Seite 127 Der vorletzte Tag unserer Klassenfahrt war angebrochen - TopicsExpress



          

Seite 127 Der vorletzte Tag unserer Klassenfahrt war angebrochen und wir machten noch einmal kurz "in Kultur" und besichtigten die Burgruine in der Nähe von Gemünd. Den Rest des Tages verbrachten wir im Ort. Ich kaufte Ansichtskarten und Briefmarken und schrieb allen, die mein Taschengeld für die Klassenfahrt gesponsert hatten ,außerdem meinen Eltern, Oma, Uli und meiner Schwester. Mit der Schreiberei hatte ich es nicht so und so würden die Karten wahrscheinlich später als ich ankommen. Abends , als ich meine Tasche packte , bemerkte ich , wie plötzlich Freude in mir hoch kam und machte schon im Kopf eine Wunschliste der Gerichte, die Mama unbedingt kochen musste. Mit den Essenern tauschten wir noch unsere Adressen aus und versprachen, wenigstens eine Postkarte aus Kierspe zu schicken. Gegen zehn Uhr am nächsten Morgen kam der Bus und alle starrten gebannt aus dem Fenster, um die Vulkanumrisse zu erkennen. ******* Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Anka vollführte Salti und hörte gar nicht auf zu fiepen, an mir hoch zu springen und folgte mir auf Schritt und Tritt, sogar aufs Clo! Ich musste sie natürlich auch mitnehmen, als ich Uli abends vom Bus abholte. Obwohl Freitag war, hatte ich nicht zum Konfirmandenunterricht gemusst, denn wir waren noch für den Tag beurlaubt. Ich schob den Gedanken daran erst einmal ganz weit weg und genoss die Gesellschaft von Freundin und Hund. Mein Kleid für die Hochzeit meines Bruders war fertig und sah richtig gut aus .Dunkelblauer Taft, Carree-Ausschnitt, halblanger Arm und angekrauster Rock. Die Schneiderin hatte sich genau an meine Zeichnung gehalten. Mama hatte, in der Hoffnung , dass sie passten , ein paar cremefarbene Spangenpumps , allerdings mit einem moderaten Absatz, dazu gekauft. Ich hätte gerne höhere gehabt , aber sie fragte mich mit bedeutungsvoller Miene: "Kannst du dir das Theater vorstellen?" "Ja klar, deswegen ja!" Ich feixte über alle "vier Backen". "Zur Konfirmation bekommst du höhere." "Wenn ich dann konfirmiert werde...wer weiß, was dem Knallkopp noch einfällt....aber wenn, dann möchte ich ein paar schwarze Kaiserpumps!" " Nicht schlecht! Dann blicke deinem Vater mal tief ins blaue Auge!" "Ich habe noch Geld von der Klassenfahrt!" "Das hast du doch bis nächstes Frühjahr verballert, das ist noch lang hin..." "Hmmmm.......!" Da fielen mir meine Ballerinas ein. Wegen des Bruchs hatte ich sie noch nicht einmal angehabt. "Scheiße, meine Füße sind in der Zeit grösser geworden, die sind mir jetzt etwas zu klein!" Ich hätte heulen können. Trotzdem zog ich sie am Montag zur Schule an, lief mir die Zehen wund und ließ es dann doch lieber sein. * Zu der Zeit trugen alle Mädchen einen Ring . Ich hatte einen von Oma bekommen, Silber mit einer Koralle in einer stilisierten Rose. Das war kein Kronjuwel, aber er war hübsch und, was noch wichtiger war: Er passte auf meinen dünnen Finger. Zugegeben, manchmal bin ich etwas unbedarft, zumal, weil ich mich nie an Intrigenspielchen und Grüppchenbildung beteiligt habe. So hatte ich offensichtlich etwas nicht mitbekommen. Auf dem Pausenhof fingen die Mädchen plötzlich an, sich die Ringe vom Finger zu ziehen und gegenseitig anzuprobieren. "Du auch, Marina!" "Wozu? Meiner passt eh keiner und eure passen mir nicht." "Och bitte" Jutta machte eine Schnute" Ich habe doch auch dünne Finger vielleicht passt der ja!" "Na gut!" Der Ring wurde rumgereicht und es schellte zur Stunde, ich war noch ringlos. In der nächsten Pause fragte ich nach meinem Ring und alle schworen Stein und Bein ihn