehört hatte: Witold Pilecki. Ein Offizier der Polnischen Heimat-Armee, der am 19. September 1940 mit falschem Pass unter dem Pseudonym Tomasz Serafinski in Auschwitz ankam. Freiwillig. So ähnlich wie Jan Karski, der in Belzeg und dann noch einmal im Warschauer Ghetto Material über die Nazi-Verbrechen sammelte – freiwillig - und der als Berichterstatter in London und Washington keinen Glauben geschenkt bekam. Pilecki sammelte in Auschwitz Material, um die Alliierten davon zu überzeugen, dass es nötig sei, dem Morden ein Ende zu setzen. In Auschwitz überlebte er 945 Tage, überstand eine Lungenentzündung und organisierte eine Widerstandsgruppe. Er war davon überzeugt, dass Engländer und Amerikaner sie mit Waffen versorgen oder die Gleise nach Auschwitz unterbrechen würden. Als er feststellen musste, dass seinen Berichten kein Glauben geschenkt wurde, entschloss er sich 1943, aus dem Lager zu fliehen. „Wenn man freiwillig ins Lager kommt, muss man auch freiwillig herauskommen“ erklärte er seinen Mithäftlingen. Die Flucht gelang tatsächlich – und er fand Unterschlupf in einem Haus, in dem ihm ein Mann mit Namen Tomaz Serafinski begegnete – der Mann, dessen Ausweis er benutzt hatte. Im August 1944 kämpfte er als einfacher Soldat beim Warschauer Aufstand mit, wurde gefangengenommen und überlebte den Rest des Krieges in einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Von dort aus brachte er sich in Italien in Sicherheit und wurde von seinen Vorgesetzten nach Kriegsende nach Polen geschickt, um dort Material über die sowjetische Besatzungsmacht zu sammeln. Er unterstützte die Partisanen, die gegen die Russen kämpften, musste dann aber feststellen, dass es keine Hoffnung gab, dass Polen wieder selbstständig werden könne. So beschränkte er sich darauf, die Gräueltaten der Sowjets zu dokumentieren und über die im Gulag Verschwundenen zu berichten. In den ersten Jahren nach dem Krieg brachten die Schergen der GPU mehr Menschen um als die Nazis im Krieg und in den KZ’s in Polen umbrachten. Das liess Pilecki keine Ruhe. Die polnische Geheimpolizei kam ihm auf die Spur. Im März 1948 fand in Warschau ein Schauprozess statt, in dem er als Spion zum Tode verurteilt und am 25. März durch Genickschuss exekutiert wurde. Seine Leiche wurde auf einer Müllkippe in der Nähe eines Warschauer Friedhofs verscharrt. Dort wird gerade ausgegraben, und seine beiden Kinder Andej und Zofia hoffen darauf, dass ihr Vater durch DNA-Analyse gefunden wird. 2003 wurden sein Ankläger und andere Prozessbeteiligte wegen des Todesurteils angeklagt und verurteilt. Im Jahr 2000 erschien zum ersten Mal sein Auschwitz-Bericht. Im August 2013 nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel: „Freiwillig nach Auschwitz – die geheimen Aufzeichnungen des Häftlings Witold Pilecki“ im Orell-Füssli-Verlag Zürich. Eigentlich, so sagen Zeitzeugen, sei dieser Mann ein biederer Familienvater gewesen. Was bringt einen Mann dazu, sich in solche Gefahren zu begeben? Der polnische Oberrabbiner meint, dies sei ein Fall von fassungsloser Güte und eines unerklärlichen Anstandes in unanständigen Zeiten. Der Lohn dafür? Er wurde posthum mit dem höchsten polnischen Orden und der Ehrenbürgerschaft von Warschau ausgezeichnet. Warum mich ein solches Schicksal so anrührt? Weil es allen Theorien über den Satz: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ über den Haufen wirft und ein Menschenbild zeichnet, in dem Würde trotz widrigster Umstände gelebt wird. Und ausserdem rückt es den Verdacht zurecht, dass alle Menschen unter Druck verantwortungslos würden. Witold Pilecki wurden in den Folterkellern des Polnischen Geheimdienstes WSI alle Fingernägel herausgerissen – und er verriet trotzdem keinen seiner Mitkämpfer. Es gibt genügend Berichte über erbärmliche Menschen – heute will ich an einen Menschen erinnern, der sein Niveau als Christ bewahrte und sein Leben dafür einsetzte. Sein Buch habe ich schon bestellt – klar.
Posted on: Thu, 19 Sep 2013 17:02:57 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015