Liebe Gemeinde, wie soll Kirche eigentlich sein? Oder, besser - TopicsExpress



          

Liebe Gemeinde, wie soll Kirche eigentlich sein? Oder, besser gefragt: Was soll Kirche eigentlich sein? Ein Thema, das wohl jeden umtreibt, dem es ernst ist. Wir schauen uns um: Die Kirche findet sich inmitten einer Umgebung, die sich in den letzten zwanzig Jahren so massiv verändert hat, wie in den hundert Jahren davor nicht. Es ist ein Klima, in dem es jedem Einzelnen ums Gewinnen geht, um größtmöglichen Lebensgenuss, um Fitness bis ins hohe Alter. Eine Umgebung, die bestimmte Aspekte des menschlichen Lebens – allen voran Altern, Tod, Krankheit, überhaupt jede Form von Scheitern – mit Angst besetzt hat, die in eine grandiose Sprachlosigkeit mündet, wenn diese Gespenster nach dem eigenen Leben greifen. Mittendrin steht die Kirche. Und manchmal bekommt man den Eindruck, auch sie sei Teil dieser schweigenden Übereinkunft. Materielle Sorgen bestimmen die innerkirchlichen Diskussionen, Amtsträger fühlen sich ausgebrannt und leer angesichts der überdehnten Strukturen. Es ist wie ein Kreiseln um sich selbst. Wenig ist zu hören von der großen Freiheit, die Christus denen schenkt, die sich auf ihn verlassen. Viele wenden sich ab, weil sie von der alten Dame Kirche nichts mehr erwarten. Das heißt nicht unbedingt, dass sie sich komplett davon lossagen. Aber es interessiert niemanden mehr, was sie zu sagen hat. Und manchmal fällt es auch mir schwer, gerade im Gespräch mit den Schwestern und Brüdern im Pfarrdienst das schöne und befreiende unseres Glaubens wieder zu entdecken. Wie oft kreisen unsere Gespräche um die Krise. Wie wenig erlöst erscheinen mir die, die von der Erlösung zu predigen haben. Wie oft reden wir über Formen und Reformen und vergessen dabei den Inhalt. Liebe Gemeinde, es beruhigt vielleicht ein wenig, wenn wir erfahren, dass die Probleme nicht neu sind. Aus dem ersten Jahrhundert stammt der Brief des Apostels Paulus, den er an seine lieben Korinther geschrieben hat. Wenn man es einmal in moderne Denk- und Sprachmuster übersetzen würde, dann wären viele der dort erwähnten Missstände ganz leicht auch heute noch zu erkennen. Und es bleibt nicht nur beim biblischen Zeugnis, sondern auch die Jahrhunderte danach ließen immer wieder zutage treten, dass es wichtig ist, sich von Zeit zu Zeit darauf zu besinnen, was eigentlich denn die Kirche ist. Martin Luther schrieb 1539: Gott helfe uns, wie er unsern Vorfahren geholfen hat und unsern Nachfahren auch helfen wird, seinem göttlichen Namen in Ewigkeit zu Lob und Ehren. Denn wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten, unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen, unsere Nachkommen werdens auch nicht sein; sondern der ists gewesen, ists noch, wirds sein, der da spricht: "Ich bin bei euch bis an der Welt Ende" wie Hebr 13 stehet: "Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit", und Offb. 1: "Der da war, der da ist, der da kommt". ... Denn du und ich sind vor tausend Jahren nichts gewesen, da dennoch die Kirche ohne uns erhalten worden ist, und hats der tun müssen, der da heißt: "Der da war" und "gestern". So sind wirs jetzt auch nicht bei unserm Leben, denn die Kirche wird nicht durch uns erhalten. (Martin Luther, Wider die Antinomer, 1539) Dass da einer ist, der für seine Kirche sorgt – wie oft gerät es aus dem Blick, wenn wir ins Diskutieren kommen über die Dinge, die unsere Kirche prägen und erkennbar werden lassen sollen! Bei Paulus war das auch so. Und wenn wir heute