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Seite 144 Obwohl ich eher der prosaische Typ bin, wie ich nach einem tiefen Inmichgehen feststellte, mochte ich trotzdem diese Jungs und jungen Männer nicht, die so liefen als hätten sie Stacheldraht im Schritt und die Haare unter den Armen toupiert. Das war mir zu rudimentär! Ich stand mehr auf die Feingeister im wirklichen Leben und die gebrochenen Persönlichkeiten in der Literatur. So ein "Herr Rath" war sicherlich ein Meister seines Faches, aber es wiederstrebte mir, wenn Anspruch und gelebtes Leben all zu sehr auseinanderdrifteten. Da gefielen mir ein Schiller , Hölderlin oder Heine doch besser. Mit Heine konnte ich mich auf eine gewisse Weise sogar identifizieren. Er, als Jude geboren, Anerkennung suchend zum Protestantismus konvertiert , aber keine Anerkennung findend, trotzdem jederzeit zur Selbstironie, wahrscheinlich der Not gehorchend, bereit. Mein Anspruch an die Männerwelt war also kein geringer. Ich verschreckte allerdings erfolgreich so ziemlich alles, was Hosen trug. Die, die vom Alter her zu mir passten, hatten die Vorstellung von und über Frauen von den Eltern übernommen und die sah so ganz anders aus, als ich es kannte. Obwohl das Wort Emanzipation noch nicht in aller Munde war, schon gar nicht in einem Dorf im Sauerland, wollte ich auf Augenhöhe behandelt werden . Das kam nicht gut an. Manche Jungs meinten sogar, sie würden mich schon "hinbiegen", wenn es was mit ihnen würde. Da konnten sie aber lange warten. Darüber führte ich auch mit Uli lange Gespräche und wir waren uns einig, dass wir uns nicht unterbuttern lassen würden. Da musste schon jemand kommen , der uns das Wasser reichen konnte. Wir hatten nicht einen Moment das Gefühl überheblich oder arrogant zu sein, sondern wir waren der festen Überzeugung, dass eine gewisser Anspruch vor gravierenden Fehlern schützte. Dass ich jetzt auch zu den Werktätigen gehörte, tat Ulis und meiner Freundschaft keinen Abbruch. Wir waren prächtig organisiert und genossen unsere gemeinsame Zeit in vollen Zügen und sehr intensiv. Sonntags nach dem Mittagessen trafen wir uns bei ihr! Da hatten wir den Salon für uns allein , machten uns gegenseitig die Haare, schminkten uns, gingen in die Nachmittagsvorstellung ins Kino und anschließend ins Eis-Café und drehten unsere Runden. Es war eine wundervolle unbeschwerte Zeit ! Da ich jetzt , wenn auch nicht viel, eigenes Geld hatte , fuhr ich, wenigstens einmal im Monat am Montag, meinem freien Tag, mit dem Zug zu meiner Schwester. Uli und ich hatten das so geregelt, dass sie dann ihren ganz persönlichen Dingen nachging, sich mit Leuten traf, die ich nicht kannte oder was auch immer. Wenn sie etwas vorhatte und ich nicht zu meiner Schwester fuhr, nahm Papa mich mit auf Tour. In diesem Frühsommer hatte er einen DKW F12 Cabriolet als Vorführwagen. Das weckte bei Gisela Begehrlichkeiten und mein Papa, dieser gutmütige Dussel sagte auch noch "ja" als sie fragte , ob sie mal mitfahren dürfe. Ich wusste , wie das enden würde. Ich habe selten schlechte Laune, aber an diesem wunderbaren Maientag war ich extrem übellaunig und sprach kein Wort.
Posted on: Sat, 28 Sep 2013 21:52:45 +0000

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