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Seite 132 Froh , wieder zu Hause zu sein , ging ich als erstes zu Uli. Es tat gut und wirkte beruhigend wieder mit ihr die Runden ums Dorf zu drehen. Ich musste ihr natürlich von der Drei Groschen Oper erzählen. Die Weihnachtsgeschichte, die wir in der Schule bis Dezember fertig haben sollten, war auch noch "in der Mache" und ich berichtet ihr von meinen Fortschritten, gestand aber auch, dass ich in den Herbstferien nicht eine Zeile geschrieben hatte. Ich hatte mich von Anfang an geweigert , wohl schon etwas schriftstellerisch ambitioniert, so eine alberne Hulle-Bulle-heile- Welt- Geschichte zu schreiben. Es sollte eine richtige Kurzgeschichte werden. Inspiriert von einer Sendung im Fernsehen, die über die farbigen sogenannten "Besatzungskinder" berichtet hatte und wie schwer es diese Kinder und ihre Mütter in dem streng katholischen Bayern hatten, entwarfen Uli und ich eine Mädchenfigur. Dieses Mädchen ging nach Amerika, um den Vater zu suchen. Mir war klar, dass ich damit keinen Blumenpott gewinnen würde , aber ich stemmte mich gegen kling Glöckchen klingelingeling! Weihnachten sollte in dieser Geschichte nur eine Nebenrolle spielen, aber darin vorkommen, vielleicht als Finale, um im Thema zu bleiben. Uli war im Oktober fünfzehn geworden und für eine Schrecksekunde war mir klar, dass ich erst dreizehn war. Das änderte aber nichts an unserer Freundschaft. Wir ließen und weiter unsre Freiheiten und fanden , dass wir nicht einander sondern zueinander gehörten. Wir versuchten uns vorzustellen, wie es sein würde, wenn wir älter, sehr viel älter waren. Wir hielten es für wahrscheinlich, dass wir uns sicherlich , aus was für Gründen auch immer, von einander entfernen, aber genau so wieder zusammenfinden würden. Uli verglich das mit einer Welle, die einen Gegenstand anspülte, ihn eine Weile umher trieb und ihn sich dann wieder holte. Die Welt um uns veränderte sich und wir lernten , uns darin zurecht zu finden. Schweren Herzens ging ich nach den Herbstferien zur Schule. Mir wurde immer klarer, dass in dieser Klasse nie ein Gemeinschaftsgefühl bestanden hatte, jeder "kochte sein eigenes Süppchen" und war auf den eigenen Vorteil bedacht. Wenn sie zu mir kamen, dann nur, weil ich ihnen aus irgendeiner Patsche heraushelfen sollte, weil sie zu feige waren , zu einem Lehrer zu gehen , um es dann so zu drehen, als sei ich der Buhmann, selbst wenn ich zum Zeitpunkt ihres Vergehens auf dem Mars geweilt hätte. Am 23. November kam Anette heulend zur Schule. Tags zuvor war Kennedy ermordet worden und sie machte ein solches Theater darum, als sei sie mit ihm verwandt oder verschwägert gewesen. Das aber nicht aus einer politischen Motivation heraus, sondern weil sie schon fast fanatisch für ihn schwärmte und ihn so schön und toll fand! Jeder Mensch , der einem Gewaltverbrechen zum Opfer fällt, ist einer zu viel und ich fand es keinesfalls in Ordnung, dass man ihn getötet hatte, aber ich empfand nichts für Kennedy. Ich fragte mich, wo der schön sein sollte, denn ich war da anderer Meinung. Er hatte Glubschaugen, eine zu kleine Nase, ein Pferdegebiss und ging , als hätte er einen Stock im Hintern. Außerdem wusste ich von Mama von seinen außerehelichen Eskapaden, seinen Poolorgien und dass er seine Jacky mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatte. Mama las nicht nur die "Jubelpresse", sie wurde weiterhin von Onkel Karl mit etwas anspruchsvollerem Lesestoff versorgt. Wir fuhren ein paar mal im Jahr nach Attendorn, wo wir uns mir Onkel Karl und Onkel Otto trafen und bei diesen Treffen wurde über Politik und Gott und die Welt geredet. Ich behielt dabei meine Ohren immer ganz weit offen! Das war vermeintlich an diesem Tag ein Vorteil für mich, denn Scholz fragte: "Wer weiß was über Kennedy?" Ich meldete mich und dann sah er mich wieder so angewidert an und war offensichtlich sehr enttäuscht, dass keiner seiner auserkorenen Lieblinge den Finger hob, sondern mich alle nur anglotzten. "Ja, Marina!" Er machte eine Geste , die mich wohl zum Reden auffordern sollte . " Kennedy hat mit Crutschow den dritten Weltkrieg verhindert.........................." Bevor ich überhaupt weiterreden konnte, brach um mich herum alles in schallendes Gelächter aus. " ... dritter Weltkrieg...du redest wieder mal nur Quatsch .....hahaha......... so`n Scheiß.... ausgerechnet der blöde Russki.....hahaha...." "Ruhe! Marina rede weiter!" Ich holte aus in 1961, Kuba, die Krise, die Schweinebucht, Eskalation der Verhältnisse, dass man schon die Waffen aufeinander gerichtet hatte und dass es der Besonnenheit dieser beiden Staatsmänner zu verdanken sei , dass es nicht geknallt hatte. "Du bist so doof und du redest nur Mist!" Ulrich machte sich über mich lustig. Warum sagte Scholz nichts? Ich wurde wütend und wenn ich wütend werde, bin ich unvorsichtig und wenn eine dreizehnjährige Marina wütend wurde, hatte das etwas von einem atomaren Sprengkopf. Ich vergaß alles was ich mir vorgenommen hatte: Nicht mehr zu klugscheißern , nur so viel von meinem Wissen preiszugeben, wie es die Situation erforderte. Alle Vorsätze waren wie weggeblasen. Ich fauchte Ulrich an: "Wir sind de facto noch besetzt und weißt du Blödmann eigentlich, wie viele Atomwaffen unter deinem Arsch liegen....?" Bevor ich noch Luft geholt hatte fragte Peter: "Was ist de facto?" Da war bei mir der Schwung raus , ich ließ mich auf den Stuhl plumpsen und sagte kein Wort mehr. Und Scholz machte ein Gesicht, als hätte ich mich auf sein Pult erbrochen und sagte wieder einmal nichts. Das war wie in den Rücken fallen. Was hatte ich diesem Mann getan, dass er mich so hasste?
Posted on: Mon, 22 Jul 2013 21:50:19 +0000

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