Über die Entwicklungen in der Türkei – EMEP Veröffentlicht am - TopicsExpress



          

Über die Entwicklungen in der Türkei – EMEP Veröffentlicht am 25. Juni 2013 Wie soll man die derzeitigen breiten Massendemonstrationen, die letzte Woche begannen, interpretieren? Ein türkischer Frühling? Ein öffentlicher Aufstand? Oder ein von den Nationalisten angezettelter Staatsstreichversuch? Um eine realistische Einschätzung zu erhalten, muss man die jüngsten politischen Ereignisse in der Türkei berücksichtigen. Es geht definitiv nicht um „nur“ einen Funken, der das Feuer entzündet hat. Die AKP-Regierung ist der loyalste Alliierte der USA und des westlichen Imperialismus im Nahen Osten, ein bedeutender Akteur der US-amerikanischen „Greater Middle East Initiative“, und ein hingabevoller Vollstrecker neoliberaler Politik. Und gegen ihre Politik gab es in den letzten Jahren erhebliche Proteste. Diese Politik besteht darin, öffentliches Eigentum multinationalen Monopolen und lokalen Großunternehmen zur Verfügung zu stellen, ihnen massive Entlassungen und den Umbau der Arbeitswelt mit Leiharbeitern zu ermöglichen, weiter Zerschlagung der Gewerkschaften, Einschränkungen der sozialen Rechte, niedrigere Löhnen, gesteigerte Ausbeutung der Arbeitskraft im Namen der Wettbewerbsfähigkeit – das alles führt täglich zu Widerstand und Streiks in Fabriken und Unternehmen. Auf der anderen Seite haben die Ignoranz der Regierung und ihre Assimilationspolitik gegenüber den Kurden sowie massiven Festnahmen, gewaltige Auswirkungen. Die städtische Kleinbourgeoisie ist beunruhigt angesichts der auf den Islam gegründeten Praktiken und Aussagen der AKP-Regierung: Die Einführung eines verpflichtenden Religionsunterrichts in den Oberschulen, Umbau des Bildungswesens nach religiösen Grundsätzen, die wachsende Zahl religiöser Schulen, das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten, das eine große Armee von Geistlichen beschäftigt, die sich mit religiös basierten Entscheidungen beschäftigen, Beschränkungen beim Verkauf von Alkoholika und Tabakwaren und die Besetzung der Führung der Bürokratie mit Pro-AKP-Leuten. Die AKP hat durch hohe Zinsen und einen Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen zu Schleuderpreisen an ausländisches Kapital einen großen Geldfluss ausgelöst und versucht, Aktienkapital anzulocken, das nicht mehr im Nahen Osten oder in westlichen Banken und Unternehmen investieren möchte. Dadurch kam die Türkei erfolgreicher durch die Weltwirtschaftskrise als Europa oder die USA. Allerdings ist der kontinuierliche Geldfluss aus dem Ausland vor kurzem abgeflaut. Die AKP-Regierung versuchte das Problem dadurch zu lösen, dass sie eine Bau-Kampagne begann, den so genannten „Urbanen Umbau“. Die wertvollsten Flächen in den Großstädten wurden enteignet, Hochhaus-Strukturen wurden auf öffentlichen Grund gebaut und zu extremen Preisen verkauft. Die steigenden Verkehrsprobleme, die Zerstörung von Grünflächen und eine auf den eigenen Vorteil bedachte Politik, durch die sich AKP-Anhänger die Taschen vollgestopft haben, all das führte zu weit verbreitetem Unmut. Die Syrien-Politik der AKP-Regierung hat großes Missfallen in der Bevölkerung gefunden. Die finanzielle Unterstützung radikaler islamischer Organisationen und Gruppen und die Platzierung dieser Gruppen an der syrischen Grenze, haben zu vielerlei Problemen geführt. Die radikalen Islamisten wurden zu einer bedrohlichen Macht gegenüber der alawitischen Mehrheit an der Grenze. Die Anwesenheit der radikalen Islamisten dort hat den Handel und die Wirtschaft in dem Gebiet beeinträchtigt. Firmenzusammenbrüche und Arbeitslosigkeit haben zugenommen, und die fünf Millionen Dollar, die für Assad-Gegner ausgegeben wurden, haben zu wirtschaftlich negativen Folgen geführt. Vor diesem Hintergrund kündigte Premierminister Erdogan an, dass ein Einkaufszentrum an Stelle des Gezi-Parks am Taksim-Platz gebaut werden soll. Das Einkaufszentrum soll wie eine frühere Kaserne aussehen. Artillerie-Kasernen waren während der bürgerlichen Revolution von 1908 die Hochburgen der reaktionären Kräfte, und das Ziel der AKP, die Kaserne wieder aufzubauen, bedeutet, den reaktionären Aufstand vom 31. März 1908 gutzuheißen und Revanche für die Revolution von 1908 zu nehmen. So stellt sich das Kasernen-Projekt für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung dar. Außerdem wird das Gleichgewicht der Umwelt im Bereich Taksim gestört, weil das Shopping Center kaum noch grüne Bereiche übrig lässt. Erdogans Absicht, die Stadtlandschaft ohne die Zustimmung der Mehrheit zu verändern, führte zu den Aufständen gegen seine diktatorische Politik. Der Widerstand am Gezi-Park begann