wiedergegeben zu haben. Ich ärgerte mich insgeheim, denn offensichtlich hatte ich ihn verloren. Gestohlen hatte ihn keine, das taten die nicht und was wollten die mit einem Ring, der zu klein war? Zu Hause beichtete ich meinen Verlust und ich tat meiner Nachbarin Gisela K., die auf einen Kaffee bei Mama war, so leid, dass sie sofort in den Laden lief und mit einem Ringtablett voller Ringe zurückkam und sagte. "Mein Spatz, such dir einen aus!" Tja, dann war mein Geld futsch, aber da sagte sie. "Ich spendiere dir den !" Kniff ein Auge zu und schnalzte mit der Zunge. Ich hatte einen avisiert, aber traute mich jetzt nicht, weil er einer der teuersten war. Aber Gisela hatte das wohl bemerkt und sagte. " Keine Kompromisse!" Ich habe mich riesig gefreut, denn endlich hatte ich wieder einen Aquamarin! Da stand ich mehr drauf, als auf Korallen. Um die nächste Geschichte verständlicher zu machen muss ich ein wenig ausholen. Jutta und ich hatten fast exakt die gleiche Schrift. Schöne akkurate lateinische Buchstaben, wie aus dem Lehrbuch. Der einzige Unterschied war, dass meine Ober- und Unterlängen etwas ausladender waren und die Tatsache, dass sie ein "sehr gut" und ich ein "ausreichend " in Schrift hatten . (Ja, das wurde damals noch benotet. Ich bezweifelte schon damals, dass dieser Zensurenunterschied nur aus meinen opulenteren Ober-und Unterlängen herrührte.) Egal. Ich hatte mir allerdings in letzter Zeit allmählich eine etwas flüssigere Schreibweise , weil es einfach schneller ging, angewöhnt. Das wusste Jutta aber noch nicht, denn sie hatte schon länger nichts Schriftliches ´von mir zu Gesicht bekommen, denn die Zeit des Poesiealbums war passee! Kurz vor der Hochzeit meines Bruders kam ich samstags aus der Schule und Mama empfing mich mit einer Zornesfalte zwischen den Augenbrauen und hielt mir ein Kuvert, das gerissen war und meinen verschollenen Ring unter die Nase. Der Postbote hatte ihn unter der Haustür durchgeschoben und weil der Spalt zu klein war, war das Kuvert gerissen und der Ring herausgefallen. Ich freute mich. "Oh! da hat der ehrliche Finder mir den zugeschickt!......hä? Quatsch! Woher wusste der, dass der Ring mir gehörte?" Es wurde mysteriös. "Aus Essen? Wann warst du denn in Essen?" "Gar nicht." "Also, du kannst deinem Brieffreund ja deinen Ring geben, aber krück uns nicht an!" "Ich habe nicht gekrückt!" "Dann lies mal den Brief!" Ich öffnete den Umschlag und las Folgendes: "Liebe Marina! Da meine Eltern meine Post öffnen, möchte ich dich bitten von weiteren Briefen abzusehen. Deine glühenden Liebesschwüre haben mir einigen Ärger eingebracht. Hiermit gebe ich dir deinen Ring zurück. Viele Grüße Herbert" Ich dachte streng nach! Glühende Liebesschwüre??? Wenn eine Postkarte aus Kierspe mit den Worten. "Liebe Grüße aus "Schnarchhausen". Sind heil und gesund angekommen. Brief folgt! Schöne Grüße Marina" als heißer Liebesschwur zu interpretieren sein sollte, war ich schuldig im Sinne der Anklage. Und dann ging mir gewissermaßen eine Lichterkette auf. Ich ahnte, wer in meinem Namen heiße Liebeschwüre nebst Ring verschickt hatte. Klugerweise hielt ich in der Schule den Mund und den Ring unter Verschluss. Aber Kerle fand ich damals schon doof. War dem der Unterschied der Schrift nicht aufgefallen? Mein Herz brach nicht, ich fand es nur schade, keine Postkarten aus dem Ruhrgebiet zu bekommen. Auf die Fragen in der Schule, ob ich denn noch mit Herbert schreiben würde, antwortete ich nur: " Jede Woche eine Postkarte" und hatte alsbald Ruhe. Trotzdem kochte ich innerlich vor Zorn.
Posted on: Sun, 14 Jul 2013 18:22:06 +0000

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