Seite 142 Der Gott der Verfressenen und Kaffeetanten meinte es gut - TopicsExpress



          

Seite 142 Der Gott der Verfressenen und Kaffeetanten meinte es gut mit mir. Direkt neben der Auffahrt zur Schule befand sich eine Metzgerei, wo heißer frischer Kaffee und belegte Brötchen angeboten wurden. Ich trank gierig eine Tasse und fühlte mich um Längen besser danach. Als wir die Auffahrt zum Hauptportal der Schule hinaufgingen, fiel mir sofort das verblasste rote Kreuz auf dem Dach auf. Soweit ich wusste, war diese Schule im zweiten Weltkrieg ein Lazarett gewesen und man hatte, um Bombenangriffe zu vermeiden, das Kreuz aufs Dach gemalt. Ob es was genutzt hatte, entzog sich meiner Kenntnis , aber allein der Gedanke, dass hier einmal Leid, Schmerz und Siechtum geherrscht hatte, verursachte mir ein ungutes Gefühl. Ob man das noch roch, gab ich zu bedenken. "Manchmal hast du wirklich einen Knall!" Gisela bog sich vor Lachen. "Ich rieche so was!" behauptete ich stur. Wir fragten uns zu unserem Klassenraum durch , der sich im obersten Stockwerk unterm Dach befand. Schön war anders. Am hinteren Ende befanden sich recht antiquierte Kabinenplätze wie in einem Friseursalon, aber aus den Hähnen kam kein Wasser. Deshalb mussten wir noch einmal die Treppen herunter über den Hof zu einem Toilettenhäuschen, um uns die Hände zu waschen "Ach du heiliger Bim-Bam!" Ich war entsetzt. "Das , meine Damen und Herren ist eine Leihgabe aus dem prähistorischen Museum!" tönte ich durchs morsche Gemäuer. Gisela wurde wieder rot und schämte sich fremd(für mich). Meine extrovertierte Art machte sie immer ganz verlegen, denn sie sprach noch nicht einmal laut in der Öffentlichkeit. Mir ging das, gelinde gesagt, am Arsch vorbei. Dann sollte sie doch Abstand halten. Aber das machte sie auch nicht. Sie hatte es sich in meinem "Kielwasser" recht kommod eingerichtet und das nicht ganz uneigennützig, wie ich zunehmend bemerkte. Die dümmlich Guckende aus dem Zug ging mit uns die Treppen hoch und mit in den Klassenraum. Ha! Hätte ich gewettet, hätte ich gewonnen. Den Satz "Seid ihr auch Friseusen" rang sie sich mit größter Mühe ab und wurde dabei knallrot. Fast hätte ich gesagt "Nein, Leichenwäscher", aber ich befürchtete das Edeltraud, die aus Kierspe Bahnhof kam, meine Art Humor nicht überlebt hätte. Stattdessen lächelte ich huldvoll und säuselte: "Sieht wohl so aus!" So ganz konnte ich es wieder mal nicht lassen und Gisela zischte mir zu: "Manchmal bist du unmöglich!" "Pffff...!" Der Klassenraum füllte sich allmählich . "Ich glaube, wir suchen uns jetzt besser einen Platz." Unsere Wahl fiel auf die zweite Reihe links außen. Ich sah einen der Jungs wieder, die ich im Zug gesehen hatte. Insgesamt waren es vier männliche Mitschüler, die vor uns in der ersten Reihe Platz nahmen, weil die hinteren Plätze vergeben waren. Edeltraud hatte sich ebenfalls nach hinten verzogen und ich habe sie die weiteren drei Jahre auch nicht mehr wahrgenommen. Unsere Fachlehrerin betrat den Klassenraum und für einen Moment blieb mein Herz vor Schreck fast stehen. Sie hatte sehr viel Ähnlichkeit vom Typ her mit der "unvergessenen" Frau Schultheiss. "Oh Himmel, lass sie nur so aussehen, aber bitte nicht so sein. " Mein Stoßgebet wurde erhört, sie hatte zwar eine süße kleine Macke, aber ansonsten war sie ein liebenswürdiger Mensch. Mir fiel plötzlich auf, dass niemand "Bemerkungen" machte. Niemand hatte sich über mein Out-Fit , meine Figur oder sonst