wieder vom Weg Jesu ans Kreuz hören, wird deutlich, dass die Krisen schon genau in diesem Brennpunkt des Geschehens begonnen haben. Liebe Gemeinde, der Spruch des Tages, den ich zu Beginn gesagt habe, heißt: Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr. (Psalm 111,4) Und ich glaube, wenn es darum geht, wie und was Kirche eigentlich sein soll, dann spielt dieser Vers eine entscheidende Rolle. Genauso wohl hat Paulus gedacht, als er seinen lieben Korinthern seinen Brief schreibt. Die Menschen sind gefangen in den Krisen, die ihr menschliches Zusammenleben auch für die christliche Gemeinde mit sich bringt. Wer darf wann wie wo was? Wer ist besser, wer ist schlechter? Reicht der Glaube aus? Wie frei darf ich mit meinen Freiheiten umgehen? Es ging ihnen ähnlich wie dem modernen Christen in den modernen Zeiten heute. Immer wieder verweist Paulus auf die Grundlagen, auch als es um die Frage nach der echten, der wirklichen Gemeinschaft geht. Allein schon die Feier des Abendmahls in Korinth zeigt, dass da etwas nicht stimmt. Denn die da feiern, vergessen mehr und mehr, dass am Beginn Christus selbst in diesem Mahl eine neue Gemeinschaft stiften wollte: Eine Gemeinschaft untereinander und vor allem eine Gemeinschaft mit ihm, mit Christus selbst. Es geht nicht um frömmelndes Gehabe, sondern es geht darum, Christus als Grundlage des Lebens der Kirche immer wieder über Zunge und Magen ins eigene Bewusstsein zu holen. Denn wenn eine kirchliche Gemeinschaft diese Grundlage verlässt, ist sie bloß ein Traditionsverein ohne Kraft. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr! Liebe Gemeinde, was soll Kirche eigentlich sein? Bei all den Angeboten, die moderne christliche Gemeinden derzeit plazieren, kommt mir manchmal das Bild einer großen Tankstelle in den Sinn: Das Hauptgeschäft findet – ach, wie aktuell! – gar nicht mehr an den Tanksäulen statt, sondern im Tankshop mit Alkoholika und Zeitschriften und Zigaretten. Klar gibt es auch noch Benzin, ja. Aber eben nur auch noch. Ein weiteres Bild wären moderne Handys: Mit denen kann man zwar auch telefonieren, ja, aber man kann auch seine sämtliche Musik und alle Bücher darauf laden, kann Fotos damit machen, demnächst – wer weiß? - sich sogar noch damit rasieren. Und manchmal weiß man gar nicht mehr, welche Funktion ursprünglich sich mit dem Gerät verbunden hat: Nämlich die, mit anderen Menschen zu sprechen. Paulus möchte seine korinthischen Schwestern und Brüder wieder auf das bringen, was Gemeinde ist. Sie ist kein Kultur- oder Lebenseinschränkungsverein, sondern sie soll von Christus erzählen und eben das Gedächtnis der Wunder Gottes den Menschen wieder in ihr Denken und Fühlen bringen. Das geht nur, wenn die wirklich wichtigen Dinge wieder in den Blick kommen. Denn sie sind es, die den Wert der Gemeinschaft tatsächlich ausmachen. Und so erinnern wir uns heute, wenn wir miteinander Abendmahl feiern, an die neue Gemeinschaft, die Christus in die Welt gebracht hat. Eine Gemeinschaft von Gott und Mensch, in der die Furcht vor dem Abbruch des Lebens eine Hoffnung finden kann und in der die Grenzen des Lebens und Könnens ihren Ort haben, auch wenn alle Welt lieber darüber schweigen möchte. Wenn wir dies Zeichen wieder leuchten sehen können, dann wissen wir auch, dass Christus und sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen uns den Weg weist, auf dem wir gelassen kommen, bleiben und gehen können. Amen.
Posted on: Tue, 01 Oct 2013 22:45:52 +0000

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