unter diesen Verhältnissen. Die Baumaschinen, die den Gezi-Park zu zerstören begannen, haben dazu geführt, dass Tausende von Leuten zum Taksim-Platz strömten. Spät am Abend, als die große Masse den Park verlassen hatte, attackierten Polizeikräfte eine kleine Gruppe, die in Zelten schlief. Die Polizei verbrannte die Zelte, die Aktivisten wurden misshandelt und Pfefferspray ausgesetzt. Vor einem Monat, bei den Demonstrationen zum 1. Mai, hatte die AKP-Regierung eine 30-Kilometer-Sperrzone eingerichtet, den öffentlichen Nahverkehr eingestellt, den asiatischen vom europäischen Teil der Stadt abgeschnitten, und die Massen wurden attackiert, auch mit Tränengas und Wasserwerfern. Die Maßnahmen der AKP-Regierung betrafen alle Istanbuler und auch die Touristen. Nun wird wieder die gleiche Methode angewandt, um die Aktionen im Gezi-Park zu beenden. Der letzte Angriff brachte eine große Menge zur Verzweiflung, und so kamen Zehntausende zum Taksim-Platz. Nach Feierabend wuchs die Menge auf dem Platz auf 100.000 Leute. Die Polizei reagierte mit massivem Tränengas- und Wasserwerfereinsatz. Trotz der von den bürgerlichen Medien geübten Zensur, aber dank der Bemühungen in sozialen Medien und einer Handvoll revolutionärer und demokratischer Medienorgane wurden diese Ereignisse in die Öffentlichkeit getragen. Die Aktionen griffen auf Ankara und Izmir über. Die Leute verließen die Straßen nicht bis zum Morgengrauen. In Izmir, Ankara und Istanbul wurden die Kollisionen zwischen Polizei und Aktivisten gewaltsam. Es wurden Barrikaden gebaut. Während der Kämpfe kamen einige Jugendliche in Ankara, Istanbul und Hatay zu Tode. Zehntausende wurden verletzt und festgenommen. Der Jugendbeauftragte unserer Partei in Ankara wurde auch schwer verletzt und festgenommen. Die meisten Protestierenden waren Jugendliche und Frauen. Fußballanhänger waren auch dabei, und sie hatten ihren täglichen Wettstreit beigelegt. Die am meisten gerufenen Parolen waren „Tritt zurück, Regierung!“ und „Tritt zurück, Tayyip!“ (Erdogan). Die Massen, die sich an den Demonstrationen beteiligten, waren oft unorganisiert. Unsere Partei, alle revolutionären und demokratischen Parteien, Grüne, Umweltschützer, die Kammern der Physiker, Ingenieure und Architekten, Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes, die Alawiten, Intellektuelle und Künstler, Rechtsanwälte und Gruppen nationaler Minderheiten, der laizistische Teil der Gesellschaft – alle zusammen sind sich einig, dass die AKP-Regierung daran arbeitet, langsam ein religiöses Rechtssystem einzuführen. Unsere Partei nahm mit allen ihren Mitgliedern und Organisationen an den Demonstrationen teil und versuchte, Arbeiter, Werktätige und Gewerkschaften in die Aktionen und ihre Organisierung einzubeziehen, und ihre Ziele präziser zu machen. Was die Kurden-Frage angeht, fordern wir eine volksdemokratische Lösung, die Abschaffung aller Beschränkungen der Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit, auch Rechte für die Alawiten, die Rückkehr zu den abgeschafften Rechten der Arbeiterklasse, die Abschaffung der Zehn-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen, Verfolgung und Bestrafung der Verantwortlichen für die Massaker wie in Roboski und Reyhanl, ein Verbot von Tränengas bei Demonstrationen, ein Verbot der Zerstörung von Grünflächen für Wuchermieten und ein Ende der Abholzungen. Wir riefen zum Generalstreik und zum Widerstand auf. Wir fordern das Volk auf, sich zu organisieren und zu kämpfen. Am 4. Juni riefen die Gewerkschaften für den Öffentlichen Dienst (KESK) und der Revolutionäre Gewerkschafts-Bund zu einem Generalstreik auf. Die Ereignisse in der Türkei in dieser Woche weisen Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede auf, wenn man sie mit den Prozessen in Tunesien, Ägypten oder anderen arabischen Ländern vergleicht. Was gleich ist: Große Massen sagen „Genug ist genug!“, drängen auf die Straße zum Kampf. Unterschiedlich sind der Organisationsgrad der Massen und ihre Forderungen. Während der vergangenen fünf Jahre fanden ähnliche Prozesse nicht nur in arabischen Ländern oder in der Türkei statt, sondern auch in europäischen Ländern wie Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Frankreich und England, dazu in einigen lateinamerikanischen Ländern. Gemeinsam ist den Massen ihr Aufstand gegen Unterdrückung und die kapitalistische Ausbeutung. Es ist klar, dass das Volk, das gegen die herrschende Klasse revoltiert und für seine ureigenen Rechte und Freiheiten kämpft, gestärkt wird durch internationale Solidarität und Einigkeit. didfschweiz.ch/?cat=1
Posted on: Thu, 11 Jul 2013 23:27:39 +0000

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