etwas geäußert. "Schicke Jeans!" sagte nur ein Mädchen namens Sylvia. "Ist das `ne Lewis?" "Ja!" "Du kannst die tragen , ich kriege die nicht über den Hintern. Hoffentlich gibt es die bald auch für Frauen!" "Danke!" Ich war etwas verdattert. Frau Gehrken teilte uns noch mit, dass es eine Raucherecke auf dem Hof gab und bat uns, nicht in dem Clohäuschen zu rauchen, bevor sie uns in die große Pause entließ. "Das ist ja mal ganz was anderes! " Gisela war ganz baff. Wir wurden zwar bei unserem Vornamen genannt, aber mit Sie angesprochen. Das fand ich im Geschäft schon komisch, aber es bewahrte dadurch eine gewisse Distanz, die ich letztendlich als angenehm empfand. "Hab ich dir doch gesagt. Das wird nicht schlimm und ist nur einmal die Woche!" Kaum, dass wir in der Raucherecke standen, waren wir sofort von einem Trupp Jungs umringt. Die vier aus unserer Klasse und noch einigen mehr. "Warum hast du immer sofort die Kerle um dich herum?" flüsterte mir Gisela zu. "Hä?" Das war mir noch nie aufgefallen und ich hielt es auch eher für einen Zufall und in diesem besonderen Fall glaubte ich, dass die eben eine qualmen wollten. Also nee! Ich hielt mich für nicht besonders anziehend , kam aber allgemein mit Jungs eben gut aus, weil sie unkomplizierter als ewig zickende Weiber waren. "Hallo, was sehen meine Augen. Das ist ja mal ein erfreulicher Anblick. Du bist mir mal `ne süße Maus!" Giselas Ellbogen rammte sich zwischen meine Rippen. "Da redet jemand mit dir!" "Aber nicht so!" Ich betrachtete den solchermaßen Labernden mit einer Zornesfalte auf der Stirn. "Piepse ich vielleicht?" grollte ich mit Bass-Bariton. "Und schlagfertig ist sie auch!" "Reden Sie über mich oder mit mir?" Also, langsam reichte es mir. In der dritten Person sprach man mit Domestiken, aber nicht mit mir. Der Typ stellte sich als Detlef Schwammberger vor und ich biss mir auf die Lippen. "Da ist der Name Programm!" dachte ich und betrachtete das Zweimeter- Zweizentner-Milchbrötchen genauer. "Du bist ganz schön frech!" "Ich kann mich nicht erinnern , mit IHNEN Schweine gezählt zu haben!" Jetzt begriff er, endlich! "Entschuldigung! Aber wir sind doch alle Schüler, sollen wir uns nicht duzen?" "Na gut!" Ich reichte ihm die Hand. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass er gar nicht so übel war, aber ich konnte sein Interesse an mir als Gegenleistung beim allerbesten Willen nicht erwidern. Ich wollte "so was" auch noch gar nicht. Gisela war sauer. "Wie machst du das? An dir ist doch nichts dran!" "Ach du lieber Gott! Vielleicht sende ich nur nicht " Ich will auf der Stelle geheiratet werden" aus. Das schreckt so junge Kerle nämlich ab." Außerdem sah ich mich immer noch mehr als Neutrum, aber das hätte Gisela nicht verstanden. Wir lernten noch unsere anderen Lehrer kennen und würden in Zukunft Bürger-und Wirtschaftskunde, neben Fachkunde und Fachrechnen habe dazu noch eine Stunde Religionsunterricht. Damit konnte man leben. Nach der Schule fuhren wir nach Lüdenscheid in die Innenstadt. Wir aßen im Restaurant des Kaufhauses "Krause" eine Ochsenschwanzsuppe und taten anschließend ein Eis- Café auf, das zu unserer "Stammkneipe" für die nächsten drei Jahre werden würde. Gegen neunzehn Uhr eierte Gisela auf ihren Stöckeln neben mir mit schmerzverzehrtem Gesicht zum Bahnhof. Ich war noch gut zu Fuß und empfand eine gewisse Schadenfreude.
Posted on: Tue, 24 Sep 2013 19:30:55 +0000

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